Sigmar Gabriel warnt bei Illner: "Wenn die Ukraine verliert, leben wir in einer Vorkriegszeit"

Der einstige Vizekanzler Sigmar Gabriel machte bei
Der einstige Vizekanzler Sigmar Gabriel machte bei "Maybrit Illner" klar, er glaube an eine Scholz-Wende in der Ukraine-Frage. (Bild: ZDF / Jule Roehr)

US-Präsident Joe Biden soll nach Angaben aus US-Regierungskreisen dem Einsatz von US-Waffen auf russischem Gebiet stattgegeben haben. Das gelte aber nur für den Raum Charkiw. Das berichtete die Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstagabend unter Berufung auf einen Insider der US-Regierung.

Maybrit Illner las die Meldung vom Kurswechsel der USA live gegen Ende ihrer Sendung am Donnerstagabend vor. Zu diesem Zeitpunkt hatten ihre Gäste schon beinahe eine Stunde genau darüber diskutiert. Denn: Seit Tagen debattieren westliche Verbündete der von Russland angegriffenen Ukraine darüber, ob Kiew mit Nato-Waffen Ziele in Russland angreifen darf.

Jens Stoltenberg, der Nato-Generalsekretär und Emmanuel Macron, der französische Präsident, hatten sich zuletzt dafür ausgesprochen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dagegen zeigte sich skeptisch und sagte, dass er eine weitere Eskalationsstufe im Krieg befürchte.

"Ich glaube, dass Macron Recht hat", sagte der ehemalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD). Und weiter: "Es geht um viel mehr als die Ukraine." Der Logik nach müsste man es der Ukraine erlauben, Stellungen, aus denen sie angegriffen werden, zu verteidigen. Derzeit sei das ein "Hase- und Igel-Konflikt" und "wir sind die Hasen", so der Politiker. Gabriel war sich sicher: "Wenn die USA ihre Position verändern, werden wir das auch tun."

Roderich Kiesewetter (CDU) fand, dass Deutschland mehr tun müsse. "Der Kanzler hat sich zu ändern", forderte er im Hinblick auf den Einsatz von Nato-Waffen auf russischem Gebiet. "Es reicht nicht mehr zu sagen, Russland darf nicht gewinnen und die Ukraine nicht verlieren", sprach Kiesewetter Klartext und plädierte für ein "Whatever it takes".

Roderich Kiesewetter vertrat eine klare Meinung im Hinblick auf den Einsatz von Nato-Waffen auf russischem Gebiet:
Roderich Kiesewetter vertrat eine klare Meinung im Hinblick auf den Einsatz von Nato-Waffen auf russischem Gebiet: "Der Kanzler hat sich zu ändern." (Bild: ZDF / Jule Roehr)

Generalleutnant a. D. Ben Hodges sagte vor der Verkündung von Bidens Kurswechsel: "Ich glaube, dass mein Präsident letztlich zustimmen wird, weil ein Sieg der Ukraine von essenzieller Bedeutung für uns alle ist." Für Scholz und Biden sei der Mangel eines strategischen Ziels gleichermaßen ein Problem im Umgang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, erklärte Hodges: "Mein Präsident wie auch der Bundeskanzler haben beide eine übertriebene Angst vor einer russischen Eskalation."

Sabine Fischer, Russland- und Osteuropa-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), erkannte derweile "eine neuen Lage" im Krieg, seit die Ukraine von Russland aus beschossen wird. "Ich bin der Meinung, dass es völkerrechtlich gedeckt wäre, weil es um Selbstverteidigung geht", bekannte sie im Hinblick auf die Diskussion um die Nato-Waffen. Sie habe das Gefühl, dass Scholz in dieser Frage letztlich auch Biden folgen würde. Fischer betonte, dass es sich um eine "systemische Bedrohung" handele: "Das russische Regime befindet sich seit zehn, 15 Jahren im Krieg mit dem Westen."

Maybrit Illner debattierte mit ihrer Runde über das aktuelle Lagebild im Ukraine-Krieg. (Bild: ZDF / Jule Roehr)
Maybrit Illner debattierte mit ihrer Runde über das aktuelle Lagebild im Ukraine-Krieg. (Bild: ZDF / Jule Roehr)

"Was gerade passiert, ist ein historischer Moment", sagte Mychajlo Podoljak, der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Er gab sich zuversichtlich, dass Biden und Scholz die richtige Entscheidung treffen werden. Anders werde dieser Krieg nie enden. "Russland will das Chaos, und es will dieses Chaos dominieren", meinte Podoljak.

Dass ein Sieg Russlands eine Gefahr für die europäische und internationale Sicherheit wäre, darüber war sich die Runde bei "Maybrit Illner" einig. Massive Fluchtbewegungen, massive politische Destabilisation und eine enorme Belastungsprobe für das westliche Bündnis wären nur einige der Folgen, die laut Osteuropa-Expertin Fischer aus einem Sieg Russlands resultieren würden.

Deshalb, so Gabriel, könne er langsam ein politisches Umdenken beobachten. "Es setzt sich mehr und mehr durch, dass es ein Destabilisierungskrieg gegen Europa ist und wir uns als Nato dagegen wehren müssen", erläuterte er. "Wenn die Ukraine verliert, leben wir nicht in einer Nachkriegszeit, sondern in einer Vorkriegszeit", warnte der SPD-Politiker.