Wiederaufbau mitten im Krieg - Selenskyj bittet in Berlin um Hilfe für Luftabwehr

Mit einem Appell zur dringenden Unterstützung der ukrainischen Luftverteidigung hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die internationale Wiederaufbaukonferenz in Berlin eröffnet. (JOHN MACDOUGALL)
Mit einem Appell zur dringenden Unterstützung der ukrainischen Luftverteidigung hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die internationale Wiederaufbaukonferenz in Berlin eröffnet. (JOHN MACDOUGALL)

Dringende Appelle zur Stärkung der ukrainischen Luftverteidigung haben den ersten Tag der internationalen Wiederaufbaukonferenz in Berlin geprägt. "Der beste Wiederaufbau ist der, der gar nicht stattfinden muss", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag in seiner Eröffnungsrede. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verwies auf die unerbittlichen Luftangriffe, mit denen Russland sein Land in die Knie zu zwingen versuche. Die Ukraine müsse sich wehren: "Luftabwehr ist die Antwort."

Eigentliches Thema der zweitägigen Berliner Konferenz mit rund 2000 Teilnehmern aus mehr als 60 Ländern sind die längerfristige wirtschaftliche Stärkung und der Wiederaufbau der Ukraine. Das Treffen soll vor allem der Vernetzung von Akteuren aus Wirtschaft, Gesellschaft und Kommunen dienen. Konkrete Finanzzusagen stehen dabei nicht im Fokus. Angesichts der massiven militärischen Bedrängnis durch Russland standen aber auch Fragen der Soforthilfe hoch oben auf der Agenda.

Kanzler Scholz bat die Verbündeten in seiner Rede darum, die von Deutschland gestartete Initiative zur Stärkung der ukrainischen Luftverteidigung zu unterstützen - "mit allem, was möglich ist". Die Bundesregierung hatte diese Initiative im vergangenen Jahr ins Leben gerufen, um die Abgabe von Luftabwehrsystemen aus Beständen der Bundeswehr und befreundeter Staaten an die Ukraine zu fördern.

Scholz hob hervor, dass Deutschland in Kürze ein drittes Patriot-Luftabwehrsystem in die Ukraine liefern werde. Selenskyj bezifferte den Bedarf seines Landes in Berlin auf mindestens sieben solcher Patriot-Systeme.

"Es ist der Raketen- und Bombenterror, der den russischen Truppen hilft, am Boden voranzukommen", sagte Selenskyj. Solange Russland nicht der strategische Vorteil in der Luft genommen werde, habe Kreml-Chef Wladimir Putin "kein wirkliches Interesse daran, einen gerechten Frieden anzustreben".

Gemeinsam mit Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) besuchte Selenskyj den Truppenübungsplatz Sanitz bei Rostock, wo ukrainische Soldaten an den Patriot-Systemen ausgebildet werden. Pistorius sagte der Ukraine weitere 100 Patriot-Lenkflugkörper zu - dies sei "eine signifikante Anzahl", sagte er. Zudem werde Deutschland umgehend weitere Scharfschützengewehre, Panzerabwehrwaffen und mehrere tausend Strike-Drohnen liefern.

Am Nachmittag hielt Selenskyj eine Rede im Plenum des Bundestags, wo er Deutschland für die militärische Hilfe dankte: Diese habe tausende Leben gerettet. Die Ukraine wolle den Krieg beenden - aber nicht zu den Bedingungen des russischen Aggressors.

Die AfD und das BSW blieben Selenskyjs Rede demonstrativ fern - sie warfen dem ukrainischen Präsidenten vor, den Krieg unnötig zu verlängern. Von den anderen Fraktionen erhielt Selenskyj stehende Ovationen.

Ein Schwerpunkt der Konferenz lag bei der Frage, welche Rolle die Privatwirtschaft für einen nachhaltigen Wiederaufbau der Ukraine spielen kann. "Der Wiederaufbau und die Modernisierung des Landes werden massive Investitionen nötig machen", sagte Scholz. "Mit nahezu 500 Milliarden Dollar rechnet die Weltbank in den kommenden zehn Jahren." Angesichts dieser Dimensionen müsse auch "privates Kapital hinzukommen", sagte Scholz.

Selenskyj sagte auf der Konferenz, durch die russischen Raketen- und Drohnenangriffe sei seit dem Winter die Hälfte der Kapazitäten zur Stromerzeugung in der Ukraine zerstört worden. Allein in den vorangegangenen 24 Stunden habe Russland 135 Gleitbomben über der Ukraine eingesetzt, von denen jede rund eine Tonne wiege.

Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verwies auf die Härte der russischen Kriegsführung: "Putin möchte mit seinem brutalen Krieg die Lebensadern der Ukraine zerstören."

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte am Abend des ersten Konferenztags, von dem Berliner Treffen gehe ein Signal aus - nämlich "die Hoffnung für die Ukraine, diesen fürchterlichen Krieg zu überstehen".

Im Austausch mit Wirtschaftsvertretern sei der konkrete Wille zum Engagement in der Ukraine zum Ausdruck gekommen. "Das ist keine der Konferenzen, auf denen nur gelabert wird", sagte Habeck. Seine ukrainische Kollegin Julija Swyrydenko sagte, es seien mehrere Vereinbarungen unterzeichnet worden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte auf der Konferenz Kreditgarantien der EU in Höhe von 1,4 Milliarden Euro für den Wiederaufbau der Ukraine an. Diese Garantien sollen den Unternehmen im Land den Zugang zu Kapital erleichtern.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte der Ukraine auf der Konferenz weitere 100 Millionen Euro an deutschen Hilfsgeldern zu - vor allem für Maßnahmen der psychischen und psychosozialen Unterstützung.

pw/mid