Talk bei Maischberger: "Das größte Aussterben seit den Dinosauriern"

Umweltschutz ist teuer – wie groß ist die Bereitschaft in der Gesellschaft, Geld auszugeben? Die Runde bei Maischberger ist sich uneins. Foto: Screenshot / ARD
Umweltschutz ist teuer – wie groß ist die Bereitschaft in der Gesellschaft, Geld auszugeben? Die Runde bei Maischberger ist sich uneins. Foto: Screenshot / ARD

Der Naturschutz erhitzt die Gemüter: Das bayerische Volksbegehren „Rettet die Bienen!“ unterschrieben innerhalb kürzester Zeit fast zwei Millionen Menschen. Und auch der Wolf spaltet die Republik. Fast täglich werden gerissene Schafe vermeldet. Abschießen oder die bedrohte Tierart unter besonderen Schutz stellen? Maischberger fragt ihre Runde: Was ist uns der Naturschutz wert?

Die Diskutanten

Andreas Kieling (Tierfilmer und Abenteurer) beklagt das zunehmende Artensterben: „60 Jahre lang haben wir unser Land verseucht, und dann wundert man sich, dass die Natur stirbt.“

Karsten Schwanke (Wissenschaftsjournalist und Meteorologe). Welche Folgen kann das Aussterben einer Art für das Ökosystem haben? Welchen Anteil hat der Klimawandel? Diese und weitere Fragen hat er recherchiert.

Katharina Schulze, Bündnis 90/Grüne (Fraktionsvorsitzende Bayern), sagt: „Mit 1,75 Millionen Unterschriften ist das ‚Volksbegehren Artenvielfalt – Rettet die Bienen!‘ das erfolgreichste in der Geschichte Bayerns.“

Carina Konrad, FDP (Bundestagsabgeordnete und Landwirtin), sieht das bayerische Volksbegehren zur Artenvielfalt kritisch: „Die Forderungen sind realitätsfremd, schaden dem Wirtschaftssektor und dem Steuerzahler.“

Ronald Rocher (Schäfer), für ihn ist die Rückkehr des Wolfes existenzbedrohend. Er fordert von der Politik einen Plan, um die Anzahl der Raubtiere zu dezimieren: „Der Wolf gehört hier nicht her.“

Jan Fleischhauer („Spiegel“-Autor) kritisiert eine „Romantisierung des Naturschutzes“. Sentimentales Naturempfinden habe mit der Realität nichts zu tun.

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Der Wolf ist zurück in Deutschland, so erzählt es ein Einspieler vorweg. Ende 2018 wurden demnach 73 Wolfsrudel hierzulande gezählt. Kann das Wildtier dem Menschen gefährlich werden? Schützen oder schießen – auf diese Frage spitzt Maischberger den ersten Teil ihrer Sendung zu.

Verantwortlich für die Fakten ist an diesem Abend Journalist Schwanke, er ordnet zunächst ein: „Seit der Wolf europäisch geschützt ist und nicht mehr geschossen werden darf, verbreitet er sich. Es gibt die Angst in der Bevölkerung, gleichzeitig gibt es in Europa seit 1950 aber nur neun Todesfälle durch Wölfe, fünf Tiere davon waren tollwütig. In Nordamerika, dort gibt es die größte Wolfspopulation weltweit, ist seit 1950 niemand durch einen Wolf gestorben. Durch Hunde sterben weitaus mehr.“

Kieling, der sogar selbst in seinem sonnenverbrannten Gesicht die Liebe zur Natur trägt, sagt: „Wieso ist der Wolf wieder hier? Weil Deutschland das wildreichste Land Europas ist. Es gibt das meiste Rotwild. Das Beuteangebot ist also da. Der Wolf hat einen ökologischen Auftrag, um Wildtiere fit zu halten und selektiv zu jagen. Menschen gehören nicht zum Beutespektrum und Tollwut ist faktisch ausgerottet.“

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Der Wolf hält sich nicht an Regeln

Die FDP-Politikerin Konrad hat im Vorfeld der Sendung noch gesagt, es gebe eine reale Gefahr für den Menschen, will sich jetzt aber, trotz Nachfrage, nicht mehr darauf festnageln lassen. Sie sagt nur: „Tiere haben immer einen natürlichen Feind. Der Wolf hat keinen. Wenn der Wolf in unsere Lebensräume eindringt, dann muss man in der Politik die Gefahr ernst nehmen.“

Der Wolf aber ist gefährlich – für Schafe. Deshalb ergreifen Schäfer Schutzmaßnahmen, sie ziehen etwa spezielle Zäune um die Herde. Doch manche Wölfe springen darüber oder graben sich darunter hindurch – sogenannte Problemwölfe. Die geben ihr Wissen dann an andere Tiere weiter.

Schäfer Rocher will aber noch eine kurze Ergänzung machen: „Ich habe auch keine Angst vor einem gesunden Wolf. Aber was ist mit kranken, alten, angefahrenen Tieren?“ Dann erklärt er, dass er 600 Schafe hat und seit 15 Jahren auf seine Herde aufpasst: „Der Wolf ist ein Tier, das fressen will. Er hält sich nicht immer an Regeln. Mittlerweile wurden 50 meiner Tiere in fünf Übergriffen getötet in den letzten dreieinhalb Jahren.“

Kieling stammelt, völlig empört: „Ich fühle mich hier als Beschützer des Wolfs. Wie kann sich das Tier an Regeln halten, die wir Menschen machen? Wir missachten die Lebensregeln des Wolfs. Wie viele Osterlämmer essen wir, wie viele Lebensmittel werfen wir weg?“

Problemtiere entnehmen oder zum Abschuss freigeben?

