Herz-Experte klärt auf - Nicht für jeden gilt 120/80: Welcher Blutdruckwert für wen der beste ist

Heribert Schunkert, Direktor der Klinik für Herz-Kreislauf-Erkrankungen des Deutschen Herzzentrum in München<span class="copyright">FOL/gettyimages/Yuichiro Chino/Michael Timm/Deutsches Herzzentrum München</span>
Heribert Schunkert, Direktor der Klinik für Herz-Kreislauf-Erkrankungen des Deutschen Herzzentrum in MünchenFOL/gettyimages/Yuichiro Chino/Michael Timm/Deutsches Herzzentrum München

Ein hoher Blutdruck wird oft als „silent Killer“ bezeichnet, da er zu schwerwiegenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall führen kann. Es gibt jedoch immer wieder Diskussionen über die optimalen Blutdruckwerte. Ein Fachexperte bietet hierzu Aufklärung.

Ein hoher Blutdruck ist eine Volkskrankheit, denn allein in Deutschland leidet jeder dritte Erwachsene daran. Oft bleibt er unbemerkt, da er über längere Zeit keine akuten Beschwerden auslöst. Längerfristig schädigt er aber wichtige Organe wie Gehirn, Herz, Nieren und Augen, da diese immer schlechter mit sauerstoffreichem Blut und Nährstoffen versorgt werden. Und: Er gilt als Risikofaktor Nummer eins für Schlaganfälle und Herzinfarkt. Ein hoher Blutdruck ist daher längerfristig lebensgefährlich, wenn man ihn nicht frühzeitig behandelt.

Von optimal bis hoch – das sind bei uns die gültigen Blutdruckwerte

Doch wie hoch sollte der Blutdruck sein? Der optimale obere (systolische) Wert sowie der untere (diastolische) Wert liegen laut Deutscher Herzstiftung unter

  • 120/80 mmHg

Als normal gelten

  • 120-129/80-84 mmHg

Als hochnormal gelten

  • 130-139/85-89 mmHg.

Bluthochdruck beginnt also demnach erst ab einem Wert von

  • 140-159/90-99 mmHg

Doch immer wieder geraten diese Werte in die Diskussion. In den USA zum Beispiel werden Werte von

  • 130-139/80-89 mmHg

bereits als Bluthochdruck eingestuft.

Studie aus China: Ein Blutdruck unter 120 schützt besser vor Folgeerkrankungen

Ob der optimale Blutdruck bei gesunden Menschen auch der anzustrebende Blutdruck für Menschen mit Hypertonie (Bluthochdruck) ist, die medikamentös behandelt werden müssen, ist in der Medizin noch unklar.

Eine neue Studie aus China, die im Fachmagazin „ The Lancet “ veröffentlicht wurde, deutet nun darauf hin, dass auch für Patienten mit Bluthochdruck der optimale Zielwert unter unserem gültigen normalen systolischen Wert von

  •  120 mmHg

liegt. Die medikamentöse Therapie sollte also laut Studie so gestaltet werden, dass der systolische Wert kleiner als dieser Wert ist.

Für die Studie wurden insgesamt 11.255 Bluthochdruck-Patienten aus chinesischen Krankenhäusern mit einem Durchschnittsalter von 64,6 Jahre über mehrere Jahre behandelt und beobachtet. Darunter auch über 4300 Patienten mit Diabetes und über 3000, die einen Schlaganfall erlitten haben.

Die Probanden wurden in zwei Gruppen eingeteilt. Bei der ersten Gruppe war das Ziel, durch eine intensivere medikamentöse Behandlung den systolischen Blutdruck unter 120 zu bringen, bei der zweiten mit einer Standardbehandlung lediglich auf unter 140. Dafür waren im Durchschnitt zwei bis drei Wirkstoffe zur Blutdrucksenkung erforderlich.

Bei der Gruppe, die eine intensivere Behandlung mit verschiedenen Blutdruckmedikamenten bekam, lag der mittlere erzielte Blutdruckwert bei

  • 119,1 mmHg.

Bei der zweiten Gruppe mit der Standardtherapie bei

  • 134,8 mmHg.

Geringeres Risiko für Folgeerkrankungen bei systolischem Blutdruck unter 120

Im Nachbeobachtungszeitraum von durchschnittlich 3,4 Jahren erlitten in der ersten Gruppe

  • 9,7 Prozent

der Probanden eine schwere Herzerkrankung.

In der zweiten Gruppe waren es deutlich mehr, nämlich

  • 11,1 Prozent.

Für die Forscher sind die Ergebnisse daher eindeutig: „Bei Hypertoniepatienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko – unabhängig vom Diabetesstatus oder einer Schlaganfallvorgeschichte – verhindert eine Behandlungsstrategie, die einen systolischen Blutdruck von unter 120 mmHg (im Vergleich zu einem Blutdruck von unter 140 mmHg) anstrebt, schwere vaskuläre Ereignisse bei nur geringem Zusatzrisiko“, heißt es dazu in der Studie.

