Sigmar Gabriel und die Toten vom Mittelmeer

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Der SPD-Vizekanzler lobt Ägyptens Diktator. Dahinter steckt eine zynische Strategie. Denn der „Präsident“ wird noch gebraucht.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Manchmal dreht Sigmar Gabriel an großen Rädern. Dann hat er die Weltpolitik im Blick, das allgemeine Wohlergehen. Da muss man strategisch heran.

Neulich, in Kairo, war es wieder soweit. Da war der Vizekanzler, SPD-Parteichef und eben auch Bundeswirtschaftsminister mit einer 140-köpfigen Delegation in Ägypten unterwegs, es ging um Wirtschaftsbeziehungen und, natürlich, auch um Menschenrechte.

Unvermittelt sorgte Gabriel bei einer Pressekonferenz für offene Münder und gerunzelte Stirne. Er sagte zu einem ägyptischen Journalisten: „Ich finde, Sie haben einen beeindruckenden Präsidenten.“ Das Land sei dabei, sich „Schritt für Schritt zu demokratisieren“. Darf man sowas sagen?

Nein, denn es ist schlicht falsch. Unter der Führung von Abel Fatteh al-Sisi bewegt sich Ägypten in genau die gegensätzliche Richtung. Zuerst putschte der General den ersten frei gewählten Präsidenten ins Gefängnis, überzog das Land mit Todesurteilen gegen seine politischen Gegner und zertrat die letzten Reste jener Demokratie-Bewegung, welche den so genannten Arabischen Frühling bescherte. Er ist der Boss des Imperiums, das zurückschlägt. Al-Sisi ist eine Art Darth Vader des Nahen Ostens, der von einer Ordnung, seiner Ordnung träumt.

Unter seiner Führung agieren die Polizeikräfte und Geheimdienste noch brutaler und noch schamloser als unter Diktator Mubarak. Nach außen zeigt Ägypten Stabilität, nach innen überreizt sich die Gesellschaft wegen der zynischen Eskapaden des Militärapparats ungemein.

Was meinte er bloß?

Was also hat Gabriel in aller Welt mit seinen Worten sagen wollen? Im Nachhinein wagte er selbst einen Erklärungsversuch. Das „Handelsblatt“ zitiert den Reisenden mit den Worten, er habe als Politiker schon ganz andere Regierungen kennengelernt, die Menschenrechte missachteten, doch die habe man meist nicht offen auf dieses Thema ansprechen können. Das sei bei al-Sisi ganz anders. Der stelle sich der Debatte über Menschenrechte.

Gabriel findet es also „beeindruckend“, wenn er, in dicken Sesseln verschwindend, ein ehrliches Gespräch von Mann zu Mann führt, so ein echt ehrliches. Entweder ist Gabriel naiv oder zynisch.

Denn die Weltgeschichte kennt zahllose Diktatoren, welche den besten und ungemein wohlerzogenen Wortschatz pflegen. Es gibt mehr Diktatoren mit gefressener Kreise als konsequente Raubeine. Diktatoren sind ja nicht automatisch blöd. Die haben auch kapiert, was Marketing und Öffentlichkeit im 21. Jahrhundert bedeutet.

Da führt al-Sisi also mit Gabriel ein offenes und ehrliches Gespräch über Menschenrechte. Ich stelle mir vor, was er vorher und nachher gemacht hat; welche Befehle er erteilt hat und welches Briefing man ihm reichte, vielleicht die neuste Zusammenfassung der Untaten SEINER „Sicherheitsbehörden“, die vor kurzem den italienischen Doktoranden Giulio Regeni gefoltert, getötet und am Straßenrand abgekippt haben – nur weil er zu unabhängigen Gewerkschaften forschte.

Es spricht nichts dagegen, Handel mit Ägypten zu treiben. Auch eine große Wirtschaftsdelegation macht Sinn, es sei denn, es geht um Waffen. Regime können von innen verändert werden, und die Wirtschaft kann ein wichtiger Faktor dafür sein. Auch ist Ägypten ein armes Land, die Menschen sind schon genug geplagt mit ihrer Diktatur – da dürfen sie nicht auch noch mit Boykotten von Handelsabschlüssen bestraft werden.

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Dann aber noch sich hinzustellen und mit großen Augen zu erzählen, Eins plus Eins ergebe Drei – das ist starker Tobak.

Vermutlich hatte Gabriel gar nicht Demokratie und ähnliches Gedöns im Blick. Ihm und der Bundesregierung geht es um anderes; al-Sisi wird noch gebraucht werden. Das verraten Äußerungen auch anderer Regierungspolitiker aus Berlin.

Denn wir lassen gerade die Geschichte wiederholen. Vor dem Sommer 2015, vor der „Willkommenskultur“, versteckte sich Deutschland hinter dem Dubliner Abkommen und hoffte auf so wenig Menschen wie möglich, die es nach Deutschland schaffen. Vor diesem Sommer hatten wir uns an das Mittelmeer als Flüchtlingsroute gewöhnt, an die Toten. Die überlebenden Traumatisierten, die unser Land erreichten – die gingen unter in der allgemeinen Wahrnehmung.

Nun, seit Osteuropa dicht macht und die Probleme dennoch nicht gelöst sind, gerät das Mittelmeer wieder in den Fokus. Die Menschen werden weiter flüchten. Sie werden wieder in Boote steigen. Es wird wieder Tote geben. Und bisher schafft es Europa nicht, eine funktionierende Rettungsmarine aufzustellen.

Vermeintliche Strategen

Vorhang auf für al-Sisi. Der Diktator verspricht Stabilität. Von seiner Küste aus starten die Boote. Würde der General stürzen und Ägypten in Chaos, hieße das: noch mehr „Flüchtlinge“. Zum einen die aus Afrika und Syrien, die weniger kontrolliert ihr Glück über das Nilland versuchen würden. Und zum anderen wäre es auch eine Frage, wann sich die Ägypter selbst auf den Weg machen, ihrem Elend zu entfliehen.

Da kommt ein al-Sisi dem Gabriel und der Bundesregierung also recht.

Welche Lageanalysen schiebt man eigentlich den Bundespolitikern auf ihre Schreibtische? Dieses vermeintliche strategische Denken trägt einen fatalen Irrtum in sich. Dieser vermeintliche Weitblick ist blind wie ein Maulwurf. Denn die größte Gefahr für Ägypten geht von al-Sisi und der Offiziersclique aus. Sie legen dem Land die Daumenschrauben an. Auf Dauer wird das nicht gut gehen.

Wir aber setzen das Spiel zurück auf Los. Und starren auf das Mittelmeer.

Bild: dpa

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