"Angst, wenn es 2 Grad kühler wird": Gabriel appelliert an "Selbstbehauptungswillen" der Deutschen

Der ehemalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel war zu Gast in der Talkshow "maischberger" und sprach über die Energiekrise. (Bild: ARD / WDR)
Der ehemalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel war zu Gast in der Talkshow "maischberger" und sprach über die Energiekrise. (Bild: ARD / WDR)

"Ein bisschen mehr Mut dürfen wir schon haben": Zu Gast bei Sandra Maischberger versuchte Sigmar Gabriel den Deutschen die Angst vor kälteren Wohnungen auszutreiben. Zugleich warnte der ehemalige Wirtschafts- und Außenminister vor sozialen Verwerfungen - und forderte einen Gaspreisdeckel.

"Mein nächster Gast hat erst kürzlich gesagt, dass dieser Krieg das ganze Geschäftsmodell Deutschlands infrage stellt", kündigte Sandra Maischberger am Dienstagabend den ehemaligen Wirtschafts- und Außenminister Sigmar Gabriel in der ersten Ausgabe ihres ARD-Talks nach der Sommerpause an. Der einstige SPD-Chef hatte moniert, dass das Geschäftsmodell des Landes "nur auf billiger Energie" basiere. So müsse man schnellstmöglich eine Lösung für die nächsten Monate finden. Bei "maischberger. die woche" sprach er nun über den richtigen Umgang mit der Energiekrise und mit dem Aggressor Russland.

Zu Beginn wollte Sigmar Gabriel "eine Sache korrigieren": "Ich habe nicht gesagt, dass das Geschäftsmodell Deutschlands kaputt ist. Alles, was die Exportwirtschaft Deutschlands so erfolgreich gemacht hat, wird infrage gestellt." Dabei seien Rohstoffe nur ein kritischer Aspekt. "Wir haben eine ganz spezielle Überheblichkeit entwickelt, indem wir gesagt haben, wir wissen, wie man mit Russland umgeht", gestand der SPD-Politiker, der von 2017 bis 2018 Bundesaußenminister war.

In der Debatte um die steigenden Energiepreise sprach sich Gabriel die Einführung eines Gaspreisdeckels aus: "Ich bin sehr dafür, dass wir das, was Herr Habeck nicht möchte, trotzdem diskutieren: einen Gaspreisdeckel. Das finde ich vernünftig", erklärte er in der ARD-Sendung. Zwar sei ihm bewusst, dass die Kosten nur über ein Aussetzen der Schuldenbremse zu tragen wären. "Aber man hat dann nicht so schwere Verwerfungen, wie sie uns jetzt drohen."

"Ich bin sehr dafür, dass wir das, was Herr Habeck nicht möchte, trotzdem diskutieren: Einen Gaspreisdeckel. Das finde ich vernünftig", erklärt Sigmar Gabriel gegenüber Sandra Maischberger. (Bild: ARD)
"Ich bin sehr dafür, dass wir das, was Herr Habeck nicht möchte, trotzdem diskutieren: Einen Gaspreisdeckel. Das finde ich vernünftig", erklärt Sigmar Gabriel gegenüber Sandra Maischberger. (Bild: ARD)

"Putin würde sich dann doch wieder was einfallen lassen"

Gegenüber Sandra Maischberger sprach er sich für weitere finanzielle Entlastungen aus - insbesondere für die Menschen mit mittleren Einkommen. "Bei denen brauchen wir eine Grenze der Energiepreissteigerung. Das werden wir nicht durch Feinsteuerung machen können." Dabei sei es wichtig, "nicht den Falschen etwas zu geben" und genau darauf zu achten, wem eine Entlastung zustünde. Laut seinen eigenen politischen Erfahrungen würde "der Versuch, Mikromanagement zu betreiben", schlussendlich "mehr Geld für die Bürokratie der Kontrolle als die eigentliche Maßnahme" kosten.

Auf eine Entspannung der Lage in der von Russland überfallenen Ukraine zu setzen, hält der Sozialdemokrat ebenfalls nicht für zielführend. "Leider ist es so, dass der Krieg weitergehen wird und beide Seiten von der Überzeugung sind, dass sie gewinnen können", schätzt Gabriel die Lage ein. Darüber hinaus sei er davon überzeugt, dass auch nach einem Kriegsende weiterhin hohe Energie- und Rohstoffpreise anstehen. So halte er auch den Vorschlag von Gerhard Schröder, man solle Nord Stream 2 wieder aktivieren, für sinnlos.

"Putin würde sich dann doch wieder was einfallen lassen. Weil es für ihn viel schöner ist, wenn wir permanent in Spannung gehalten werden, wenn wir nervös sind, die Flamme hoch und runtergedreht wird." Vielmehr würde er lieber "eine europäische Regelung schaffen, dass man das Gas, das in Nord Stream 2 ansteht, beschlagnahmen kann. Als Ersatzvornahme dafür, dass jemand seinen Vertrag nicht einhält."

"Ein bisschen mehr Mut dürfen wir schon haben"

Trotz des Angriffskriegs sei ein Sanktionsstopp gegen Russland undenkbar. Ein solcher Vorgang würde vieles verschlimmern und neue Konflikte zum Vorschein bringen. "Russland könnte sich sammeln und seinen ursprünglichen Plan, die ganze Ukraine zu nehmen, fortsetzen", erklärte der frühere Top-Diplomat.

Schließlich gab er ein Gespräch wider, das er vor Kurzem mit einem 80-jährigen Mann geführt habe. "Dem habe ich was vorgejammert über die Schwierigkeiten", erinnerte sich Gabriel. Sein betagter Gesprächspartner habe erwidert, "er könne das nicht mehr hören. Wir sollten uns doch mal angucken, wie der Winter 47/48 gewesen sei. Und dann sollen wir mal die Klappe halten."

Zwar wolle er die Nachkriegszeit nicht mit der jetzigen vergleichen. "Aber ein bisschen mehr Mut dürfen wir schon haben. Ich finde, es hat was mit Selbstbehauptungswillen zu tun, wenn man nicht gleich Angst hat, wenn es zwei Grad kühler in der Wohnung wird. Und ich glaube, dass wir den Unternehmen helfen können."