Kommentar von Joachim Krause - Friedensforschung: Für die ideologische Färbung werden entscheidende Fakten weggelassen

Das Friedensforschungsinstitut SIPRI hat mit großem medialem Echo seinen Jahresbericht vorgelegt. Die Forscher warnen vor Gefahren für den Frieden.<span class="copyright">Philipp Schulze/dpa/picture alliance</span>
Das Friedensforschungsinstitut SIPRI hat mit großem medialem Echo seinen Jahresbericht vorgelegt. Die Forscher warnen vor Gefahren für den Frieden.Philipp Schulze/dpa/picture alliance

Das Friedensforschungsinstitut SIPRI hat mit großem medialem Echo seinen Jahresbericht vorgelegt. Die Forscher warnen vor Gefahren für den Frieden. Sie breiten ein Bild aus, welches Rüstung und Kriege wie Symptome einer Krankheit aussehen lässt, aber der Bezug zur politischen Realität fehlt.

Das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) hat gerade sein 55. Jahrbuch zur internationalen Sicherheit herausgebracht. Das Jahrbuch enthält eine Fülle von Fakten und Daten, die mit viel Akribie gesammelt wurden und die oft auch brauchbar sind. Was nervt, sind die politischen Bewertungen, die erkennen lassen, dass hier mit ideologischem Eifer und einer intellektuellen Überheblichkeit gearbeitet wird, die leider für große Teile der Friedensforschung symptomatisch sind.

So schreibt der Direktor von SIPRI, Dan Smith, ein Veteran der Anti-Atomwaffenbewegung: „Wir befinden uns jetzt in einer der gefährlichsten Perioden in der Geschichte der Menschheit. Es gibt zahlreiche Quellen der Instabilität – politische Rivalitäten, wirtschaftliche Ungleichheiten, ökologische Störungen, ein sich beschleunigendes Wettrüsten. Der Abgrund winkt, und es ist an der Zeit, dass die Großmächte einen Schritt zurücktreten und nachdenken. Am liebsten zusammen.“

Mit der Feststellung der Gefährlichkeit der heutigen Lage hat er recht. Was man vermisst, ist jeglicher Hinweis darauf, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine einseitig von Russland ausgelöst wurde, ja dass hier zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg eine Großmacht eine andere Nation gänzlich auslöschen will. Man vermisst auch den Hinweis, dass China sich für die Eroberung Taiwans massiv rüstet und sich auf einen Krieg mit den USA hinbewegt und dass China, Russland und auch der Iran und Nordkorea sich entschlossen haben, die einigermaßen friedliche internationale Ordnung und das Regelsystem der Vereinten Nationen zu zerstören – und zwar unter Einsatz von militärischer Macht.

Was hier zum Vorschein kommt, ist das typische Erweckungsdenken, welches Friedensbewegte, Friedensforscher und Rüstungskritiker kennzeichnet. Es gibt in ihrem Denken keine autoritären Mächte, die ihre internen Probleme durch aggressive Rüstung und Angriffskrieg externalisieren, sondern nur die Existenz von „politischen Rivalitäten.“ Nicht die verstörende Rhetorik von Putin und Xi, die einen „globalen Wandel“ bewirken wollen, „wie man ihn seit 100 Jahren nicht mehr erlebt hat“, ist das Problem, sondern „wirtschaftliche Ungleichheiten und ökologische Störungen sowie ein „sich beschleunigendes Wettrüsten.“

Diese Friedensforscher benehmen sich wie Mediziner, die Kriege und Konflikte wie menschliche Krankheiten behandeln und glauben allgemeine Rezepte dafür entwickeln zu können, die dann von allen Regierungen dankend entgegengenommen werden. Tatsächlich ähneln sie eher Medizinmännern, die in großer Geste um ein Feuer tanzen. In deren Denken sind Kriege und Konflikte nicht das Resultat übelwollender Mächte (vor allem nicht Russlands, wenn eher der USA), sondern das Ergebnis von Missverständnissen und Misstrauen. Beide gilt es zu überwinden, insbesondere durch den Abbau von Bedrohungsvorstellungen. Da Bedrohungsvorstellungen durch Waffen der jeweils anderen Seite geweckt werden, werden Waffenbesitz, Waffenherstellung und Waffenexporte gegeißelt und Abschreckung als kriegstreibend bezeichnet.

Krisen und Konflikte sind politisch-psychologisch zu bearbeiten, dabei gilt es „Eskalationsdynamiken“ zu verhindern (insbesondere, dass lokale Kriege nicht in „Flächenbrände“ ausarten) und Kriege aus Versehen entstehen können. Als besonders schlimm gelten Rüstungswettläufe, die durch Abrüstung oder Rüstungskontrolle zu verhindern wären.

Kritik an der Darstellung von Kernwaffen und Rüstungswettläufen

Von vielen deutschen Medien sofort kritiklos aufgenommen sind die Aussagen zum Bereitstellungsstatus der Kernwaffen unter den Kernwaffenstaaten. Hier wird behauptet, dass die Zahl derjenigen Kernwaffen leicht zugenommen habe (um 60 Stück), die in kurzer Frist einsetzbar wären. Die Zahl scheint zu stimmen. Diese entfallen ausschließlich auf China und Russland, was eher nebenbei zu lesen ist.

Wie man den Unterschied zwischen unmittelbar und mittelfristig einsetzbaren Kernwaffen definiert, wird aber nicht erklärt. Eine Tabelle, die mitgeliefert wird, ist irreführend. Man erkennt nicht die Unterschiede zwischen strategischen und nicht-strategischen Waffen. Es findet sich keinerlei Reflexion darüber, wie viele nicht strategische Kernwaffen Russland kurzfristig gegen Europa richten kann, wenn es die entsprechenden Vorbereitungen treffen würde. Und das, obwohl einer der Autoren des Jahrbuchs gerade darüber im Bulletin of Atomic Scientists eine interessante Analyse vorgelegt hat.

Hauptsache es lassen sich alarmierende Trends erkennen, die die Öffentlichkeit in denjenigen Ländern erschüttern soll, in denen es noch eine freie Öffentlichkeit gibt. Nur wird mit diesem Alarmismus ein falsches Bild von der Natur der heutigen, extrem gefährlichen Krisenlage vermittelt. Es hat den Anschein, als ob in dem beschaulichen Vorort von Stockholm, wo SIPRI angesiedelt ist, die Gefahrenlage noch nicht angekommen ist, die durch Russlands Krieg gegen die Ukraine ausgelöst worden ist.

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