Vom Migrationspakt zur Wehrpflicht: Staatstragende CDU-Debatte in der Provinz

Die Kandidaten beantworten im abgelegenen Idar-Oberstein die Fragen der Parteimitglieder (Bild: Tobias Huch)
Die Kandidaten beantworten im abgelegenen Idar-Oberstein die Fragen der Parteimitglieder (Bild: Tobias Huch)

Rheinland-Pfalz, Idar-Oberstein. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner nennt es “im Zentrum von Deutschland”. Zentral heißt aber noch lange nicht gut erreichbar. So gestaltet sich die Anreise von der Landeshauptstadt Mainz in das für sein Edelsteinhandwerk berühmte Hunsrück-Städtchen sehr langwierig; es gilt eine quälende Autofahrt von gut 90 Minuten zu überstehen, die Bundesstraße führt durch zahllose Dörfer und Flecken, in denen spätestens um 18 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden.

Zu dieser Zeit, um 18 Uhr, begann dann auch zweite Regionalkonferenz der CDU mit den drei nominierten Kandidaten Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn und Friedrich Merz. Trotz Gratis-Wasser, leckerem Spießbraten (3 Euro) und ausnahmsweise genießbarem Kaffee (2 Euro) waren weit weniger Mitglieder angereist, als die Veranstalter sich erhofft hatten: Von 2.000 war anfangs die Rede, doch schließlich fanden sich maximal 1.200 Zuhörer in der Halle ein.

Der recht schwache Andrang lag sicherlich auch an der Wahl des Tagungsortes, der relativ kurzfristig von der Landeshauptstadt in die Provinz verlegt worden war; die Mühsal eines Trips in die Pampa mag zahlreiche Mitglieder aus Oberzentren und Großstädten, aber auch aus dem entfernteren rheinland-pfälzischen Umland und Hessen vergrault haben.

Die für Annegret Kramp-Karrenbauer wichtigen Saarländer hatten dagegen eine unkomplizierte Anreise, liegt Idar-Oberstein doch nahe der Grenze zu den Stammlanden der einstigen saarländischen Ministerpräsidentin. Heimvorteil, könnte man sagen.

Kramp-Karrenbauers Rolle als Lokalmatadorin war beim Applauspegel deutlich zu spüren. In Idar-Oberstein konnte sie sogar mit dem hochgelobten und mit großen Erwartungen überfrachteten Friedrich Merz mithalten, ihn gar bei einzelnen Punkten in der Publikumsgunst leicht übertreffen.

Applaus für Bekenntnis zum Migrationspakt

Klar gepunktet hat “AKK” vor allem bei einem Thema: Dem UN-Migrationspakt. Als einzige Kandidatin hat sie sich klar für diesen ausgesprochen; beim kommenden Bundesparteitag der CDU Anfang Dezember will sie für diesen werben – unabhängig davon, ob sie zur Vorsitzenden gewählt werden sollte oder nicht. Diese konsequente Haltung bescherte ihr der Halle fast tosenden Applaus.

Im Gegensatz dazu erntete Jens Spahn bestenfalls einen lauen Höflichkeitsapplaus, als er seiner Forderung nach einer offenen Debatte über den UN-Pakt erneut Nachdruck verlieh. Das Thema scheint also zumindest medial heißer gekocht zu werden, als es bei der CDU tatsächlich gegessen wird. Ob sich Jens Spahn mit der von ihm losgetretenen Kontroverse, die seiner Profilierung dienen sollte, am Ende nicht eher verzockt hat, bleibt abzuwarten.

Annegret Kramp-Karrenbauer genoss einen gewissen Heimvorteil und konnte mit ihrem Bekenntnis zum Migrationspakt punkten (Bild: Tobias Huch)
Annegret Kramp-Karrenbauer genoss einen gewissen Heimvorteil und konnte mit ihrem Bekenntnis zum Migrationspakt punkten (Bild: Tobias Huch)

Insgesamt verlief der Auftritt des jüngsten Kandidaten eher durchwachsen: Immer wieder fiel er mit sprachlichen Patzern und verbalen Fehlgriffen auf. So sprach er in Bezug auf die arbeitende Bevölkerung von “Malochern”, ein altertümlicher, heute eher abwertender Begriff aus dem Jiddischen. Diesen Bezug hatte sein Mitbewerber Friedrich Merz wohl nicht im Sinn, als er beim Thema Leitbild und christlichen Werten von “christlich-jüdischer Tradition” sprach.

