Schumachers Vertraute traf der Schock erst nach und nach

Zum zehnten Mal jährt sich heute der folgenschwere Skiunfall von Michael Schumacher. Bei SPORT1 erzählen langjährige Wegbegleiter, wie sie die Tage erlebten - und was das Drama ihnen nahm.

Schumachers Vertraute traf der Schock erst nach und nach
Schumachers Vertraute traf der Schock erst nach und nach

29. Dezember 2013: Heute vor zehn Jahren ist Michael Schumacher beim Skifahren verunglückt.

Es war ein Unfall, dessen ganzer Horror erst Stück für Stück deutlich wurde. Besonders für diejenigen, die mit Schumacher vertraut waren. Wie der ehemalige AlphaTauri-Teamchef Franz Tost.

Der Österreicher war zunächst kaum besorgt, als vor genau zehn Jahren die ersten Meldungen über einen Skiunfall des siebenmaligen Formel-1-Weltmeisters auftauchten.

„Ich dachte nur: Wie groß muss die Bedeutung von Michael sein, wenn ein Sturz auf Skiern eine Meldung wert ist?“, erinnert sich der 67-Jährige bei SPORT1. Umso größer war der Schock, als klar wurde, wie folgenschwer der Sturz war. Welche entsetzliche Lücke er in die Sportwelt und vor allem auch die der Familie Schumacher gerissen hatte.

Schumachers Unfall: Die Folgen wurden erst nach und nach klar

Tost blickt auf eine lange persönliche Beziehung zu Schumacher zurück. Er kannte den Kerpener schon, als er 1989 im Formel-3-Team seines Managers Willi Weber von der F1 träumte, aber noch weit weg war von der Königsklasse des Automobils. Tost war Teammanager in Webers Rennteam und eine Art Tutor für Schumacher.

Michael Schumacher im Jahr 2012 (Photo by Robert Cianflone/Getty Images)
Michael Schumacher im Jahr 2012 (Photo by Robert Cianflone/Getty Images)

Der Tiroler analysierte seinen Fahrstil, ging Daten mit ihm durch und kümmerte sich auch um die entsprechende mentale Betreuung, denn Tost war überzeugt: „Bei allem Talent und Fahrzeugbeherrschung - Champions sind am Ende deshalb Champions, weil sie den Willen haben, sich immer wieder zu verbessern. Und dieser Wille wird vom Kopf gespeist.“

Tost erinnert sich bei SPORT1: „Bei Michael war genau diese Eigenschaft extrem ausgeprägt. Dazu gehörte auch: Wenn er mal am Boden lag, stand er schnell wieder auf und kam umso stärker zurück.“

Aus dieser Erfahrung heraus konnte sich Tost zunächst schlicht nicht vorstellen, wie heftig Schumacher von dem Ski-Sturz erwischt worden war: „Ich habe mir keine Sorgen gemacht, weil ich oft mit Michael beim Skifahren unterwegs war. Er war ein sehr guter Fahrer, der keine Risiken einging. Als mir dann die Auswirkungen des Unfalls bewusst wurden, konnte ich es gar nicht glauben. Ich war fassungslos und schockiert.“

Ralf Schumacher: “So etwas habe ich noch nie erlebt!“

Schumacher wurde in Grenoble notoperiert, das Krankenhaus in den folgenden Tagen von Fans und Journalisten belagert. Managerin Sabine Kehm wurde jedes Mal von unzähligen Mikrofonen umzingelt, wenn sie ein Statement zum Gesundheitszustand des Rekordweltmeisters abgab.

Das Medieninteresse nahm immer absurdere Züge an. Ein Journalist hatte sich sogar als Priester verkleidet, um Fotos vom Rekordweltmeister im Krankenbett zu schießen. Bruder Ralf Schumacher erinnert sich bei SPORT1: „Es war surreal. So etwas habe ich noch nie erlebt. Deshalb hat die Familie auch sehr schnell beschlossen, dass Michaels Gesundheitszustand ab sofort zur Privatsache erklärt wird. Das hat sich bis heute nicht geändert.“

Ralf Schumacher und sein Rolf Schumacher vor dem Grenobler Krankenhaus im Jahr 2014  (Bild: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images)
Ralf Schumacher und sein Rolf Schumacher vor dem Grenobler Krankenhaus im Jahr 2014 (Bild: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images)

Eins hat der Dschungel von Kameras und Mikrofonen aber auch gezeigt: welchen Stellenwert Michael Schumacher in der Gesellschaft hatte.

