Gilt ab 27. Juni - Alarm in den Amtsstuben: Tausende wollen Deutsche werden - das führt zu Antragsflut

Hinweisschild im Koblenzer Ordnungsamt - Zur Einbürgerung nach rechts unten<span class="copyright">imago images / Thomas Frey</span>
Hinweisschild im Koblenzer Ordnungsamt - Zur Einbürgerung nach rechts untenimago images / Thomas Frey

In den vergangenen vier Jahren hat sich die Zahl der Menschen, die einen deutschen Pass haben wollen, bereits verdoppelt. Jetzt tritt das neue Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft. Die zuständigen Ämter bereiten sich auf eine noch nie dagewesene Antragsflut vor.

Am 27. Juni 2024 tritt die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in Kraft. Dadurch erhalten deutlich mehr Menschen den Anspruch, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Die entsprechenden Anträge werden nach der Gesetzesänderung voraussichtlich stark ansteigen. Doch schon jetzt stapeln sich in den Behörden die ausgefüllten Formulare mit dem Wunsch nach Einbürgerung.

Nach einer Befragung des vom Bund und privaten Stiftungen finanzierten „Mediendienstes Integration“ warten derzeit in den größten deutschen Städten mehr als 200.000 Menschen darauf, dass ihr Antrag genehmigt wird. Mit der Staatsangehörigkeitsreform wird dieser Antragsberg noch deutlich anschwellen.

Rekordjahr für Einbürgerungen

In den 45 deutschen Städten, aus denen dem Mediendienst Antragszahlen vorliegen, wurden 2023 insgesamt rund 126.000 Anträge auf Einbürgerung gestellt. Das sind 19 Prozent mehr als 2022 (rund 106.000) und mehr als doppelt so viele wie noch 2020 (rund 60.000). Die meisten Einbürgerungsanträge wurden in Berlin, Hamburg und München gestellt.

Allein in Berlin sind 2024 bereits mehr als 16.000 Online-Anträge eingegangen, so ein Sprecher des Landesamtes für Einwanderung (LEA). Auch bei den abgeschlossenen Einbürgerungsverfahren gab es in vielen Städten Zuwachs: In Bochum hat sich die Zahl der Einbürgerungen 2023 beinahe vervierfacht, in Mönchengladbach, Potsdam und Magdeburg ist sie mehr als doppelt so hoch wie 2022.

Menschen aus Syrien machten in nahezu allen Städten, die Daten geliefert haben, die größte Gruppe unter den Antragsstellern aus. Der Irak steht an zweiter Stelle der Herkunftsstaaten, an dritter Stelle die Türkei. Weitere wichtige Gruppen waren im Jahr 2023 Menschen aus dem Iran und Afghanistan.

Mit den mehr als 200.000 Anträge, die aktuell in den Großstädten in Bearbeitung sind, wird die gesamte Zahl der Einbürgerungen in Deutschland aus dem Jahr 2023 bereits übertroffen. Dazu kommen Einbürgerungsinteressierte, die auf einen Termin bei den zuständigen Behörden warten und die in den Antragszahlen noch nicht erfasst sind, schreibt der Mediendienst.

Staatsangehörigkeitsrecht: Zentrales Projekt der Ampel

Die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ist ein zentrales Projekt der Ampelkoalition:. Ausländer, die sich zu dem Zeitpunkt seit fünf Jahren in Deutschland befinden und die Kriterien erfüllen, können dann den deutschen Pass erhalten.

Wer besondere Integrationsleistungen vorweist, kann sogar nach drei Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Außerdem können Ausländer künftig ihre Herkunftsstaatsangehörigkeit behalten, der Doppelpass wird damit zur Regel. Bislang waren hingegen acht Jahre Aufenthalt in Deutschland erforderlich, bevor Ausländer den deutschen Pass bekommen konnten.

Bundesländer erwarten Mega-Andrang

Auch viele Bundesländer erwarten daher steigende Einbürgerungszahlen. Das ergab eine Anfrage des FOCUS an alle 16 Bundesländer.

