Geheime Preise, Lobbyarbeit und Milliarden-Investitionen: Wegen dieses Gesetzes streiten sich Pharma-Konzerne und Krankenkassen

Die Pharma-Hersteller begrüßen das neue Medizinforschungsgesetz. - Copyright: Getty Images / cagkansayin, Collage: Business Insider
Die Pharma-Hersteller begrüßen das neue Medizinforschungsgesetz. - Copyright: Getty Images / cagkansayin, Collage: Business Insider

Der Streit um das Medizinforschungsgesetz, das am Donnerstag im Bundestag beschlossen werden soll, ist Teil eines größeren Konflikts: Auf der einen Seite will Deutschland als Pharma und Forschungs-Standort attraktiver werden und muss dafür finanzielle Anreize für Konzerne wie Sanofi und Eli Lilly setzen. Zum anderen dürfen die Kosten der Gesundheitsversorgung aber nicht weiter explodieren.

Das Medizinforschungsgesetz, das aus dem Gesundheitsministerium von Karl Lauterbach (SPD) stammt, bewegt sich auf diesem schmalen Grat. Die Notwendigkeit des Gesetzes unterstrich Lauterbach mit den Worten: "Wenn Deutschland sich entscheidet, Investitionen zu tätigen und diese Forschung in Deutschland zu ermöglichen, dann ist das auch ein Beitrag für eine gesündere Zukunft für unsere Kinder".

Konkret will Lauterbach mit dem geplanten Gesetz Veränderungen in der Medikamenten-Bepreisung vornehmen. Beispielsweise sollten die Erstattungsbeträge – die Preise, die Pharma-Konzerne von den Krankenkassen für ihre Medikamente bekommen – unter gewissen Umständen geheim bleiben. Zum Beispiel, wenn der Hersteller aktiv in Deutschland forscht.

Pharma-Konzerne wie Eli Lilly fordern seit Jahren solch eine "Vertraulichkeit" bei den Erstattungsbeträgen und sagen, dass sie bestimmte Medikamente nur so in Deutschland anbieten könnten. Kritiker befürchten jedoch, dass die Intransparenz zu Mehrkosten für das Gesundheitssystem führt. Was ist dran an den Vorwürfen? Welche Rolle spielen die Milliarden-Ansiedlungen von Eli Lilly und Sanofi in Deutschland? Hier ist alles, was ihr zum Medizinforschungsgesetz wissen müsst.

Die Kontroversen um das Pharma-Gesetz

Weite Teile der Gesundheits-Branche sehen das Gesetz kritisch, so auch der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV). Der Verband befürchtet, dass die Krankenkassen durch die Geheimpreise jährlich Mehrkosten in Milliardenhöhe stemmen müssten.

Denn aktuell ist es so, dass der Erstattungsbetrag (das Geld, was Krankenkassen den Pharma-Konzernen für ihre Mittel zahlen) durch den AMNOG-Prozess bestimmt wird. Hier einigen sich die Pharma-Konzerne und die Krankenkassen auf einen Betrag, der danach veröffentlicht wird. Ärzte können dann basierend auf dem Erstattungsbetrag entscheiden, welches Medikament sie verschreiben. Am Ende übernehmen die Kosten für die verschriebene Arznei dann die wieder die Kassen.

"Ohne Kenntnis des vertraulichen Erstattungsbetrages kann der Vertragsarzt das für die GKV effektiv preisgünstigere Arzneimittel (…) nicht erkennen und auswählen", warnt der GKV-SV in einer Stellungnahme vom Juni. Die Intransparenz könne zu "Mehrausgaben in Milliardenhöhe" führen.

Spitzenpolitiker beim Spatenstich der neuen Eli Lilly Fabrik in Alzey (Rheinland-Pfalz). - Copyright: picture alliance/dpa | Arne Dedert
Spitzenpolitiker beim Spatenstich der neuen Eli Lilly Fabrik in Alzey (Rheinland-Pfalz). - Copyright: picture alliance/dpa | Arne Dedert

Einige Pharma-Konzerne sehen das jedoch anders. Der US-Konzern Eli Lilly, der eine 2,3 Milliarden-Fabrik in Deutschland bauen wird, erklärt auf Anfrage, dass vertrauliche Rabatte in einigen Fällen ein Instrument sein können, um "innovative Medikamente in Deutschland überhaupt erst Patienten verfügbar zu machen". In Branchenkreisen hört man das Argument, dass Pharma-Konzerne so auch günstigere Preise akzeptieren könnten, ohne ihre Gewinnmargen im Ausland durch den niedrigeren Preis in Deutschland zu belasten.

Zudem werden mit dem Medizinforschungsgesetz die Sparvorgaben, die für Pharmaunternehmen seit 2023 gelten, für Arzneimittel mit einem "relevanten Anteil klinischer Prüfung in Deutschland" für drei Jahre aufgehoben. Die Vorgaben, in der Branche als "Leitplanken" bekannt, besagen, dass neue Medikamente mit geringem Zusatznutzen nicht teurer sein dürfen als die bereits vorhandene Therapie.