Besonders, aber nicht nur in Deutschland. Der einfache Junge aus der Kiesgrube im rheinländischen Kerpen, der nie mehr wollte, als so schnell wie möglich Auto zu fahren, hatte ein ganzes Land wachgeküsst und eine Euphorie entfacht, die sogar den Tennisboom von Boris Becker und Steffi Graf in den Schatten stellte.

Schumacher wird in Italien wie ein Heiliger verehrt

In Italien wird er wegen seiner fünf Titel mit Ferrari wie ein Heiliger verehrt. Am Tag seines Unfalls, der ein Jahr nach seinem Rücktritt als Rennfahrer geschah, wurde das noch deutlicher als zu seiner aktiven Zeit, die ihn mit sieben WM-Titeln und 91 Rennsiegen zum bis dahin erfolgreichsten Rennfahrer aller Zeiten machte.

Mittlerweile hat Lewis Hamilton Schumachers WM-Titelrekord egalisiert und mehr Siege geholt als der Deutsche. Was ihn und die anderen Superstars der Szene wie Jackie Stewart oder Alain Prost aber tragischerweise von Schumacher unterscheidet: Sie sind präsent.

Schumacher dagegen umgibt eine ähnliche Aura wie den legendären Brasilianer Ayrton Senna. Sein Tod in Imola 1994 hatte den dreimaligen Weltmeister unsterblich gemacht. Bei Schumacher ist es ähnlich. Auch wenn er lebt, er ist für die Öffentlichkeit nicht mehr da.

Als ob er vor zehn Jahren einfach verschwunden wäre und seither auf einer einsamen Insel lebt - ohne Telefon, Internet und nur in Kontakt mit der Familie. Das führt dazu, dass Fans und Bewunderer ihn auf die Stufe stellen, auf der nur der Mythos Senna steht.

Es bleibt reine Spekulation, was Schumacher heute ohne den Skiunfall tun würde, der ihn gerade in der Findungsphase für einen neuen Lebensabschnitt ereilte. Treue Weggefährten wie Ex-Mercedes-Teamchef Ross Brawn haben so eine Ahnung.

Der Brite, der Ferrari als Cheftechniker mit Schumacher zusammen aus einer Sackgasse auf die Straße des Triumphs führte, sagt: „Ich kann mir gut vorstellen, dass Michael heute ein Team hätte. Schon bei Mercedes gab es Gespräche, ob er irgendwann mal als Anteilseigner fungieren könnte. Die erste Stufe gab es bereits, denn er fungierte 2013 als Markenbotschafter.“

Und noch ein Gedanke, den Brawn im Gespräch mit SPORT1 äußert: „Mir wird immer klarer, dass er den Helm womöglich zu früh an den Nagel gehängt hat. Die Saat des Erfolgs bei Mercedes hat er in den Jahren 2010 bis 2012 gelegt. Und Fernando Alonso zeigt heute noch in ähnlichem Alter wie Michael damals, dass man auch mit über 40 Weltklasseleistungen bringen kann. Wäre Michael 2014 noch aktiv gewesen, er hätte den Titel holen können.“

Schumacher wird sehnlichst vermisst

Was bleibt: Schumacher fehlt. Zehn Jahre nun schon. Und nicht nur als Sportler wird er schmerzlich vermisst.

Franz Tost öffnete seine Gefühlswelt bei SPORT1: „Ich vermisse ihn, nicht nur als einen der besten Rennfahrer aller Zeiten, sondern besonders auch als Mensch. Mit ihm konnte man immer ganz offen reden. Er verstellte sich nie, sagte immer gerade raus, was er dachte. Politik und Intrigen gab es bei ihm nicht.“

Sicher ist: Der Mythos Schumacher wird weiter bestehen. Die Legende lebt. Auch wenn sich nichts ändern wird, wenn es um Neuigkeiten zu seinem Gesundheitszustand geht. Dafür sorgt, für die meisten zum Glück, die Familie.

Ehefrau Corinna hat den Grund des Schweigens eindrucksvoll auf den Punkt gebracht, als sie in einem äußerst seltenen Augenblick des Redens in der Schumacher-Doku bei Netflix emotional preisgab: „Früher hat Michael uns beschützt. Jetzt beschützen wir ihn.“

Video: Formel 1: Mick Schumacher mit Update zur Zukunft