Weg von der großen Karriere? Was hinter dem Trend Downshifting steckt
Viele Arbeitnehmer entscheiden sich derzeit dazu, sich beruflich umzuorientieren, den Druck herauszunehmen und nehmen dafür auch Abzüge wie ein niedrigeres Gehalt in Kauf. Freizeit und eine bessere Lebensqualität sollen stattdessen im Fokus stehen. Die Rede ist von dem Phänomen Downshifting, bei dem eine "ausgeglichene Work-Life-Balance" eine weitaus wichtigere Rolle spiele als ein Karriereaufstieg, erklärt Dr. Torsten Grüttert, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Chefarzt der Privatklinik Duisburg, im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.
Was genau ist unter Downshifting zu verstehen?
Dr. Torsten Grüttert: Hektik, Stress, Leistungsdruck: Immer mehr Menschen fühlen sich überfordert und ausgepowert. Arbeitsverdichtung, Multitasking und Digitalisierung - dies alles lässt viele an ihrer Tätigkeit und deren Sinnhaftigkeit zweifeln. "Downshifting", also beruflich herunterzuschalten (was downshifting übersetzt bedeutet), eröffnet ihnen die Möglichkeit, "aus dem Hamsterrad" herauszukommen, sich neu zu orientieren und mehr Zeit für die wesentlichen Dinge des Lebens zu haben.
Warum ist Downshifting derzeit so im Trend?
Grüttert: Ursache dürften u.a. Arbeitsverdichtung, Multitasking, Digitalisierung sowie weitere Stress-Faktoren unserer Zeit sein, die uns einfach nicht mehr zur Ruhe kommen lassen. Hinzu kommt vielfach der Identifikations-Verlust mit der Arbeit. Aus diesen und weiteren Gründen wünschen sich viele Menschen ein sinnvolles, weniger aufreibendes Leben. Sie fühlen sich in ihrem Beruf und in ihrem Leben unwohl und suchen eine sinnvolle Alternative. Mehr Lebensqualität und eine ausgeglichene Work-Life-Balance spielen dabei eine weitaus wichtigere Rolle als der Erfolg im Job. Nicht selten gehen dem Wertewandel eine Lebenskrise oder ein Burnout voraus. Die Zahlen sprechen für sich: Experten schätzen, dass in Deutschland bis zu 20 Prozent der Berufstätigen im Laufe ihres Arbeitslebens burnoutartige Phasen durchleiden.
Wie funktioniert Downshifting?
Grüttert: Manche steigen ganz aus ihrem Job aus oder wechseln in eine andere Branche. Andere begnügen sich mit einer Arbeitszeitverkürzung.
Wie bereitet man sich darauf vor?
Grüttert: Vor diesem Schritt sollte man sich sehr gut überlegen, was man eigentlich will und wo der Weg hingehen soll - am besten gemeinsam mit Familie, Freunden sowie weiteren Beteiligten Vor- und Nacheile abwägen. Folgende Fragen können bei der Entscheidung helfen: Ist es vielleicht gar nicht der Beruf, sondern sind es vielmehr die momentanen Arbeitsbedingungen, die nerven? Wünscht man sich wirklich langfristig mehr Freizeit und Entspannung oder ist es eventuell nur aktuell besonders stressig? Und sind auch finanzielle Einschnitte und entsprechende Abstriche im Lebensstandard kein Problem?
Wie kommuniziert man sein Vorhaben mit dem Arbeitgeber?
Grüttert: Verständlicherweise reagieren viele Arbeitsgeber auf den Wunsch nach einem Downshifting überrascht und wenig begeistert. Schließlich passt das kaum zum traditionellen Bild und Prinzip unserer Arbeitswelt, in der Karriere und Pflichtbewusstsein entscheidende Rollen spielen. Oftmals sind Chef bzw. Chefin mit einer solchen Entscheidung schlichtweg überfordert. Erklären Sie, weshalb sie "herunterschalten" möchten und weshalb diese Lösung für beide Seiten gewinnbringend sein kann. Schließlich bedeutet dieser Schritt für Sie gesundheitliche Vorteile, mehr Glück und Zufriedenheit, was Ihrer Motivation und Produktivität nur förderlich sein kann.
