Expertin Frauke Fischer - Naturschutz ist nervig? Stimmt - doch am Ende spart er uns Milliarden

Sonnenuntergang über Garmisch-Partenkirchen (Archivbild): Wie viel muss uns Naturschutz wert sein?<span class="copyright">Cyril Gosselin/Getty Images</span>
Sonnenuntergang über Garmisch-Partenkirchen (Archivbild): Wie viel muss uns Naturschutz wert sein?Cyril Gosselin/Getty Images

Nach der Verabschiedung des umstrittenen Renaturierungsgesetzes der EU toben die Kritiker. Expertin Frauke Fischer kann das verstehen: Naturschutz ist nun mal ein nerviges Thema. Aber am Ende, schreibt Fischer, spart er uns eine Menge Geld.

Letzte Woche wurde in Brüssel die „Verordnung zur Wiederherstellung der Natur“ (Nature Restoration Law) vom EU-Umweltrat verabschiedet. Landwirte und konservative Politiker toben, in Österreich hat die Abstimmung sogar zu einer Regierungskrise geführt – aber warum eigentlich?

Betrachten wir die Fakten: Biodiversität und Ökosystemleistungen, der Einfachheit halber im Folgenden mal Natur genannt, sind der größte Wirtschaftssektor weltweit. Kostenlos liefern sie Trinkwasser, Atemluft, fruchtbare Böden, Medikamente und Nahrung, stabilisieren das Weltklima und schützen vor Hitzetod, Überschwemmungen und Erdrutschen.

Die Natur: Unser bester Dienstleister

Mehr als die Hälfte des Bruttosozialprodukts sind direkt oder indirekt abhängig von den Leistungen der Natur. Bei einem Bruttosozialprodukt der EU von knapp 16 Billionen Euro im Jahr 2022 gehen also mindestens acht Billionen Euro auf das Konto der Natur. Rein rechnerisch ist das die Summe, die die Natur in den EU-Haushalt einzahlt.

Rein ökonomisch sollten wir uns also alle für den Erhalt der Natur stark machen, ist sie ja unser bester – und vor allem unersetzlicher – Dienstleister. Besonders gilt dies übrigens für die Baubranche, die Landwirtschaft und den Lebensmittelsektor, die für ihre jeweiligen Geschäftsmodelle besonders auf intakte Natur angewiesen sind.

Die Notwendigkeit in die Natur zu investieren, haben die EU-Staaten verstanden - und bereits im Jahr 2022 eine Studie in Auftrag gegeben, die den notwendigen Investitionsbedarf abschätzen sollte. Diese Studie kam zum Ergebnis, dass 48 Milliarden Euro jährlich für die Umsetzung der EU-weiten Biodiversitätsstrategie ausgegeben werden sollten, mehr als doppelt so viel wie in der Strategie von der EU vorgesehen.

Die Schäden werden teurer

Selbst wenn diese Investitionen getätigt werden würden, wäre das immer noch deutlich weniger als die 53,6 Milliarden Euro, die im Jahr 2023 für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU auch – und das tatsächlich - bereitgestellt wurden. Übrigens: Durch die Subventionen in den Agrarsektor und in Verbindung mit weiteren Unterstützungen, geben EU-Mitgliedsstaaten jährlich zwischen 34 und 48 Milliarden für Praktiken und Geschäftsmodelle aus, die nachweislich Natur schädigen.

In der EU wird also mehr Geld in die Zerstörung von Natur investiert als in ihren Schutz. Ökonomisch ist das unsinnig, weil wir die Leistungen der Natur entweder teuer, unzulänglich oder gar nicht ersetzen können. Torpedieren wir die kostenlosen Leistungen der Natur, wird das für uns teuer. So schätzt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft, dass Gebäudeversicherungen in den nächsten Jahren doppelt so teuer werden könnten wie bisher. Der Grund ist die Zunahme von Schadensfälle durch Extremwetterereignisse, die wiederum durch mehr Schutz und Wiederherstellung von Natur eingedämmt, oft ganz verhindert werden könnten.

Naturschutz sollte also nicht nerven, sondern unser aller Anliegen sein.

Geldverschwendung? Sicher nicht

Und jetzt zurück zum am 17. Juni 2024 in Brüssel verabschiedeten Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, dem ersten EU-weiten, umfassenden Gesetz seiner Art. Das Gesetz ist ein Schlüsselelement der europäischen Biodiversitätsstrategie, in der verbindliche Ziele für die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme gefordert werden, insbesondere derjenigen, die das größte Potenzial haben, Kohlenstoff zu binden und zu speichern und die Auswirkungen von Naturkatastrophen zu verhindern oder zu verringern. Diese Maßnahmen sollten bis 2030 mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen der EU und schließlich bis 2050 alle sanierungsbedürftigen Ökosysteme erfassen. Weil etwa 81 Prozent der natürlichen Lebensräume in der EU in schlechtem Zustand sind, gibt viel zu tun.

Ist das unsinnig?

Durch die Renaturierung von Feuchtgebieten, Flüssen, Wäldern, Grasländern und Meeren möchten die EU-Staaten die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen, die Widerstandsfähigkeit und strategische Autonomie Europas stärken, Naturkatastrophen verhindern und die Risiken für die Ernährungssicherheit reduzieren. Es geht also darum, das Leben der EU-Bürger sicherer, unabhängiger und angenehmer zu machen, und damit in Maßnahmen zu investieren, die unter anderem Versicherungspolicen weiterhin bezahlbar machen.

Ist das Geldverschwendung? Ganz sicher nicht - erzeugt doch jeder in die Wiederherstellung von Natur investierte Euro einen Nutzen von vier bis 38 Euro.

Es winkt ein gutes Geschäftsmodell

Dass es trotzdem so viel Gegenwind gibt, wenn es um neue Regelung für mehr Naturschutz und nachhaltigere Landwirtschaft geht, hat offensichtlich wenig mit wissenschaftlichen Fakten zu tun. Weil Wut und Empörung sich damit aber gegen sinnvolle Maßnahmen für unser aller Zukunftssicherung richten, müssen wir Wege finden, mehr Europäerinnen und Europäer mitzunehmen, also Naturschutz besser erklären und die entlohnen, die Biodiversität und Ökosystemleistungen schützen.

Die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen in der Fläche sollte sich zu einem guten Geschäftsmodell für Landwirte und die Baubranche entwickeln. Denn die Renaturierung der Natur kann ja von denen besonders gut umgesetzt werden, die über Land und Maschinen verfügen, es entsprechend umzubauen.