"Ich musste einfach mal weg"

"Ich musste einfach mal weg"
"Ich musste einfach mal weg"

Krankheiten und Verletzungen haben die vielversprechende Karriere von Franziska Preuß in den vergangenen beiden Wintern arg ausgebremst. Erst stürzte sie Ende 2021 auf einer Treppe und verstauchte sich den Fuß, dann folgte ein positiver Coronatest. So kam die Deutsche für Olympia in Peking nicht in Topform. Im Folgejahr musste Preuß dem hohen Pensum endgültig Tribut zollen, beendete die Saison wegen anhaltender gesundheitlicher Probleme vorzeitig und ließ unter anderem die Heim-WM in Oberhof sausen.

Zwischendurch dachte die 29-Jährige gar darüber nach, einen kompletten Schlussstrich zu ziehen. Doch spätestens die drei gewonnenen Goldmedaillen bei der deutschen Meisterschaft im September haben Preuß gezeigt, dass ihr Weg noch nicht zu Ende ist. Jetzt greift die Bayerin auch im Weltcup wieder an, könnte nach dem Rücktritt von Denise Herrmann-Wick die neue Leaderin im DSV-Team werden und spricht im SPORT1-Interview über die vergangenen Monate.

SPORT1: Frau Preuß, Sie haben sich im Januar nach anhaltenden gesundheitlichen Problemen dazu entschieden, die Saison 2022/23 abzubrechen. Darum die wichtigste Frage vorweg: Wie geht es Ihnen?

Preuß: Aktuell ist bei mir alles gut. Ich bin gesund und einigermaßen gut durch das Jahr gekommen. Im Vergleich zu dem, was ich in der Vergangenheit alles einstecken musste, hatte ich diesmal nur mit Kleinigkeiten zu kämpfen.

„Mental war das eine superschwierige Zeit“

SPORT1: Sie wollten die Zeit nutzen, um nach Ursachen für die immer wiederkehrenden gesundheitlichen Probleme zu forschen. Sind Sie zu einem Ergebnis gekommen?

Preuß: Ich hatte im Januar sehr viele Arzttermine, wo jeder ein bisschen was entdeckt hat. Einen Hauptauslöser hat man allerdings nicht gefunden. Aber als ich all das habe sacken lassen, was in der Zeit vor den Olympischen Spielen in Peking gewesen ist, war ich mir sicher, dass die ganzen Umstände einfach zu viel für meinen Körper waren. Ich habe so viele Baustellen gehabt, so viel Druck, überhaupt mitfahren zu können. Der Körper ist eben keine Maschine. Im Nachhinein war es vielleicht ein bisschen Harakiri, was wir da gemacht haben.

SPORT1: In der nacholympischen Saison hatten Sie reihenweise Rückschläge zu verarbeiten.

Preuß: Ich habe die Konsequenzen zu spüren bekommen, weil der Körper nicht alles mit sich machen lässt. Schon direkt nach Peking habe ich gemerkt, dass ich total kaputt und der Kopf leer war. Mental war das eine superschwierige Zeit. Danach ging die ganze Krankheitsmisere erst richtig los. Jetzt bin ich nur froh, dass ich damit abgeschlossen habe. Es war die einzig richtige Entscheidung, im Januar aus dem Weltcup rauszugehen, weil der Körper Entspannung brauchte. Da bin ich auch ein bisschen stolz auf mich selbst, dass ich trotz des ganzen Ehrgeizes, den es im Leistungssport nun mal gibt, so vernünftig war und irgendwann auf den Körper gehört habe.

SPORT1: Wie haben Sie die letzten Monate gestaltet, um wieder Kraft zu schöpfen?

Preuß: Nach der Ärzte-Rallye im Frühjahr bin ich relativ schnell nach Thailand ans Meer geflogen, in eine komplett andere Welt, in der sich niemand für Biathlon interessiert. Das war schon während der WM in Oberhof. Es war ein langer Prozess, der eigentlich schon im Herbst begonnen hat, in dem ich gespürt habe, dass die Erschöpfung zunimmt. Von vielen Leuten wurde ich darauf angesprochen, ständig bemitleidet, obwohl ich das Saison-Aus recht schnell verarbeitet hatte. Deswegen musste ich einfach mal weg - nichts mehr von Biathlon hören und sehen. Ich bin auch erst einmal allein geflogen, weil Simon (Schempp; Anm. d. Red.) im Prüfungsstress war. Es war eine großartige Erfahrung, die ganze Sache mit mir selbst auszumachen und zu sehen, dass das Leben weitergeht. Es war schön, Abstand davon zu bekommen. Die Zeit ist so schnell vergangen. Dann habe ich noch viel mit meiner Familie gemacht, das war extrem schön und hat gutgetan. Dort konnte ich auf eine andere Art und Weise neue Energie tanken.

„Gezweifelt, ob Leistungssport noch das Richtige ist“

SPORT1: Haben Sie aufgrund all der Krankheiten und Verletzungen mal daran gedacht, Ihre Karriere zu beenden?

Preuß: Schon. Im letzten Sommer habe ich ein bisschen daran gezweifelt, ob der Leistungssport noch das Richtige für mich ist, wenn man alle paar Wochen krank im Bett liegt. Es wäre gelogen, wenn man da nicht alles hinterfragt. Aber letztendlich kann ich gut mit Rückschlägen umgehen und mental damit arbeiten, weil ich daheim ein gutes Umfeld habe, das mich immer wieder aufbaut. Als Sportlerin schaut man sowieso nur nach vorne und hofft, dass es jetzt der letzte Rückschlag war. Das Ganze war ein Prozess, den ich Stück für Stück verarbeiten musste. Im Januar war es für mich einerseits schwer, die Entscheidung zu treffen und mir einzugestehen, dass es auf diese Art nicht mehr weitergeht. Andererseits war es auch leicht, weil mein Körper mir so viele Signale gesendet hat. Deswegen dachte ich mir: Wenn ich jetzt die richtige Entscheidung treffe und mich vernünftig erhole, dann kann es im Biathlon nochmal klappen. Das hat mich wieder motiviert.

