Kommentar: Was das Faschisten-Tattoo von Mesut Özil bedeutet

Der Ex-Fußballstar glänzt nun anders: Mit einem strahlenden Tattoo auf seiner Haut und dazu breitem Lächeln – das Zeichen der türkischen rechtsextremen „Grauen Wölfe“. Für nicht Wenige, die seit Jahren über Özil lästerten, ist dies ein nachträglicher Beweis gescheiterter Integration. Was schon wieder nur ein Vorwand fürs Stänkern ist.

Fußballnationalspieler Mesut Özil beim WM-Qualifikationsspiel gegen Norwegen 2017 (Bild: REUTERS/Michaela Rehle)
Fußballnationalspieler Mesut Özil beim WM-Qualifikationsspiel gegen Norwegen 2017 (Bild: REUTERS/Michaela Rehle)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Die halbe Republik redet über ein einziges Tattoo. Es ist auch nicht irgendeines, und es logiert nicht bei einem Jedermann. Mesut Özil, einer der besten Fußballer, die Deutschland jemals sah, posierte jüngst mit der rechten Hand irgendwo Richtung Herz und einer Tätowierung: heulender Wolf, drei Halbmonde – eben das Parteilogo der faschistischen MHP. Diese türkische Partei nennt sich verstecklerisch „ideologisch“, aber ihre Weltsicht tränkt sich aus Blut und Boden, aus einem „Turkey First“ und noch einigem darüber hinaus. Die Ideologie der so genannten „Grauen Wölfe“ ist nicht nur der übliche Nationalismus, den man in jedem Land findet. Sie verachtet Demokratie und sucht die Gewalt gegen Andersdenkende. Es ist purer Faschismus. Und nun unser Mesut, mittendrin.

Das ist erst einmal jämmerlich. Hoffe, das Zeug ist abwaschbar. Und darin eine Reaktion auf die ungerechten Schmähungen in Deutschland zu sehen, auf die rassistischen Anfeindungen, eben eine Art Stinkefinger, wäre mir zu banal; für seine Akupunktur ist Özil schon selbst verantwortlich. Wenn er denkt, mit Faschismus glücklich sein zu können, hat er noch einen langen Weg vor sich.

"Gott sei Dank": Özil teilt nach Wahlsieg erneut Foto mit Erdogan

Aus einigen Ecken hört man nun in Deutschland ein lautes „Aha“, gefolgt von „Da seht ihr mal“. Ja, was sehen wir? Ist das Tragen einer rechtsextremen und das Türkentum absurd überhöhenden Tinte auf Haut ein Ausdruck gescheiter Integration? Natürlich nicht.

Denn nun sind wir mitten in jenem Schlamassel, der Özil seit vielen Jahren begleitet, unabhängig von seinen Äußerungen und symbolischen Gesten zu Politik oder wasweißich. Es ist das Messen mit zweierlei Maß. Läuft ein Brandenburger mit einem Stahlhelm-Tattoo herum, spricht keiner von gescheiteter Integration. Dabei ist er vielleicht in Burg im Spreewald geboren, und Özil ist in Gelsenkirchen an den Hängen des Emschertales geboren. Was ist deutscher? Wer hat sich integrierend wohin zu bewegen? Özil wurde die deutsche Identität oft von zu vielen Mitbürgern nicht selbstverständlich abgenommen. Noch immer will Mancher nicht verstehen, dass man zwei Herzen haben kann. Und dies ist keine Frage von Integration, sondern von purer Verständnisfähigkeit.

Was erlauben Özil?

Özil wurde in Deutschland ungerecht behandelt. Sein Posieren mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wurde in Deutschland nicht deshalb hysterisch aufgenommen, weil wir so große Freunde von Liberalität und Demokratie sind, sondern weil wir damit fehlende Loyalität unterstellen konnten. Und dann erschien Erdogan auch noch bei seiner Hochzeit; jeder sucht sich halt seine Gäste selbst aus. Beim Autokraten Erdogan ist längst die Schwelle aus Respekt vor seinem Amt abgeschmolzen, zu sehr werkelt der Fiesling an seiner Herrschaft, übrigens in Koalition aus Machtkalkül mit der MHP, das sind die stolzen Jungs mit dem Wolf, heul heul.

Özil wurde nicht erlaubt, politisch peinlich zu sein. Denn als Türke hatte er sich zu benehmen. Der Grad seines Nationalismus hat indes nichts mit der Frage zu tun, „wie viel“ deutsch er ist. Gelsenkirchen-Bismarck wird immer zu seiner Geschichte gehören. Und einem Egon aus Burg sagt man auch nicht, er möge besser im Spreewald bleiben, für Berlin oder Köln sei er nicht ausreichend integriert.

Von Tätern und vom Wehren

Häme ist also deplatziert. Bei „Focus-Online“ heißt es derweil, der „Fall Özil“ würde etwas entlarven. Angeblich „links-grüne Multikulti-Träumer“, wie es in einem Kommentar heißt. Will der Autor damit andeuten, er habe schon vor Jahren geahnt, dass Özil als Grauer Wolf enden würde? Hugo Müller-Vogg adressiert mit seinem Kommentar die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman. Die hatte nämlich Özil vor fünf Jahren, wie er schreibt, als „Vorzeigetürken der deutschen Nation“ gepriesen. „Das Netz vergisst nichts“, heißt es bei Müller-Vogg zurücklehnend als Zitat. Stimmt. Daher habe ich mir den Text von Ataman, auf den sich der Kolumnist bezieht, angeschaut. Das mit dem „Vorzeigetürken“ wird sie ironisch gemeint haben, das ist klar wie Kloßbrühe. Und auch ihre Forderung aus dem Jahr 2018, Özil jetzt einen „Integrations-Bambi“ zu verleihen, wie Müller-Vogg zitiert, erhält eine andere Note, wenn man erfährt, dass Özil diesen bereits 2010 erhielt und Ataman diese Auszeichnung als „albernen Preis“ beschrieb. Übrigens lobte Ataman vor fünf Jahren Özil, weil er sich gegen den von ihm erfahrenen Rassismus wehrte und auch den Deutschen Fußballbund (DFB) anging, weil er ihn nicht genügend dagegen schützte.

Der Focus-Kolumnist macht hingegen bei Ataman einen „sehr verengten Blick auf die Themen Integration und Diskriminierung“ aus. „Im Zweifelsfall sind für Ataman die gebürtigen Deutschen die Bösen und die Zugewanderten die Guten.“ Damit drückt Müller-Vogg die besonders großen Tasten. Um gut oder böse geht es in diesem Kontext gewiss nicht, diese Überhöhung passt kaum. Und wenn man sich tatsächlich entscheiden sollte, wer hier gut und wer böse ist – dann ist die Frage nach den Taten zu stellen: Da es um Rassismus in Deutschland ging, waren natürlich die Urheber dessen unter den „Deutschen“ zu suchen, und die Adressaten unter den „Zugewanderten“. Das kann böse und gut nennen, wer mag. Den Kompass dafür sollte man jedenfalls nicht verlegen.

Was soll man sagen? Das Netz vergisst nichts. Auch nicht in fünf Jahren.