Welche Gründe sprechen für das Downshifting?
Grüttert: Downshifting kann ein selbstbestimmtes Leben mit weniger Stress und mehr Zeit für Familie, Freunde und Hobbys bedeuten, kurzum: ein erfüllteres Leben dank neuem Blickwinkel: Beförderungen, Gehaltserhöhungen, Image - vieles, was zuvor wichtig war, verliert zunehmend an Bedeutung. Im Vordergrund stehen vielmehr Werte wie die Besinnung auf das Wesentliche, Lebensfreude und Zufriedenheit - summa summarum die individuelle Optimierung des eigenen Lebensentwurfs.
Welche Probleme könnten beim Downshifting auftreten?
Grüttert: Generell wird ein solcher Schritt in unserer leistungsorientierten Gesellschaft vielfach immer noch als Schwäche oder Versagen gesehen. Wer sich für ein Downshifting entscheidet, der akzeptiert in der Regel Einbußen in Karriere und Finanzen. Das kann einhergehen mit einer Arbeitszeitverkürzung, aber auch mit dem Verzicht auf eine Führungsposition oder sogar dem Ausstieg aus dem Job.
Generell macht sich das Downshifting nicht unbedingt gut im Lebenslauf. So mancher Personalchef sieht das vielleicht als Zeichen mangelnder Belastbarkeit oder fehlenden beruflichen Engagements. Nicht selten reagieren auch Kollegen und Mitmenschen mit Ablehnung, Widerständen oder Unverständnis darauf. Deshalb bitte nichts überstürzen - ansonsten endet das Donwshifting eventuell in einer Sackgasse.
Was sind Ihre Tipps beim Downshifting?
Grüttert: Zieht man ein Downshifting ernsthaft in Erwägung, so ist Reflexion gefragt: Zunächst sollte man sich gut überlegen, was man eigentlich will und wo der Weg hingehen soll. Ist es vielleicht gar nicht der Beruf, sondern sind es vielmehr die momentanen Arbeitsbedingungen, die nerven? Wünscht man sich wirklich langfristig mehr Freizeit und Entspannung oder ist es eventuell nur aktuell besonders stressig? Und sind auch finanzielle Einschnitte durch die beruflichen Veränderungen kein Problem?
Was halten Sie selbst von Downshifting?
Grüttert: Zeichnet sich ab, dass Job und Arbeitszeit nicht mehr zum eigenen Lebensentwurf passen, so ist Downshifting eine reale Option. Dabei sollten aber das Für und Wider, wie bereits ausgeführt, gut abgewägt werden. Klar ist: Downshifting ist längst nicht für jeden das Maß aller Dinge. Vielfach erschließen bereits Arbeitszeitverkürzung, Homeoffice (zumindest zeitweise) und mehrmalige Kurzurlaube statt der einmaligen mehrwöchigen Sommerferien ein gesünderes Verhältnis von Berufs- und Privatleben. Wer verstärkt auf eigene Bedürfnisse achtet, auch mal "Nein" sagt und sich etwas weniger aufbürdet, der kommt besser und gesünder durchs Leben - im Job ebenso wie in der Freizeit. Zudem hilft es manchmal bereits, weitere Lebensziele zu definieren, um nicht auf die 100-prozentige Identifikation im Beruf und den damit verbundenen "Sinn im Leben" angewiesen zu sein.
Dr. Torsten Grüttert ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Chefarzt der Privatklinik Duisburg. Behandlungsschwerpunkte sind Stress-Erkrankungen wie Burnout, Depressionen, Angststörungen sowie psychosomatisch bedingte Schmerzstörungen.