Spitze gegen Guttenberg

Doch dies blieb nicht Jens Spahns einziger Ausfall: So verspottete er den ehemaligen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg – ohne ihn beim Namen zu nennen – als “Heilsbringer”, weil dieser die Wehrpflicht ausgesetzt hatte.

Ein interessanter Seitenhieb gegen die CSU, der umso vielsagender war, als zuvor Kramp-Karrenbauer und Merz die aktuelle Schwäche der CDU gerade auch als Folge des anhaltenden Streits beider Union-Schwesterparteien sahen und sich einen Burgfrieden herbeiwünschten. Es hat den Anschein, als ob für Jens Spahn der politische Gegner doch näher steht, als viele vermuten. Anders kann man diesen schmutzigen Angriff auf Guttenberg, bis heute einer der populärsten CSU-Politiker, kaum verstehen.

Für einen anderen “Heilsbringer”, Friedrich Merz, der am Ende der Ära Merkel vielen CDU-Veteranen nach wie vor als “weißer Ritter” und eine Art Erlöser erscheint, verlief der Abend an vielen Stellen äußerst zufriedenstellend. Er konnte durch seine wirtschaftliche Kompetenz und mit seinem klaren Bekenntnis zur Stärkung der inneren Sicherheit viel Zuspruch ernten. Merz will eine starke Bundeswehr und eine starke Polizei.

Er erkenne einen Werteverfall in der deutschen Gesellschaft, seit die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, und lobte folglich seine Mitbewerberin Kramp-Karrenbauer in recht hohen Tönen für ihren Mut, die Debatte um einen “allgemeine Dienstpflicht” neu angestoßen zu haben. Merz ließ keinen Zweifel daran, dass ihm dieser Vorstoß – sofern er auf stabilem verfassungsrechtlichem Boden steht – sehr sympathisch ist.

Einigkeit beim Thema Europa

Einigkeit bestand bei allen Kandidaten, was die Bedeutung und Wichtigkeit eines geeinten Europas angeht. Was heute viele für völlig normal und selbstverständlich erachten – Frieden, Freiheit und Sicherheit – war vor wenigen Jahrzehnten noch keineswegs selbstverständlich; die Soldatenfriedhöfe auf den zahllosen einstigen Schlachtfeldern Europas sprechen eine mahnende Sprache.

Dass Freiheit, Frieden und Sicherheit keine politische Selbstverständlichkeit, sondern ein immens wertvolles Gut sind, diese wichtige Erkenntnis wollen alle drei Kandidaten den jungen Menschen Europas vermitteln, damit diese sich des Wertes dieser Errungenschaften stets bewusst sind und nicht Extremisten von links oder rechts auf den Leim gehen, die die Axt an die europäische Friedensordnung legen.

Das Rennen zwischen Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer bleibt spannend (Bild: Tobias Huch)
Das Rennen zwischen Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer bleibt spannend (Bild: Tobias Huch)

Auch bei sozial- und wirtschaftspolitischen Themen zeigten sich große Übereinstimmungen zwischen den Bewerbern; alle bekennen sich zur Leistungsgesellschaft und zu sozialer Verantwortung.

Einige heikle Themen ausgespart

Abschließend betrachtet war diese Bezirkskonferenz eine weitere spannende Vordebatte, ein wichtiger Stimmungstest für den kommenden Parteitag. Was jedoch auffiel, war die überraschende Tatsache, dass keinerlei heiklen außenpolitischen Themen wie Waffenlieferungen an Saudi-Arabien oder die Haltung zur Türkei und Erdogan zur Diskussion gestellt wurden – obwohl Mitglieder kritischen Fragen hierzu eingereicht hatten. Es wäre interessant gewesen zu hören, wie die Kandidaten sich zu diesen akuten tagespolitischen Fragen positionieren, doch anscheinend war eine Debatte hierzu nicht erwünscht.

Abgesehen von diesem Wermutstropfen bleibt von der Idar-Obersteiner Regionalkonferenz dennoch der Eindruck einer fairen und – für CDU-Verhältnisse -relativ frischen Diskussion um den oder die neue Vorsitzende(n). Ob die Bewerber die Chance zur Profilierung auf dieser und den noch anstehenden Regionalkonferenzen für sich nutzen können, wird sich erst auf dem Wahlparteitag im Dezember zeigen.

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