Kommentar von Hugo Müller-Vogg - Sekmen hat jedes Recht, die Grünen zu verlassen – doch ein „Geschmäckle“ bleibt

Die Grünen-Abgeordnete Melis Sekmen will in die Unionsfraktion wechseln (Archivbild)<span class="copyright">Bernd von Jutrczenka/dpa</span>
Die Grünen-Abgeordnete Melis Sekmen will in die Unionsfraktion wechseln (Archivbild)Bernd von Jutrczenka/dpa

Paukenschlag bei den Grünen: Die Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen wechselt zur Union und wird dafür von ihrer bisherigen Partei scharf kritisiert. In Wahrheit hat Sekmen jedes Recht dazu, die Partei zu wechseln. Doch ein „Gschmäckle“ bleibt bei der ganzen Sache.

Für Oppositionsführer Friedrich Merz und die CDU ist das wie ein Lottogewinn: Die Mannheimer Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen wechselt von den Grünen zur Union . Ihre Begründung für den Parteiwechsel dürfte im Konrad-Adenauer-Haus helle Freude auslösen.

Die Ex-Grüne kritisiert an ihrer bisherigen Partei eine Debattenkultur, die Menschen in Schubladen stecke. Auch ist sie von der wirtschaftspolitischen Linie ihrer bisherigen Partei enttäuscht. Vor allem das neue Grundsatzprogramm der CDU hat es der 30-jährigen gebürtigen Mannheimerin mit türkischem Vater und deutscher Mutter angetan.

Es kommt nicht häufig vor, dass Abgeordnete die Partei wechseln. Doch dazu haben sie jedes Recht. Schließlich sind Abgeordnete „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“, wie es im Grundgesetz heißt.

Melis Sekmen wechselt von den Grünen zur CDU - sie hat jedes Recht dazu

Das Grundgesetz verbietet es nicht, dass ein Abgeordneter beim Parteiwechsel sein Mandat „mitnimmt“. Das ist auch die Regel, ganz gleich, wer zu wem wechselt. Bei Befragung des eigenen Gewissens könnte ein Parteiwechsler jedoch auch zu dem Ergebnis kommen, dass es wohl kaum dem Wählerwillen entspricht, durch den Wechsel in eine andere Fraktion die bisherige zu schwächen.

Sekmen ist bei der Bundestagswahl 2021 über die baden-württembergische Landesliste der Grünen in den Bundestag eingezogen. Sie verdankt ihr Mandat also ihrer Partei und den Wählern der Grünen.

Man kann also ihre Ex-Parteifreunde in Mannheim verstehen, wenn diese sie auffordern, ihr Bundestagsmandat niederzulegen. Dann könnte ein anderer Grüner für sie nachrücken. So verlöre die Bundestagsfraktion der Grünen nicht ein Mitglied; der Wählerwille würde nicht verfälscht.

Warum Sekmen erst jetzt entdeckt hat, dass die grüne Wirtschaftspolitik fragwürdig ist, weiß nur sie. Schließlich haben die Grünen hier keinen Kurswechsel vorgenommen. Im Gegenteil: Die Grünen sind in der Regierungsverantwortung eher pragmatischer geworden.

Nicht nur Friedrich Merz freut sich über den Neuzugang

Auch haben die Grünen politische Auseinandersetzungen stets mit dem Anspruch der eigenen moralischen Überlegenheit geführt. Das war schon 2011 so, als Sekmen der Partei beitrat und dort bald Karriere machte.

Nicht nur Friedrich Merz freut sich über den Neuzugang. Die örtliche CDU äußert sich ebenfalls begeistert. Schließlich hat die Mannheimer CDU seit dem Frühjahr 2021 keinen eigenen Bundestagsabgeordneten mehr. Denn damals musste Nikolas Löbel als einer der Hauptbeteiligten in der „Maskenaffäre“ sein Mandat niederlegen. Und bei der Bundestagswahl 2021 landete der CDU-Bewerber im Wahlkreis Mannheim nur auf Platz drei.

Sekmen kann damit rechnen, von der Mannheimer CDU als Bundestagskandidatin aufgestellt zu werden. Darauf lassen die begeisterten Reaktionen auf ihren Seitenwechsel schließen. Ob sie dann den Wahlkreis gewinnt, steht auf einem anderen Blatt.

Immerhin hat die CDU in der Quadratestadt mit Ausnahme von 2021 seit Jahrzehnten stets das Direktmandat gewonnen. Selbst wenn Sekmen das 2025 nicht gelingen sollte: Die Mannheimer CDU braucht auch Kandidaten für die Landtagswahl 2026.

Für Sekmen dürfte ein Verbleiben in der Politik wichtig sein

Sekmen geht mit dem Wechsel kein Risiko ein. Ob sie 2025 auf grünem Ticket ihr Bundestagsmandat hätte verteidigen können, ist höchst ungewiss. 2021 hat Sekmen es auf Platz 16 der Landesliste geschafft, weil die Grünen im „Ländle“ mit 17,2 Prozent ein besonders gutes Ergebnis erzielt und vier Wahlkreise direkt gewonnen hatten.

Das dürften sie nach aktuellem Stand 2025 nicht abermals erreichen. Bei der Europawahl kamen die Grünen nur noch auf 13,8 Prozent, ein Absturz um fast 10 Prozentpunkte.

Ohnehin werden die Grünen ebenso wie alle anderen Parteien selbst bei unveränderten Ergebnis Mandate einbüßen. Der neue Bundestag wird nämlich, falls das Wahlrecht der Ampel in Karlsruhe Bestand hat, rund 100 Abgeordnete weniger zählen als jetzt.

Für Sekmen dürfte ein Verbleiben in der Politik schon deshalb wichtig sein, weil sie weder eine abgeschlossene Ausbildung noch - von studentischen Hilfsjobs abgesehen - berufliche Erfahrungen vorweisen kann.

Der Neuzugang der CDU ist laut eigenen Angaben Studentin der Wirtschaftswissenschaften in Heidelberg - und das seit mehr als zehn Jahren. Parallel dazu war sie stets kommunalpolitisch aktiv: von 2014 an als Gemeinderätin, von 2019 an dann bis zum Einzug in den Bundestag als Fraktionsvorsitzende.

Das „Gschmäckle“ lässt sich nicht leugnen

Sekmen war keine typische Grüne, die sich nur in einer woken Blase bewegte. Sie suchte vielmehr stets den Kontakt zu bürgerlich-konservativen Kreisen. Zudem fiel auf, dass sie - obwohl Muslima - katholische Gottesdienste besuchte und an Gemeindefesten teilnahm.

Der neuen CDU-Politikerin wird nachgesagt, dass sie mit ihrer unkomplizierten Art und ihrem Charme leicht Kontakt zu Menschen finde, auch solchen aus anderen politischen Lagern. Weniger schmeichelhaft sind Äußerungen von Mannheimer Politikern, im Gemeinderat nicht durch besonderen Fleiß aufgefallen zu sein.

Der „Tagesspiegel“ schreibt unter Bezug auf Berliner Quellen, Sekmen habe sich im Bundestag „sehr auf ihrem Mandat ausgeruht“. Sie habe deshalb befürchten müssen, nicht mehr aufgestellt zu werden.

Weiblich, mit türkischen Wurzeln und grüner Vergangenheit: Für die CDU, die stets bunter werden will, ist Sekmen ein willkommener Neuzugang. Aber das „Gschmäckle“, das diesem wie allen Parteiwechseln anhaftet, lässt sich nicht leugnen.