Die Grünenpolitikerin Schulze sagt: „Wir haben eine Verpflichtung, das Tier zu schützen. Pragmatische Lösungen sind Ausgleichszahlungen. Dazu steht im Tierschutz bereits, dass Wölfe, die sich atypisch verhalten, also über Zäune springen, entnommen werden dürfen.“ Entnehmen ist hierbei der Euphemismus für abschießen.

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Die Alternative dazu, dass also nicht nur Problemtiere „entnommen“ werden, bietet Konrad. Sie will den Wolf ins Jagdgesetz schreiben und ihn damit zum Abschuss freigeben. „Jäger haben das grüne Abitur genossen, sie managen die Wildtiere, sie sind ausgebildete Naturschützer. Sie sollten verantwortlich sein.“

Kieling dazu: „Raubtiere regulieren sich über Beutetiere oder über Wildkrankheiten. Wenn wir nicht der Natur ins Handwerk pfuschen, macht die das von allein.“

Am Ende der Wolfs-Diskussion sagt Rocher noch einen Satz, der es Wert gewesen wäre, zu vertiefen: „Es redet niemand darüber, wie es uns Schäfern geht, am nächsten Morgen zur Herde zu kommen und die toten Tiere zu sehen.“ Das grabe sich nämlich ein, in den Kopf. Doch keine Zeit, jetzt geht es weiter mit der Biene.

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Die Biene ist wieder da

Die hat es mal wieder in die öffentliche Debatte geschafft, dieses Mal als „Wappentier“ einer Petition in Bayern. Fast zwei Millionen Menschen haben unterschrieben, dass sich die Politik für mehr ökologische Landwirtschaft einsetzen soll. Der Fahrplan lautet: Anteilig an der gesamten Landwirtschaft soll die ökologische 25 Prozent bis 2025 und 30 Prozent bis 2030 ausmachen.

Schwanke eröffnet wieder die Runde: „Durch die Bank haben wir bei fast allen Insekten eine besorgniserregende Abnahme. Die Biomasse ist stark reduziert. Das Problem ist, 90 Prozent der Pflanzen werden von Tieren bestäubt, wir brauchen die bestäubenden Insekten.“ Er zitiert hier die „Krefelder Studie“, darin haben Entomologen seit 1979 regelmäßig die Biomasse von Insekten bestimmt und eine Abnahme um die 75 Prozent festgestellt.

Konrad spricht bei der Studie von „gefühlter Wahrheit“: „Es fehlen uns Daten über das gesamte Land.“ Die Erhebungen seien regional zu begrenzt gewesen, um darauf basierend so weitgreifende Entscheidungen zu treffen.

Als er das hört, platzt Kieling fast der Kragen: „Es ist mir fast ein Rätsel, wie sowas wie Sie in einer Partei sein darf. Das sind Fakten, die Sie hier verneinen.“

Sind die Bauern schuld?

Und auch Schulze bekräftigt die Tendenz der Wissenschaftler aus Krefeld: „Alle Studien und rote Listen zeigen, dass wir eine dramatische Situation haben, wir haben ein Massensterben von Arten. Es ist das größte Aussterben seit den Dinosauriern. Das sollte uns alle beunruhigen. Wir brauchen mehr ökologische Landwirtschaft.“ Weiter erklärt sie die Grüne, wieso die Arten sterben, das liege „an zu viel Bebauung, zu vielen Pestiziden, weil es keine Gewässerrandstreifen gibt und zu wenig Biotopverbünde.” Deshalb müsse man politische Anreize schaffen, dass die Landwirtschaft im Einklang mit der Natur arbeiten könne. Durch Subventionen etwa.

Konrad dazu: „Landwirte wollen keine Bittsteller sein, sie wollen von ihrer Hände Arbeit leben. Schon heute geht jeder dritte Euro der Agrarpolitik in Umweltschutzmaßnahmen. Wie kann es sein, dass das Thema immer noch so groß ist? Wirken die Programme nicht richtig? Es gibt außerdem keine Nachfrage für ökologischen Produkte. Über 90 Prozent kaufen konventionelle Lebensmittel. Die Verbraucher zeigen nicht die Bereitschaft, das umzusetzen, was sie unterschrieben haben.“

Ökologische oder konventionelle Produkte?

Auch Fleischhauer argumentiert in diese Richtung: „Wie viele von denen gehen nach der Petition zu Penny und Norma und kaufen die billige Milch und das Nackenkotelett für 99 Cent. Wenn euch die Biene so am Herzen liegt, dann werden die Preise für Nahrungsmittel in Deutschland steigen.“ Dann, an die Politiker in der Runde gerichtet: „Schenken sie den Menschen reinen Wein ein, die Preise, an die sich die Verbraucher gewöhnt haben, wird es dann nicht mehr geben.“

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Nur sind die Produkte in erster Linie so billig, weil sie den Umweltschutz hintenanstellen und in der konventionellen Produktion intensiv Wasser verbrauchen und Ressourcen. Sie bringen beispielsweise Nitrat und Medikamente ins Grundwasser ein, das später teuer an anderer Stelle herausgefiltert werden muss. Die Kosten werden nur versteckt und verlagert. Und das könnte die Verbraucher weitaus teurer kommen.

Schulze erklärt es so: „Was wir heute ausgeben, um den CO²-Ausstoß zu reduzieren, müssen wir später nicht zehnfach bezahlen, um uns vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen. Die Nitratbelastung kostet uns 500 bis 700 Millionen Euro, nur um das Trinkwasser sauber zu halten. Was wir heute an Schutz und Umstellung in der Gesellschaft verschlafen, zahlen wir später x-fach.“

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