Rückkehr zu alter Stärke

SPORT1: Bei Ihrer Rückkehr im September, den deutschen Meisterschaften, gewannen Sie gleich alle drei Titel im Sprint, Einzel und Verfolgung. Waren Sie davon selbst etwas überrascht?

Preuß: Mir war bewusst, dass einiges in mir steckt, wenn ich richtig trainiere und weiß, wo ich hin möchte. Aber ich musste mir das immer vor Augen führen, weil die Zweifel gleichzeitig nicht auszublenden waren. In einer Situation, wo Verunsicherung eine Rolle spielt, war ich nicht zum ersten Mal. Das ist Teil der Wahrheit. Es ist nicht jeder Tag nur Sonnenschein und super toll - in keinem Leben. Ich hatte auch meine Rückschläge, aber davon darf man sich nicht irritieren lassen. Wichtig ist, dass man den Spaß behält. Die deutsche Meisterschaft war deswegen extrem wichtig für mich, weil ich nach langer Zeit wieder Selbstvertrauen tanken konnte, im Biathlon Positives erlebt habe und die Zweifel endlich weniger wurden.

SPORT1: Weniger gut liefen zuletzt die Testwettkämpfe in Sjusjoen. Danach wurde bei einigen Nationen über Materialprobleme gesprochen, lag es daran?

Preuß: In Sjusjoen hat noch nicht alles zusammengepasst, mit den Rennen war ich unzufrieden. Ich hatte sowieso nur wenige Schneetage, bin im Oktober nochmal zwei Wochen krank gewesen und hatte daher nur zwei Wochen Zeit, um ins Training zurückzukehren. Es gab viele Gründe, weshalb es nicht so geflutscht ist. Ich werde in den Tagen bis zum Weltcup-Auftakt versuchen, alles zu stabilisieren und einen neuen Reiz zu setzen. Hoffentlich steigert das meine Form, bis es wirklich losgeht. Am Material werde ich bis dahin auch nochmal arbeiten und zusammen mit den Technikern versuchen, eine Lösung finden, um da ebenfalls ein Stück besser zu werden.

SPORT1: Was sind Ihre Ziele für die neue Saison?

Preuß: Für mich steht an erster Stelle, dass ich zurück ins Wettkampfgeschehen finde und die Routine wieder in die Abläufe bekomme. Wenn man so eine lange Zeit raus war, ist das nicht zu unterschätzen. In Östersund könnte es eine kleine Reizüberflutung geben. Ich glaube, dass ich mich im Vergleich zum letzten Jahr im Schießen verbessert habe. Das möchte ich so schnell wie möglich aus dem Training in die Rennen übertragen. Alles in allem schaue ich aber ganz auf mich, will die Sache mit der nötigen Gelassenheit angehen und nichts über das Knie brechen. Und dann hoffe ich natürlich, dass ich wieder dahin komme, wo ich mal war und mir Biathlon wieder Spaß macht.

Grotian? „Bin oft beeindruckt von ihren Qualitäten“

SPORT1: Was ist für das DSV-Team allgemein möglich?

Preuß: Jeder ist gut durch das Training gekommen, da hat niemand schwerere Ausfälle gehabt. Das ist erstmal die Basis, über die man froh sein muss. Ansonsten ist es vor der Saison extrem schwer, die Situation einzuschätzen. Was aber klar ist: Jeder von uns ist absolut motiviert. Wir wissen alle, dass wir im Weltcup nichts auf die leichte Schulter nehmen dürfen und immer Vollgas geben müssen. Und jetzt hoffen wir, dass wir mit den Besten mithalten können.

SPORT1: Mit Denise Herrmann-Wick hat das Frauenteam ihre Leaderin verloren. Wie wirkt sich das aus?

Preuß: Ich habe in den letzten Jahren ehrlicherweise gar nicht so viel mit Denise trainiert. Wir sind oft andere Wege gegangen, von daher hat es für mich keinen großen Unterschied gemacht. Es ist sowieso nicht das erste Mal, dass wir in einer solchen Situation sind - die gab es auch schon, als Magdalena (Neuner; Anm. d. Red.) oder Laura (Dahlmeier; Anm. d. Red.) aufgehört hatten.

SPORT1: Eine Nachwuchshoffnung, die eines Tages vielleicht in die Fußstapfen von Herrmann-Wick treten kann, ist Selina Grotian. Was trauen Sie ihr in diesem Winter schon zu?

Preuß: Selina bringt sehr viel Talent mit. Sie hat alle körperlichen Voraussetzungen, um eine richtige Top-Athletin zu werden. Am Schießstand bin ich oft beeindruckt von ihren Qualitäten. Im Training ist sie sehr selbstreflektiert und selbstständig. Auch da bin ich immer begeistert, wenn ich das mitbekomme. Ich traue ihr definitiv viel zu.

SPORT1: Neben Denise Herrmann-Wick sind noch weitere Top-Athletinnen wie Marte Olsbu Röiseland oder Tiril Eckhoff zurückgetreten. Ist der Kampf um den Gesamtweltcup deshalb so offen wie nie zuvor?

Preuß: Ja, bestimmt! Jeder sieht da seine Chance. Aber so viele von den älteren Athletinnen aufhören, so viele jüngere kommen auch nach. Es wird ein extrem spannender Winter.