Corona-Experte zu RKI-Zahlen - Statt Sommer-Grippe jetzt „Sommer-Covid“: Was steigende Infektionszahlen bedeuten

Das Robert-Koch-Institut vermeldet eine Zunahme der Coronainfektionen.<span class="copyright">Getty Images/Maria Korneeva</span>
Das Robert-Koch-Institut vermeldet eine Zunahme der Coronainfektionen.Getty Images/Maria Korneeva

Die Fußball-EM zieht Fans aus ganz Europa an. Gefeiert wird ohne Abstand und ohne Maske, denn die Pandemie ist vorbei. Doch die Coronazahlen steigen derzeit wieder. Epidemiologe Timo Ulrichs erklärt, ob eine Sommerwelle droht.

Die Fußball-Europameisterschaft ist in vollem Gange. Menschen aus ganz Europa füllen deutsche Stadien und Fanmeilen. Über Corona macht sich kaum einer Gedanken. Dabei galt noch während der letzten EM 2021 eine Maskenpflicht in den Stadien, Fans waren dazu angehalten, enge Kontakte zu vermeiden - am besten kein Händeschütteln, Umarmen, Abklatschen. Diese Zeiten sind vorbei, es wird wieder ohne Maske und Desinfektionsmittel gefeiert.

Kann ein Großereignis wie die EM zu einer Zunahme der Coronafälle in Deutschland und möglicherweise einer Sommerwelle führen? FOCUS online hat den Epidemiologen Timo Ulrichs gefragt. „Ja, das kann schon sein, besonders wenn sich viele Menschen in Innenräumen zusammenfinden“, sagt der Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologe.. „Und in der Tat beobachtet das RKI eine Zunahme der Infektionskrankheiten in diesen Wochen, auch vermehrt Covid-19-Fälle sind darunter.“

Aus dem Rhein-Sieg-Kreis klagt die Hausärztin Elke Cremer im „Kölner Stadt-Anzeiger“ : „Wir haben keine Sommergrippe, wir haben Sommer-Covid.“ Ihre Patienten hätten „kräftige Symptome“, Kopfschmerzen und starke Halsschmerzen. „Es wäre möglich, dass eine Verbindung zu den vielen Menschenansammlungen während der EM besteht“, so die Ärztin.

RKI berichtet von steigenden Covid-19-Zahlen

In der Tat vermeldet das Robert-Koch-Institut (RKI) eine Zunahme der Coronainfektionen. Da Erkrankte nicht mehr in dem Maße getestet und gemeldet werden wie noch zu Zeiten der Pandemie, betreibt das Institut mittlerweile ein sogenanntes Abwassermonitoring. Denn Coronaviren können im Abwasser nachgewiesen werden. Eine hohe Viruslast im Abwasser bedeutet, dass zu dieser Zeit viele Personen mit Sars-CoV-2 infiziert sind.

Aktuell berichtet das RKI von gestiegenen Werten: „Die gemittelte SARS-CoV-2-Viruslast aller berichtenden Kläranlagen beträgt  110 Tausend Genkopien pro Liter Abwasser in der 25. Kalenderwoche. Dieser Wert ist in den vergangenen 4 Wochen gestiegen.“

Zum Vergleich: Drei Wochen zuvor lag die Viruslast noch bei rund 44.000 Genkopien pro Liter . Damals konnte das Institut auf Daten von 82 Kläranlagen zurückgreifen. Das entspricht einer Abdeckung von 19,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. In Woche 25 sind es 100 Kläranlagen.

Mit 110.000 Genkopien pro Liter liegt die Viruslast aber noch deutlich unter dem Wert, der Ende 2023 erreicht worden war. Im Zeitraum vom 7. bis 13. Dezember 2023 lagen die Genkopien bei 955.000 pro Liter Abwasser.

Bei der Frage, inwiefern sich die EM auf die Coronazahlen auswirkt, gilt zu beachten: Die aktuellsten Daten des RKI stammen aus dem Zeitraum 13. Juni bis 19. Juni. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Die EM ist am 14. Juni in München gestartet. Wie sich das Infektionsgeschehen infolge der Spiele, des Public Viewings und privater Zusammenkünfte entwickeln wird, müssen künftige Abwasseruntersuchungen also erst noch zeigen.

Steigende Zahlen nicht nur in Deutschland - auch in den USA

Dass die Zahlen auch ohne EM ansteigen könnten, legen Daten aus den USA nahe. Wie unter anderem das Nachrichtennetzwerk „CNN“ Ende Juni berichtet, zeigt sich dort ganz ohne sportliches Großereignis: Die Infektionen nehmen zu. In mindestens 38 Bundesstaaten. „Die Überwachung des Abwassers deutet darauf hin, dass die Virusaktivität noch relativ gering ist, aber die Zahl der Krankenhauseinweisungen und Todesfälle nimmt zu“, berichtet “CNN".

Schuld an dem Anstieg könnten die neuen Virus-Varianten KP.2 und KP.3 sein. Nach wie vor mutiert das Coronavirus. Jede neue Mutation birgt eine gewisse Gefahr, dass es wieder stärker in der Bevölkerung ausbricht und zu schweren Krankheitsverläufen führt. Denn einem veränderten Virus könnte es gelingen, die Immunität der Bevölkerung durch frühere Infektionen und Impfungen zu umgehen.

„Mit einem Massenanfall ist nicht mehr zu rechnen“

Epidemiologe Timo Ulrichs ist trotz der steigenden Zahlen wenig besorgt: „Es wird weiterhin Covid-19-Fälle geben, und auch das Risiko von Long-Covid ist nicht zu unterschätzen, aber mit einem Massenanfall ist nicht mehr zu rechnen.“ Die Bevölkerung sei ausreichend geschützt. „Das Coronavirus ist zwar noch da, die Pandemie ist vorüber.“

Im Stadion und beim Public Viewing könnten Fans laut dem Experten daher bedenkenlos ohne Maske feiern. Das Tragen einer Maske empfiehlt er allerdings Älteren und Menschen mit chronischen Grunderkrankungen und einem geschwächten Immunsystem. Für sie ist der Schutz vor dem Coronavirus nach wie vor besonders wichtig, da sie im Falle einer Ansteckung schwere Verläufe erleiden können.