Pharma-Konzerne fordern seit Jahren vertrauliche Preise

Die Pharma-Hersteller begrüßen das neue Gesetz. Han Steul, Präsident des Branchenverbandes forschender Pharma-Unternehmen (vfa), sagte: "Das Medizinforschungsgesetz ist das bislang wichtigste Ergebnis der Pharmastrategie der Bundesregierung. Die Regierung zeigt, dass sie auf die forschende Pharmaindustrie als Schlüsselbranche setzt." Die Rahmenbedingungen für Arzneimittelentwicklung seien so "deutlich verbessert".

Das Medizinforschungsgesetz regelt, dass Pharma-Konzerne nach der Preisverhandlung entscheiden können, ob der Preis öffentlich wird oder geheim bleibt. Sollte er geheim bleiben, sinkt der Erstattungsbetrag um 9 Prozent. Jedoch gibt es eine Sunset-Klausel, nach der die neuen Vertraulichkeits-Regelungen in 2028 auslaufen, wenn sie nicht verlängert werden.

Ist das trotzdem ein Erfolg für die Pharma-Konzerne?

Ein Sprecher von Eli Lilly erklärte auf Anfrage, dass man seit mehr als zehn Jahren sich für die Vertraulichkeit von Erstattungsbeträgen einsetze. "Auch weiterhin besteht künftig keine Verpflichtung für Hersteller, Vertraulichkeit zu wahren", so Eli Lilly weiter. Dass die Preise öffentlich sind, werde laut Eli Lilly "der Regelfall bleiben".

Auch der Schweizer Pharma-Konzern Roche sieht die Vertraulichkeit positiv: "Die Option der Vertraulichkeit kann in einzelnen Situationen den Marktaustritt von Produkten aus Deutschland verhindern. Die Möglichkeit zur Vertraulichkeit in ganz speziellen Situationen ist somit eine Option im Austausch zwischen Unternehmen und GKV-Spitzenverband und eine Ergänzung der deutschen Erstattungsregeln." Jedoch sei es "kein Schlüssel für verlässliche Erstattungsbedingungen."

Doch nicht die gesamte Pharma-Branche freut sich über das kommende Gesetz.

Pharma-Importeure sehen Intransparenz kritisch

Die geheimen Preise wären ein Problem für die Arzneimittel-Importeure, erklärt Jörg Geller, Vorstandsvorsitzender des Verbandes "Die Arzneimittel-Importeure e.V.".

"Wir als Arzneimittelimporteure sind darauf angewiesen, durch Einkauf im europäischen Ausland ein günstigeres Angebot an die Krankenkassen, Ärzte und Apotheken zu machen, als der Preis, den der Originalhersteller in Deutschland fordert", so Geller im Gespräch mit Business Insider. Wenn die Preise in Deutschland jedoch unbekannt seien, "können wir den Ärzten nicht mehr sagen, dass die von uns importierten Medikamente günstiger sind."

Zudem würde das Gesetz am größten Problem, nämlich den Lieferengpässen bei Medikamenten, nicht helfen. Geller sagt daher, er könne es nachvollziehen, wenn Krankenkassen höhere Beträge für in Deutschland hergestellte Arzneimittel zahlten. Schließlich seien in den letzten Jahren viele Produktionsstandorte nach Indien oder China verlagert worden. "Aber warum sollte ein Patient dafür bezahlen, dass eine klinische Forschung für ein Produkt ohne Zusatznutzen in Deutschland stattgefunden hat?"

Die Produktionslinie in einer chinesischen Pharma-Fabrik. - Copyright: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Zhang Wenkui/Sipa Asia
Die Produktionslinie in einer chinesischen Pharma-Fabrik. - Copyright: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Zhang Wenkui/Sipa Asia

Außerdem würden auch die bestehenden Investitionen, wie die geplante Milliarden-Fabrik von Sanofi bei Frankfurt oder die Eli-Lilly-Produktionsstätte in Rheinland-Pfalz nicht an solchen Geheimpreisen hängen. "Da gibt es ganz andere Gründe, die dazu führen, dass sich ein Unternehmen hier ansiedelt."

Ansiedlung hängt nicht von Gesetz ab, sagt Eli Lilly

Business Insider hat nachgefragt, welche Rolle das Medizinforschungsgesetz wirklich für die Pharma-Riesen bei der Ansiedlungsentscheidung spielt: "Der Bau der Hightech-Produktionsanlage in Alzey ist unabhängig von der Ausgestaltung des Medizinforschungsgesetzes," klärt Eli Lilly auf Anfrage.

Welche Auswirkung das Gesetz also auf den Pharma-Standort Deutschland haben wird, bleibt abzuwarten. Durch die Sunset-Klausel hat man einen festen Zeitraum gesetzt, in dem sich die Politik sich mit dem Geheimpreise erneut befassen muss. Es ist davon auszugehen, dass sie auch dann umstritten sein werden.