Was das Sexualstrafrecht über uns Deutsche sagt

Bundesjustizminister Heiko Maas arbeitet an einer Reform. Doch die führt längst nicht weit genug – weil wir an grausigen Traditionen festhalten.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es war einmal ein Reformvorschlag, der lag ungeliebt herum. Von allen Seiten gab es Zweifel – das bestehende Gesetz reiche doch aus, es werde zu viel geregelt, es könnte zu massenhaften Falschanschuldigungen kommen: eine Reform des Sexualstrafrechts wollte einfach nicht gelingen in Deutschland im Jahr 2015. Doch dann kam „Köln“.

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Das bisherige Gesetz sagt: Eine sexuelle Handlung ist strafbar, wenn körperlicher Widerstand geleistet wird. Ein schlichtes „Nein“ reicht nicht aus. Wer geschockt reagiert und erstarrt, wer vielleicht früher traumatisiert wurde oder einfach schlicht Angst hat und aus der Situation schnell herauskommen will – hat schlechte Karten, vom Gericht eine Vergewaltigung auch als Vergewaltigung genannt zu bekommen.

Wir haben in Deutschland eines der antiquiertesten Sexualstrafrechte. Nachbarländer lachen darüber. Wir halten uns für modern und liberal, halten aber an Strafrahmen fest, die wie aus der Steinzeit klingen. Der Geist des jetzigen Gesetzes geht davon aus, dass jede Person Sex haben will, auch wenn sie das Gegenteil sagt.

Das Gesetz zementiert, dass Männer Angst machen können. Nur durch Blicke auf der Straße, durch Gesten und Sprüche. Dass sie eine Macht zeigen. Noch immer bagatellisieren wir sexuelle Übergriffe, Nötigungen und Vergewaltigungen – weil damit Machtverhältnisse andauern. Das Eigentumsrecht dagegen kennt viele Details und regelt die Schutzwürdigkeit etwa des Hausfriedens, der eigenen Geldbörse. Das Sexualstrafrecht aber strotzt vor Löchern; es erinnert mich an den Schulunterricht, als wir in „Ostfriesische Geschichte“ lernten, dass im Mittelalter für den Diebstahl der Nachbarskuh mehr Strafgeld zu entrichten war als für die Vergewaltigung der Nachbarsmagd.

Dabei ist es ganz einfach. Nein heißt nein. Jeder Mensch hat das Recht selbst zu bestimmen, ob, wann und mit wem er Sex haben will. Das Gesetz muss das schützen. Warum sollte ein „Nein“ nicht ausreichen? Wer dieses Wort ignoriert, betritt das Revier der Macht. Und diese Macht ist negativ, das Gesetz muss sie zurückdrängen.

Jetzt machen wir halbe Sachen

All dies steht aber selbst im neuen Entwurf einer Reform dieses Sexualstrafrechts nicht. Lange Zeit wurde er eh wie aus dem Giftschrank behandelt. Doch nun soll alles ganz schnell gehen, denn wir Deutschen sind jetzt plötzlich alle Neu-Feministen geworden – seit „Köln“.

Weil sich in der vergangenen Silvesternacht in Köln Nicht-Deutsche an deutschen Frauen vergingen, sind viele Politiker (die Politikerinnen waren es schon längst) nun sensibilisiert. Sie müssen ja Tatendrang vor den Wählern demonstrieren. Nun heißt es plötzlich: Grabschen, blöd anquatschen, antanzen – geht alles nicht. Früher hörte und schaute man darüber hinweg. Weil aber die bösen „Ausländer“ sich sowas erlaubt haben…werden jetzt Grenzen gesetzt, die indes nicht strikt genug sind.

Gesetze sind ein Spiegel der Gesellschaft. Wie wir Deutsche das Sexualleben regeln, erscheinen wir wie frisch aus der Höhle gestolpert. Denn sexuelle Übergriffe sind Verbrechen. Gesetze sagen auch: Das tut man nicht, abseits des Strafmaßes wirken sie tief in die Gesellschaft hinein. Daher wäre eine echte Reform jetzt wichtig.

Der Einwand, dass es dann zu vielen falschen Anschuldigungen kommen würde, ein „Nein“ sei ja schwer zu beweisen, führt ins Leere. Schon jetzt sind Gerichtsprozesse rund um Vergewaltigungsvorwürfe keine „leichten“ Verfahren, weil sie sich oft auf Aussagen stützen. Haben sie deshalb zugenommen? Nein, es werden höchstwahrscheinlich immer noch viele sexuelle Vergehen nicht angezeigt. Und auch Gesetzesänderungen wie das Verbot des Schlagens als Erziehungsmethode oder die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe – all dies hat zu keiner Prozessflut geführt, wohl aber in die Gesellschaft hinein gewirkt, zum Umdenken gebracht.

Nun müssen wir noch ein bisschen mehr nachdenken.

Bild: dpa

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