Kardiologe erklärt: Eine starke Blutdrucksenkung kann zu Nebenwirkungen führen

„Die Ergebnisse sind nicht überwältigend, aber statistisch signifikant – denn es geht ja darum, Folgeereignisse wie Schlaganfall, Herzinfarkt oder Herztod zu verhindern“, sagt auf Anfrage von FOCUS online über die Studie aus China.

Allerdings verwundert es den Kardiologen, dass in der Studie kaum von Nebenwirkungen berichtet wurde – gerade bei der Gruppe, bei denen der Blutdruck im Mittel auf 119,1 mmHg gesenkt wurde. „In dieser mit zwei oder mehr Blutdrucksenkern behandelten Gruppe kam es praktisch nie vor, dass der Blutdruck zu niedrig fiel und Symptome wie Schwäche und Kraftlosigkeit auftraten“, erläutert der Kardiologe. „Das entspricht nicht den allgemeinen Erfahrungen in der klinischen Praxis“, sagt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Herzstiftung. „Bei vielen Patienten tauchen Beschwerden auf, die es erschweren, den Blutdruck beispielsweise unter 130 mmHg zu senken. Auch werde häufig beobachtet, dass die Nierenwerte ansteigen, wenn der Blutdruck zu stark fällt.

Schunkert: Nichts spricht dagegen, einen Blutdruck von 120 mmHg anzustreben

Die chinesische Empfehlung, bei der Behandlungsstrategie von Bluthochdruck-Patienten einen Wert unter 120 mmHg anzustreben, teilt Schunkert nicht. „Insbesondere bei älteren Menschen kann die Absenkung unter 120 mmHg zu Nebenwirkungen führen“, betont er. „Wenn sie dann unter der Behandlung mehr leiden als unter dem Bluthochdruck, muss man eine zu starke Senkung nicht erzwingen“, so Schunkert.

Wer die Blutdrucksenkung nicht gut verträgt, kann sich daher auch mit einem Blutdruck von 130 mmHg zufrieden geben. Werte von über 135 seien allerdings kritisch, da damit das Risiko für Folgeerkrankung deutlich steige, so der Mediziner. „Wenn andererseits die Medikamente gut vertragen werden, spricht nichts dagegen einen Blutdruck von 120 mmHg anzustreben“, sagt er. Das sei in der Regel bei vielen Patienten der Fall.

Der ideale Blutdruck für gesunde Menschen? Je niedriger, desto besser

Doch was ist nun der ideale Blutdruck für einen gesunden Menschen? „Wenn jemand von Natur aus einen oberen Blutdruck von 100 oder 90 hat und keinerlei Beschwerden, dann hat er ein geringeres Risiko für Folgeerkrankungen als jemand, der einen natürlichen Blutdruck von 120 hat“, erläutert Schunkert. Das heißt: Je niedriger der Blutdruck, desto besser für die Gefäße – sofern keine Beschwerden auftreten.

Wer zu Hause seinen Blutdruck regelmäßig kontrolliert, muss aber aufpassen: „Für Patienten, die ihren Blutdruck selbständig zu Hause messen, gelten andere Werte“, betont der Kardiologe. Als Bluthochdruck gilt hier, wenn im Schnitt an sieben aufeinanderfolgenden Tagen Werte über

  • 135/85 mmHg

auftreten. Der Grund für die niedrigeren Werte: Meist sind die Patientinnen und Patienten bei der Messung in der Praxis etwas aufgeregt.

Der Blutdruck nimmt jedes Jahrzehnt um einige mmHg zu

Mit zunehmendem Alter steigt auch der Blutdruck. Laut Deutscher Herzstiftung steigt er mit jedem Lebensjahrzehnt um einige mmHg an, weil die Gefäße im Laufe des Lebens an Elastizität verlieren. Als Grenzwert für die Einleitung einer medikamentösen Behandlung (inklusive Lebensstiländerung) gelte dennoch wegen der gravierenden Folgen eines zu hohen Drucks sowohl für die Gruppe der 18- bis 65-Jährigen wie auch der 65- bis 79-Jährigen (wenn leistungsfähig) ein Blutdruck von über

  • 140/90 mmHg.

Erst bei Hochbetagten ab 80 Jahren (wenn leistungsfähig) sei der Blutdruckgrenzwert, der Anlass für eine medikamentöse Therapie gibt, auf

  • 160/90 mmHg

hochgesetzt.

Die besten Tipps: Wie Sie einem hohen Blutdruck vorbeugen

Laut den Experten der Deutschen Herzstiftung kann Bluthochdruck durch einen  gesunden  Lebensstil gesenkt werden. Dazu zählen

  • Ausdauersport wie Radfahren, Walken, Joggen oder Schwimmen – mindestens dreimal die Woche 30 bis 45 Minuten

  • leichtes Kraft- und Kraftausdauertraining,

  • isometrisches Krafttraining mit Halteübungen: zum Beispiel 4 x 2 Minuten Wandsitzen

  • Gymnastik

  • Sportspiele mit geringer Belastung wie Tischtennis oder Golf

  • eine gesunde Ernährung sowie der Abbau von Übergewicht.

Bei Bedarf hilft die konsequente Einnahme von blutdrucksenkenden Medikamenten.