Expertin Anabel Ternes - Wirtschaftswachstum oder Klimaschutz? So können wir beides schaffen

Solarpanels auf Stelzen stehen auf einem See in China<span class="copyright">Longhua Liao/Getty Images</span>
Solarpanels auf Stelzen stehen auf einem See in ChinaLonghua Liao/Getty Images

Die Wirtschaft will wachsen, doch der Klimawandel wird immer bedrohlicher. Müssen wir uns irgendwann entscheiden? Nein, schreibt Expertin Anabel Ternes. Im Gegenteil können Klima und Wirtschaft auch voneinander profitieren.

Die Welt steht vor einer dringenden Herausforderung: Wirtschaftswachstum und Klimaschutz. Während die Wirtschaften weltweit nach kontinuierlichem Wachstum streben, wird der Klimawandel immer bedrohlicher. Die Balance zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und ökologischem Schutz ist entscheidend. Jüngste Ereignisse, wie die extremen Wetterbedingungen im Jahr 2023, verdeutlichen die Notwendigkeit, diese beiden Aspekte in Einklang zu bringen.

Denn das Thema ist hochaktuell. Unternehmen investieren in nachhaltige Technologien, während Regierungen Regulierungen verschärfen. Die Gesellschaft fordert immer mehr Maßnahmen gegen den Klimawandel. Die zentrale Frage lautet: Ist eine Koexistenz von Wirtschaftswachstum und effektivem Klimaschutz möglich? Die Vorstellung von Zielkonflikten zwischen Wirtschaftswachstum und Klimaschutz ist weit verbreitet. „Viele glauben, dass wir entweder wirtschaftlich wachsen oder den Planeten schützen können,“ sagt der renommierte Klimaforscher Ottmar Edenhofer, „aber die Wahrheit liegt in der Balance.“

Die Erfolge des Wirtschaftswachstum - und seine Tücken

Wirtschaftliches Wachstum hat zahlreiche Vorteile. Es schafft Arbeitsplätze und verbessert den Lebensstandard. Innovationen und technologische Fortschritte werden gefördert, was langfristig zu einer nachhaltigeren Wirtschaft führen kann. Ein Beispiel dafür ist die deutsche Automobilindustrie, die trotz hoher Investitionskosten weiterhin in Forschung und Entwicklung investiert.

Jedoch bringt Wirtschaftswachstum auch Probleme mit sich. Die Umweltbelastung steigt, und auf einem endlichen Planeten kann unbegrenztes Wachstum nicht nachhaltig sein. Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zeigt, dass ohne drastische Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasen weltweit wirtschaftliche Schäden von bis zu 38 Billionen Dollar pro Jahr drohen. „Unsere aktuellen Wirtschaftspraktiken sind nicht tragbar,“ warnt Professor Hans Joachim Schellnhuber, Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts.

Warum es nicht ohne Klimaschutz geht

Verstärkter Klimaschutz ist notwendig, um katastrophale Klimaauswirkungen zu verhindern. Die drastische Reduzierung von Treibhausgasemissionen bringt langfristige ökologische und ökonomische Vorteile. Laut der deutschen Bundesregierung soll das Land bis 2050 weitgehend treibhausgasneutral werden, was tiefgreifende Veränderungen in der Industrie erfordert.

Ein Beispiel für Branchen mit hohem Konfliktpotenzial ist die Automobilindustrie. Hier stehen kurzfristige Interessen, wie die Aufrechterhaltung der Produktion, im Gegensatz zu langfristigen Klimazielen. Die Diskussion um die CO2-Reduktion und die damit verbundenen Kosten zeigt, dass eine Balance gefunden werden muss. Denn wir brauchen auch diese Industrie – ein Auslagern in andere Länder verschiebt das Problem nur. Es ist aber keine Lösung, siehe BASF.

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Wirtschaftswachstum oder Klimaschutz? So können wir beides schaffen

Es gibt bereits erfolgreiche Beispiele für die Integration von Klimaschutz in wirtschaftliches Handeln. Unternehmen wie Siemens investieren in erneuerbare Energien und nachhaltige Geschäftsmodelle. „Durch Investitionen in nachhaltige Technologien schaffen wir neue Märkte und sichern Arbeitsplätze,“ sagt Joe Kaeser, ehemaliger CEO von Siemens. Politische Rahmenbedingungen und Anreizsysteme spielen eine entscheidende Rolle. Ein höherer CO2-Preis, kombiniert mit niedrigeren Unternehmenssteuern, könnte Anreize für klimafreundliche Investitionen schaffen.

Jetzt braucht es nachhaltiges Wirtschaften, politische Rahmen - und bewusstes Konsumieren

Konzepte wie die Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz sind zentrale Elemente einer nachhaltigen Wirtschaft. Die Nutzung erneuerbarer Energien und grüner Technologien kann die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern. Eine Kreislaufwirtschaft, in der Ressourcen wiederverwendet werden, kann langfristig die Umweltbelastung reduzieren.

Regulierungen, Steueranreize und Subventionen sind notwendig, um den Wandel zu einer klimafreundlichen Wirtschaft zu unterstützen. Internationale Zusammenarbeit und globale Governance sind entscheidend, um die Klimaziele zu erreichen. Die EU spielt hierbei eine führende Rolle.

Ein Wandel im Bewusstsein und Konsumverhalten der Gesellschaft ist unerlässlich. Bildung und Wissenschaft tragen dazu bei, das Verständnis für die Notwendigkeit von Klimaschutzmaßnahmen zu fördern. KonsumentInnen müssen noch mehr verstehen, dass es auf jeden von uns ankommt – mit unserem Verhalten im Alltag und unseren Konsumentscheidungen für oder gegen nachhaltiges Wirtschaften.

„Wir müssen so wirtschaften, dass wir nicht auf Kosten der kommenden Generationen leben“

Wir brauchen passende Narrative, verständliche klare Wege und letztendlich einen Paradigmenwechsel. Wirtschaftswachstum und Klimaschutz dürfen nicht im Widerspruch stehen. Durch gezielte Investitionen in nachhaltige Technologien und Rahmenbedingungen, die sowohl wirtschaftliches Wachstum als auch Klimaschutz fördern, kann eine Balance gefunden werden. Ein klimaneutrales Deutschland ist möglich, wenn Wirtschaft und Politik gemeinsam an einem Strang ziehen – und die BürgerInnen verstehen, mitgehen und mitgestalten.

Man hat viel in der letzten Zeit über sie gewettert – aber letztlich zählt das, was Angela Merkel gut auf den Punkt bringt: „Wir müssen so wirtschaften, dass wir nicht auf Kosten der kommenden Generationen leben.“ Ein Bashing gegen Menschengruppen, problematische Industrien, vertane Chancen hilft uns jetzt nicht weiter. Was jetzt zählt ist: breit in der Bevölkerung Bewusstsein schaffen, Informationen verständlich vermitteln, Diskurse anregen, gemeinsam Herausforderungen angehen und miteinander Lösungen finden, denn kollaboratives Handeln und gesamtsystemisches Denken müssen Hand in Hand gehen.