  • Das Land Hessen erwartet mindestens eine Verdoppelung der Einbürgerungsanträge, wie das dortige Innenministerium FOCUS mitteilte. Wurden dort im Jahr 2023 noch 31 500 Ausländer eingebürgert, rechnet man künftig mit mehr als 63 000 Menschen pro Jahr.

  • Bayern geht gegenwärtig von 55 000 bis 60 000 Einbürgerungen aus, im vergangenen Jahr waren es 36 100.

  • Auch Berlin erwartet eine Verdoppelung der Zahlen. Derzeit würden jährlich rund 9000 Ausländer eingebürgert. „Der Senat strebt an, künftig jährlich 20 000 Einbürgerungsverfahren erfolgreich abzuschließen“, erklärte die Senatsverwaltung für Inneres.

  • Bremen geht von 10 000 Einbürgerungsanträgen aus, im vergangenen Jahr waren es noch 5749.

Die anderen befragten Bundesländer gehen ebenfalls von steigenden Antragszahlen aus oder sahen von konkreten Prognosen ab. Das Innenministerium in Baden-Württemberg warnt: „Die Einbürgerungsbehörden in vielen Ländern können schon heute nicht die deutlich gestiegene Zahl an Einbürgerungsanträgen in einer angemessenen Zeit bearbeiten.“ Der Bund lasse „die kommunale Familie wieder allein“.

Das niedersächsische Innenministerium erwartet, „dass die Bearbeitungszeit von Einbürgerungsanträgen zeitweise weiter ansteigen wird“.

Aus Nordrhein-Westfalen sind die Töne positiver. „Die steigende Zahl von Einbürgerungen ist ein gutes Zeichen für unsere Gesellschaft und gelingende Integration“, sagt die Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne).

Die Unionsfraktion im Bundestag befürchtet mit der Reform einen Missbrauch des Staatsangehörigkeitsrechts. „Sollte der Pass lediglich angenommen werden, um den Wohlfahrtsstaat auszunutzen, läuft etwas schief”, sagte Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer.

Bearbeitung der Anträge kann bis zu drei Jahre dauern

Die Bearbeitungszeit von Einbürgerungsanträgen variiert stark je nach Stadt und Fall – den Angaben der befragten Städte zufolge kann sie zwischen drei Monaten und drei Jahren liegen. Als Gründe für die lange Bearbeitungszeit nennen die Städte den zunehmenden Bearbeitungsstau, Unvollständigkeit der eingereichten Unterlagen und die Mitwirkung anderer Behörden. Beispielsweise müssen in Niedersachsen alle irakischen Identitätsdokumente beim Landeskriminalamt überprüft werden.

Der Aufwand – und der Bearbeitungsstau - dürfte jetzt mit der Reform des Staatsbürgerrechts rasant steigen: Das zeigt sich bereits durch vermehrte Nachfrage bei Beratungsangeboten. Die Städte Frankfurt und Freiburg rechnen damit, dass sich die Zahl der Einbürgerungsanträge nach Inkrafttreten der Reform mehr als verdoppeln wird. In Köln hat sich die Nachfrage bei Beratungsangeboten bereits in den ersten Monaten dieses Jahres verdoppelt.

Experten warnen vor Chaos in Einbürgerungsbehörden

Damit könnte in den Amtsstuben das Chaos ausbrechen, obwohl mit Blick auf die Gesetzesänderung das Personal bereits aufgestockt wurde. Tarik Tabbara, Professor für Öffentliches Recht an der HWR Berlin und einer jener Experten, die unter anderem Nancy Faesers Innenministerium bei der Gesetzesreform beraten hat, schätzt die Vorbereitungen des Bundes als nicht ausreichend ein: „Es ist ja absehbar und gewollt, dass die Antragszahlen hochgehen. Wie man die Abläufe und die Manpower in den Einbürgerungsbehörden organisiert, das wäre parallel vorzubereiten und zu unterstützen gewesen“, zitiert ihn der Mediendienst. Einige Städte arbeiten mit sogenannten Quick-Checks, um die Voraussetzungen für eine Einbürgerung zu prüfen, was das Verfahren deutlich abkürzen kann.

Alle Zahlen zu Einbürgerungen und Anträgen in den befragten Städten gibt es hier: TABELLEN zum Herunterladen.