Staatssekretär für Migration im Interview - „Abstrus! Scholz ruft Abschiebeoffensive aus und zeigt dann auf die Länder“
Siegfried Lorek ist in Baden-Württemberg Staatssekretär für Justiz und Migration. Im Interview fordert er eine bessere Identitätsklärung von Einreisenden und Verhandlungen mit den Taliban zu Abschiebungen nach Afghanistan. Die Regeln für Ukraine-Flüchtlinge will der CDU-Mann auf den Prüfstand stellen.
FOCUS online: Herr Lorek, Sie haben vor Ihrer politischen Karriere als Polizist gearbeitet. Wie sehr hat Sie der Tod von Rouven Laur, der in Mannheim bei einem Messerangriff von einem Afghanen getötet wurde, mitgenommen?
Siegfried Lorek: Massiv. Das war nicht nur für mich, sondern für alle Polizistinnen und Polizisten eine traumatische Situation. Die Anteilnahme in der gesamten Blaulicht-Familie und in der Bevölkerung insgesamt war immens, sie alle haben mit der Familie des getöteten Beamten gelitten. Bei der Gedenkveranstaltung der Polizei in Mannheim haben viele Menschen mit den Tränen gerungen, auch ich.
„Da stimmt irgendetwas im System nicht“
Der Täter ist ein radikaler Islamist, wie die Ermittlungen nun zeigen. Vor dem Messerangriff war er den Behörden allerdings nicht aufgefallen, weil er offenbar nicht Teil eines Terrornetzwerks ist. Was muss passieren, dass solche Gefährder dennoch rechtzeitig erkannt werden?
Lorek: Das ist einem solchen Fall sehr, sehr schwierig. Wenn einer zuhause Youtube-Videos schaut und sich dabei radikalisiert, haben die Strafverfolgungsbehörden kaum Anknüpfungspunkte. Aber gerade deshalb müssen wir schon früher ansetzen und aus Sicherheitsgründen viel genauer darauf schauen, wer denn eigentlich in unser Land kommt. In Baden-Württemberg gibt es rund 26.500 Ausreisepflichtige mit einer Duldung – ein Drittel davon wurde geduldet wegen einer ungeklärten Identität. Da wird schnell klar: Da stimmt irgendetwas im System nicht.
Was also muss dagegen getan werden?
Lorek: Für die Identitätsklärung benötigen wir eine breitere Rechtsgrundlage, zum Beispiel zur Auswertung von Datenträgern. Dann muss die Identität möglichst früh bereits im Asylverfahren festgestellt werden. Und natürlich braucht es dabei eine Kooperation mit den Herkunftsländern der Ausländer. Aktuell gibt es leider das Problem, dass die Staaten nicht immer bei der Klärung der Staatsangehörigkeit oder dann auch bei der Rücknahme dieser Menschen mitwirken, wie wir uns das wünschen würden. Die Bundesregierung muss auf diese Länder einwirken.
„Bei der Identitätsklärung müssen wir zu 100 Prozent korrekt sein“
Die Regierung hat auch in den eigenen Reihen ein Problem: Der FOCUS hat in der vergangenen Woche berichtet, dass gegen Mitarbeiter des Außenministeriums ermittelt wird , weil sie Kollegen in deutschen Botschaften und Konsulaten angewiesen haben sollen, Antragsteller mit unvollständigen oder offensichtlich gefälschten Papieren die Einreise in die Bundesrepublik zu genehmigen.
Lorek: Dafür habe ich keinerlei Verständnis. Bei der Identitätsklärung müssen wir zu 100 Prozent korrekt sein. Wenn es Unklarheiten gibt, müssen diese vor der Einreise zwingend ausgeräumt werden – nicht danach.
Die Innenminister von Bund und Ländern wollen Gefährder künftig auch nach Afghanistan abschieben , woher zum Beispiel der Mannheimer Täter ursprünglich kommt. Wie soll die Umsetzung gelingen?
