Ungarns Regierung sieht 900 No-Go-Areas in Europa

Victor Orbán ist ein Mann mit Weitsicht. Manchmal sieht er gar mehr als andere. Eine neue Regierungswebsite birgt brisante Geheimnisse.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Ungarn ist ein glückliches Land. Immerhin trägt es kein Stoppschild mit der Aufschrift „No Go“, die Ungarn können sich frei in ihrer Heimat bewegen. Weiter westlich sieht es düster aus, da prangern die Warnungen auf nahezu jeder Hauptstadt wie Berlin, Paris, London, Stockholm. Die armen Schweden! Womit kommen sie zu dieser zweifelhaften Ehrung?

Der Grund ist einfach. Eine liberale Politik gegenüber flüchtenden Menschen haben die Skandinavier, da liegen die Folgen auf der Hand. Eine Website der ungarischen Regierung erklärt es ihren Bürgern schonungslos.

In diesen Städten gebe es Gebiete, über die die Behörden „wenig oder gar keine Kontrolle“ hätten, heißt es dort nach Angaben von „Zeit-Online“. In den No-Go-Areas sei die Zahl der Einwanderer hoch und die „Normen der Gastgebergesellschaft gelten kaum“. Eine Zeituhr lässt auf der Seite symbolisch im Zwölf-Sekunden-Takt einen weiteren Menschen nach Europa einreisen. Schlimm! Insgesamt 900 solcher Gebiete hat Ungarns Regierung ausgemacht.

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Ich wollte es genau wissen. Unsere Hauptstadt, ein Ort gespickt mit No-Go-Areas? Ein Anruf bei der Botschaft Ungarns in Berlin, vielleicht wissen die genaueres. Haben die etwa einen Notfallplan, zur Evakuierung ihrer Mitarbeiter, wenn es zu wild wird auf den Straßen von Berlin?

„Also“, sagt der Presseattaché, „unsere Botschaft liegt bei Unter den Linden, die Gegend ist nicht gefährlich“. Aber wo sind nun die Kieze, in denen die Behörden wenig oder gar keine Kontrolle haben? Auf Anhieb fallen ihm keine Adressen ein, „in Neukölln“, und „Görlitzer Park“, und „Jugendliche haben mir erzählt, dass man abends das Kottbusser Tor meiden sollte.“

Nunja. Also, irgendwo in Neukölln gelten nicht mehr die Normen der Gastgebergesellschaft? „Es gibt da Friedensrichter“, gibt der Diplomat zu bedenken. Er habe da etwas in der Zeitung gelesen.

Aha. Was sind eigentlich die Informationsquellen für diese Website? „Das kann man alles im Internet und in Zeitungen nachlesen.“

Nun wird es mir doch zu bunt. Friedensrichter gibt es in Neukölln, aber die zwei, drei Hansel hebeln nicht den Rechtsstaat des Bezirks aus. Die Kriminalität am Kottbusser Tor hat sich in den vergangenen Monaten verdoppelt; das liegt indes einerseits nicht an „den Flüchtlingen“, sondern an Banden lang ansässiger Nordafrikaner. Und andererseits ist die Situation an dieser Partymeile nun auch nicht so, dass man Rambo mit dem Flammenwerfer nach Kreuzberg schicken müsste.

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Ist diese Website nicht einfach plakativ?

„Sie sind doch Journalist“, sagt der Attaché. „Die Titel sind so, damit die Leser weiterlesen.“ Außerdem, wann ein Areal zur „No-Go-Area“ würde, sei eine Frage der Definition, das werde in den deutschen Medien verschieden interpretiert.

Mir scheint, der Herr rudert gerade eifrig zurück. Sein Informationsfluss ist versiegt, da ist nicht mehr zu erfahren. Ich lege auf.

Bilder: dpa, AP

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