Eine Analyse von Ulrich Reitz - Grüne Ideologie statt Transparenz: Warum Baerbocks Visa-Affäre Habecks Atom-Aus ähnelt

Kleiner Parteitag der Grünen in Brandenburg<span class="copyright">Monika Skolimowska/dpa</span>
Kleiner Parteitag der Grünen in BrandenburgMonika Skolimowska/dpa

Grüne Ideologie vor Transparenz und Rechtstaatlichkeit? Der Visa-Fall Baerbock erinnert an den Kernkraft-Fall Habeck.  Dafür interessieren sich jetzt nicht nur Staatsanwälte.

Das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik hat gelitten, hat der Bundeskanzler gesagt. Als Grund dafür nannte Olaf Scholz die vielen Krisen. Es war nicht einmal ein halbes Schuldeingeständnis: für den Vertrauensverlust sind ausweislich der Meinungsumfragen nicht die Krisen verantwortlich, sondern der Umgang der Bundesregierung damit. Also ist konkret die Bundesregierung verantwortlich für diesen Vertrauensverlust, nicht irgendwelche abstrakten Krisen.

Baerbock und die Visa-Ermittlungen

Vertreter der Bundesregierung liefern für diesen Befund permanent Anschauungsmaterial. Nicht nur wegen der Koalitionsstreitereien über den nächsten Haushalt. Solche Auseinandersetzungen sind völlig normal, ganz gleich wer regiert. Anderes ist weniger normal. Es ist schließlich keine Kleinigkeit, wenn gegen das an und für sich ehrwürdige Auswärtige Amt, genauer gegen Mitarbeiter dort, staatsanwaltschaftlich ermittelt wird –  im Kern wegen Schleuserdelikten.

Zusätzliche Brisanz kommt in die Fälle von Visa-Erschleichungen , durch das „Timing“. Die Bundesregierung wollte als „Fortschrittskoalition“ die Migration, ursprünglich ein grünes Sujet, zu einem Gewinnerthema machen, aber die Einwanderung ist inzwischen zum Verliererthema geworden. Was viele Gründe hat.

Die „Einzelfälle“ häufen sich

Die Zahl der Messerattentaten in Deutschland nimmt zu, oft geschehen sie nach einem vergleichbaren Muster, bei dem Asylbewerber eine schwerkriminelle Rolle spielen. Wenn offensichtlich ein 18-jähriger Syrer in dem bis zu diesem Zeitpunkt idyllischen ostwestfälischen Städtchen Bad Oeynhausen einen 20-Jährigen auf dessen Heimweg von einer Abi-Feier umbringt, ist es zwar formal nur ein „Einzelfall“.

Der allerdings die Frage aufwirft, wie es sein kann, dass jemand, der der Polizei schon wegen Einbruchs- und Drogendelikten aufgefallen ist, überhaupt noch im Land sein kann. Es ist ein weiterer Fall offensichtlich brutalen Asylmissbrauchs: Was muss passieren, wenn ein 12-jähriger Syrer nach Deutschland kommt, um hier Schutz zu suchen und eine friedliche Zukunft, wenn derselbe angeblich Schutzbedürftige dann sechs Jahre später hier einen Menschen umbringt? Will man im ernst behaupten, es handle sich um vom Gastland zu verantwortende Integrationsdefizite?

Dieser Hauptverdächtige ist ein Syrer, wie auch jener 25-jährige Mann, der jetzt auf dem Stuttgarter Schlossplatz in der Fußball-Fanzone einen Messerangriff ausführte. Und kein Afghane. Jeder Messerangriff für sich ist ein Einzelfall – und doch sind es inzwischen viel zu viele Einzelfälle, um das Phänomen mit diesem Etikett zu marginalisieren.

Flüchtlinge und vermeintlichen Flüchtlinge, hauptsächlich aus islamischen Ländern, die ihr Gastrecht kriminell missbrauchen – es lässt sich nicht mehr abtun, verharmlosen, wegschwiemeln.

Diese Migrationspolitik verstärkt Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung

Annalena Baerbock redet ständig über „Menschen in Not“ denen zu helfen sie sich verpflichtet fühle. Zunehmend aber gerät die Bevölkerung des deutschen Gastlandes in Nöte durch eine Art der Migration, die auf Kontrollen verzichtet und das Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung verstärkt. Bei jeder Volksabstimmung käme diese Einwanderungspolitik wohl sofort an ihr Ende.

Dreimal so oft werden deutsche Jugendliche Opfer migrantischer Gewalt als umgekehrt. Und die Gefahr, als Jude Opfer zu werden, ist inzwischen in Deutschland 300-mal so hoch wie die, als Moslem Opfer zu werden, rechnen Juden vor. Die Bundesregierung reagiert auf das zunehmend für Juden gefährlicher werdende Leben in Deutschland nun mit einem Fragebogen, der Einbürgerungswilligen vorgelegt werden soll – sie müssen Fragen zum jüdischen Leben und zu Israel in einem “multiple choice”-Test ankreuzen. Die Antworten findet man mühelos im Netz. Wird man damit aus überzeugten Koran-Gläubigen, denen ihr Religionsbuch die Judenfeindlichkeit vorgibt, Antisemitismus aberziehen können? (Von Kalifat-Anhängern ganz zu schweigen.)