Lorek: Ich finde es spannend, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser neulich sagte, sie prüfe das seit mehreren Monaten. Dabei ist das nicht neu. In Illerkirchberg in Baden-Württemberg haben 2019 mehrere Täter ein 14-jähriges Mädchen vergewaltigt. 2021 habe ich das Bundesinnenministerium auf das Thema hingewiesen, unsere Landesjustizministerin Marion Gentges ebenfalls zweimal, dazu mehrfach auf Fachebene. Wir hatten einen der Täter, einen Afghanen, bereits in Abschiebehaft, doch die Freiheitsstrafe war verbüßt und es gab keine Abschiebungsperspektive. Wir mussten ihn also freilassen . Wie soll ich das der Bevölkerung erklären? Die Bundesregierung kümmerte sich einfach nicht.
„Alles, was die Sicherheit der Menschen in Deutschland verbessert, ist notwendig“
Sollte die Bundesregierung also auch mit den Taliban verhandeln , um direkte Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen? Das würde die Terrorgruppe politisch aufwerten.
Lorek: Alles, was die Sicherheit der Menschen in Deutschland verbessert, ist notwendig. Es gibt auf der einen Seite ein humanitäres Aufnahmeprogramm des Bundes für gefährdete Afghaninnen und Afghanen. In diesem Rahmen gibt es bereits Kontakte zu der De-facto-Regierung in Kabul. Auf der anderen Seite hat der Bund bei Abschiebungen bislang erklärt, solche Kontakte seien schwierig. Jetzt bewegt sich endlich etwas. Es bleibt abzuwarten, mit welchem Erfolg.
Mehr Abschiebungen hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schon im vergangenen Jahr angekündigt.
Ich finde es abstrus, wenn der Kanzler die große Abschiebeoffensive ausruft und dann auf die Länder zeigt. Natürlich sind Abschiebungen Ländersache, aber der Bund ermöglicht seit August 2021 mangels faktischer Unterstützung keine Abschiebungen nach Afghanistan. Ich erwarte, dass die Regierung die Hürden aus dem Weg räumt, damit wir in den Ländern unseren Job machen können. Sobald das der Fall ist, haben wir alleine in Baden-Württemberg eine zweistellige Anzahl schwere Straftäter, bei denen wir alle froh sind, wenn wir sie außer Landes bekommen.
Markus Söder, der Gefährder ebenfalls schnell abschieben will, sagte, es bestehe die Gefahr, dass in der Bevölkerung der Eindruck entstehe, der Rechtsstaat sei zu liberal. Besteht nicht die Gefahr, dass mit einer solchen Argumentation das Asylrecht bis ins Illiberale hinein verschärft wird, wie das beispielsweise in Ungarn der Fall ist?
Lorek: Der Rechtsstaat hat in diesen Fällen seine Arbeit gemacht – nämlich entschieden, dass die Menschen ausreisen müssen. Die Bevölkerung kann zurecht erwarten, dass diese rechtstaatlichen Entscheidungen dann umgesetzt werden. Zudem müssen wir alles dafür tun, dass die Zugangszahlen nach unten gehen. Denn die Integrationsfähigkeit unseres Landes ist nicht unendlich. So wie aktuell kann es nicht weitergehen, das zeigen auch die Wahlergebnisse deutlich.
Bundesregierung muss Zugangszahlen senken – aus mehreren Gründen
Der Mannheimer Täter gilt manchen als „gut integriert“, er spricht Deutsch und hat einen Schulabschluss. Allerdings hatte er offenbar familiär und mangels eines festen Jobs nur wenige Kontakte außerhalb des Zuwanderer-Milieus. Ist das ein Problem und vereinfacht das möglicherweise eine Radikalisierung?
Lorek: Das ist gut möglich und auch das spricht dafür, die Zugangszahlen zu senken. Wenn es hier eine große ausländische Community gibt, ist es schon alleine durch die Sprachbarriere einfacher, sich nur in diesem Milieu aufzuhalten. Wären die Zahlen niedriger, würde auch die Integration derer die bereits hier sind, besser gelingen.