Seit heute gilt das neue Einbürgerungsrecht – ein hoch kontroverses Zentralprojekt der Ampelkoalition. Der oberste Liberale verteidigte es. Christian Lindner: „Ab heute steigen unsere Anforderungen an die deutsche Staatsbürgerschaft. Bisher konnte man mit antisemitischen Vorstellungen oder als Bezieher von Sozialleistungen, der noch nie hier gearbeitet hat, zu leicht den deutschen Pass bekommen. Genau das ändert sich nun.“ Dagegen AfD-Chefin Alice Weidel: „Das deutsche Staatsvolk wird ohne Einverständnis transformiert.“ Eine Wortwahl, die an die rechtsradikale Verschwörungstheorie der „großen Transformation“ anknüpft.

Schleuserverdacht gegen Baerbock-Ministerium

Aber auch der kundige Soziologe Ahmad Mansour hält das Großprojekt der Ampel für einen Fehler: „Viele Menschen, insbesondere diejenigen, die aus muslimischen oder patriarchalisch geprägten Ländern zu uns kommen, bringen eine andere Sozialisation und andere Werte mit, die teilweise massiv im Widerspruch zu unseren Grundwerten stehen.“ Die Einbürgerung müsse „am Ende einer erfolgreichen Integration stehen und nicht am Anfang“.

Zurück zu Annalena Baerbock. Es sieht ganz danach aus, als wird die Außenministerin sich im Bundestag ein weiteres Mal für die fragwürdige und womöglich auch rechtswidrige Praxis der Visa-Erteilung an Afghanen rechtfertigen müssen. Der Parlaments-Vizepräsident Wolfgang Kubicki, ein prominenter Vertreter der Ampelkoalition und obendrein versierter Jurist, hat schon einmal vorsorglich einen Schleuserverdacht gegen ihr Ministerium ausgesprochen.

Darauf, nichts gewusst zu haben, wird sie sich nun kaum berufen können. Es reicht ein Blick in die Protokolle des Bundestages, 96. Sitzung, Mittwoch, den 19. April 2023, Seite 11478. Dort befragt sie der AfD-Abgeordnete Petr Bystron konkret: „Wir haben den Beweis. Wir haben hier eine E-Mail aus Ihrem Amt, Referat 509, an die Botschaft in Islamabad, in der explizit dazu aufgefordert wird, auch bei gefälschten afghanischen Pässen Visa zu erteilen. Ist das Ihre Politik? Machen Sie das absichtlich? Oder machen das die Beamten, ohne dass Sie das wissen…“

Baerbock antwortet nicht konkret, aber sie sagt: „Wir beteiligen uns an nichts, was nicht legal wäre.“ Bystron antwortet ihr: „Ihr Ministerium hat uns schriftlich mitgeteilt, dass die Afghanen, die von Ihnen nach Deutschland eingeschleust werden, gar nicht verfolgt werden; das wissen Sie im Ministerium. Ich finde es auch schon sehr interessant, dass Sie es für rechtmäßig halten, wenn Ihr Ministerium Ihre Botschaft anweist, bei gefälschten Pässen Visa auszustellen. Das ist wirklich eine sehr interessante Einstellung zum Rechtsstaat.“ Das finden nun auch zwei Staatsanwaltschaften.

Petr Bystron hat eine Menge Ärger, gerade hat der Bundestag erneut seine Immunität aufgehoben, der AfD-Mann steht unter Schmiergeldverdacht. Bystron ist also prinzipiell ein schlechter Kronzeuge gegen Baerbock, nur: hier geht es um Fakten, die nicht davon abhängig sind, wer sie nennt, und auch nicht um Meinungen.

Fall Baerbock ähnelt jedenfalls dem Fall Habeck

Und es geht um Einlassungen von Baerbock, deren Rolle sie inzwischen in der eigenen Koalition kritisch bewerten. Und dann wird es noch um die Frage gehen, was Baerbock wann gewusst hat. So schnell dürfte die Ministerin mit neuerlich unterstrichenen Ambitionen auf eine grüne Kanzlerkandidatur diesen Fall nicht loswerden.

Der Fall Baerbock ähnelt jedenfalls dem Fall Habeck. Hier wie dort gab es klar Ansagen grüner Minister. Bei Baerbock, afghanische Helfer aus dem Land zu bringen, so viele wie möglich, bei Habeck, aus der Kernkraft auszusteigen, so schnell wie möglich und am besten endgültig. In beiden Fällen steht der Vorwurf im Raum, dass grüne Ideologie wichtiger war als Transparenz und Rechtstaatlichkeit.

Baerbock kann nichts für das Timing, den denkbar ungünstigen Moment, an dem die Vorwürfe nun relevant werden. Aber alles zusammen verdichtet sich eben doch zu jenem Vertrauensverlust, von dem der Bundeskanzler bei seiner Regierungserklärung gesprochen hat. Nur:

Der ist eben nicht vom Himmel gefallen.

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