Ihre Parteifreundin, die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler, hat nach der Tat von Mannheim bei FOCUS online geschrieben , Muslime sollten sich fragen, ob man Leute im Umkreis dulde, deren Verhältnis zur Gewalt man zwar nicht teile, die man aber auch nicht an die deutschen Behörden ausliefern möchte. Gibt es davon tatsächlich so viele?
Lorek: Das lässt sich schwer sagen. Aber wenn nach den terroristischen Anschlägen der Hamas in Israel auf den Berliner Straßen gefeiert und Baklava verteilt wird, dann stimmt etwas nicht. Es muss eine klarere Distanzierung aller Gruppen gegen Gewalt geben. Und wenn es Gewaltaufrufe gibt, dann muss es eine harte Reaktion des Staates geben. Diese Menschen haben im Zweifel ihr Aufenthaltsrecht verwirkt.
Wo muss der Bund besser bei der Integration unterstützen?
Lorek: Das ist alles enorm finanzaufwändig. Immerhin gibt es jetzt eine Finanzierung des Bundes von 7500 Euro pro Flüchtling. Aber damit ist es lange nicht erledigt, die Integration kostet viel mehr. Zum einen muss die Bundesregierung mehr Geld zur Verfügung stellen, zum anderen insbesondere mit Grenzkontrollen dafür sorgen, dass wir insgesamt weniger Menschen integrieren müssen.
Wo müssen Sie in Baden-Württemberg besser werden, um durch eine gute Integration zugewanderte Menschen vor einer Radikalisierung zu schützen?
Lorek: Es gibt generell Probleme bzw. Engpässe bei den Themen Kindergartenplätze, Schule, Sprache. Aber auch die Verfahren müssen schneller werden, das gilt für die Asyl- und die Gerichtsverfahren. Wir sind im Bundesvergleich bei den Asylgerichtsverfahren schon recht schnell, wollen aber noch schneller werden. Deshalb haben wir in dieser Woche sechs zusätzliche Asylkammern an den Gerichten eingeführt.
Baden-Württemberg hat mehr Ukrainer aufgenommen als ganz Frankreich
Die Integration ist auch immer wieder im Zusammenhang mit ukrainischen Kriegsflüchtlingen Thema. Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, will diejenigen abschieben, die nicht arbeiten wollen. Teilen Sie diese Forderung?
Lorek: Sie wird wahrscheinlich verfassungsrechtlich schwierig umzusetzen sein. Im Grundsatz finde ich die Forderung aber richtig.
Wo wollen Sie stattdessen ansetzen?
Lorek: Ich bin überzeugt davon, dass wir das Leistungsniveau des Sozialstaats falsch gewählt haben. Deshalb war ich es, der schon im Herbst 2022 zusammen mit meinem CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Manuel Hagel und dem baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten Steffen Bilger gefordert hat, die Regeln so zu ändern, dass neuankommende Flüchtlinge kein Bürgergeld mehr bekommen. Das würde im Übrigen nicht bedeuten, dass sie alle ein Asylverfahren durchlaufen und damit die Behörden überlasten würden. Die Folgen der hohen deutschen Sozialleistungen sieht man im Vergleich mit Frankreich: Dort erhalten die ukrainischen Flüchtlinge deutlich weniger Sozialleistungen, deshalb sind in ganz Frankreich weniger Ukrainerinnen und Ukrainer als in Baden-Württemberg.
Die Entscheidung, den Ukrainern Bürgergeld zu bezahlen, haben Bund und Länder gemeinsam getroffen, auch Baden-Württemberg. Wird das Land also versuchen, das zurückzudrehen?
Lorek: Die CDU-Landtagsfraktion setzt sich dafür ein. Ursprünglich war der Beschluss gut gemeint, es ist aber niemand davon ausgegangen, dass der Krieg in der Ukraine so lange dauern wird. Jetzt ist es an der Zeit, über die Dinge neu zu überdenken.