"Hatte keinen Bock, gefressen zu werden“ - Als Hai seine Familie im Ägypten-Urlaub umkreist, trifft Denis eine krasse Entscheidung

Familie erlebte Hai-Begegnung. (Bild: privat)
Familie erlebte Hai-Begegnung. (Bild: privat)

Denis (41) und Tina (42) Dietz waren mit Tochter Sophia (13) im Ägypten-Urlaub und wollten schnorcheln gehen. Plötzlich war da ein Hai. Zum Glück hatte Denis sich vorher über (möglicherweise) lebensrettende Verhaltensweisen informiert.

FOCUS online: Allein in der letzten Woche gab es an der spanischen Küste zweimal Hai-Alarm. Sie hatten kürzlich eine Hai-Begegnung in Ägypten. Wühlt Sie das auf, wenn Sie jetzt Berichte wie die aus Spanien hören?

Denis: Nicht wirklich. Man muss das in der Relation sehen. Auf der Internetseite des Florida Museum werden Hai-Unfälle dokumentiert, weltweit. Wo genau war das? Wurde die Person verletzt? Getötet? All das steht da. Die durchschnittlich mal 60, mal 80 Haiattacken pro Jahr sind eigentlich ein Witz. Ich habe mal gehört, dass es weltweit 100.000 Tote pro Jahr durch Schlangenbisse gibt. Und von den Verkehrstoten wollen wir besser gar nicht erst anfangen.

Sie wirken aber sehr cool für das, was Sie erlebt haben! Die Situation soll lebensgefährlich gewesen sein.

Tina: Das war sie, aber so richtig versteht man das erst hinterher. Wir hatten uns im Vorfeld ein paar Infos und Checklisten aus dem Internet gezogen. Für mich war das genauso Theorie wie die Hinweisschilder in den Hotels, die vor giftigen Fischen warnen.

Denis: Ich hatte mich etwas intensiver im Internet schlau gemacht. Da gibt es zum Beispiel einen Meeresbiologen, Robert Marc Lehmann, der viel auf YouTube zum Thema macht und erklärt, wie man sich bei einer Attacke verhalten soll. Sein Kanal hat uns vielleicht vor dem Tod bewahrt. Als der Hai kam, waren mir die Infos noch sehr präsent. Einige der Filme hatte ich direkt in der Nacht davor gesehen.

Warum das?

Denis: Ich hatte keinen Bock, gefressen zu werden. Nein, jetzt im Ernst. Wir wollten am nächsten Morgen schnorcheln gehen. Der Kopf weiß, wie unwahrscheinlich es ist, dass was passiert. Doch zugegeben, tief drinnen war ich in dieser Nacht irgendwie unruhig. Verrückt, dass ich dieses Bauchgefühl hatte. Faktisch gibt es rund 400 Hai-Arten, und fast alle sind harmlos. Bis auf zehn potenziell gefährliche für den Menschen. Vermutlich war ich einfach ein bisschen durch den Wind, weil meine Frau und meine Tochter ein paar Tage zuvor schon mal Haie gesehen haben.

Wie bitte?

Tina: Sophia und ich waren bereits eine Woche in Ägypten gewesen, als Denis kam. Die Situation beim Schnorcheln war total ungefährlich. Das waren drei Weißspitzenriffhaie, wunderschöne Tiere. Ich habe sie gefilmt, ein tolles Erlebnis!

Denis: Tina ist generell die Coolness in Person. Aber sie hat ja recht: Solche harmlosen Hai-Sichtungen sind die Regel. Blöderweise habe ich im letzten Jahr mal ein schlimmes Video gesehen. Damals wurde ein russischer Tourist von einem Hai gefressen. Ich bin jemand, der sich ziemlich in Dinge reinsteigern kann. In der Nacht, bevor wir schnorcheln gehen wollten, habe ich dann, wie gesagt, intensiv recherchiert. Eine mögliche Erklärung dafür, dass Hochseehaie ans Land kommen, sind Schaftransporte. Es heißt, dass die Bauern Tiere, die unterwegs verenden, ins Meer schmeißen. Das scheint die Haie anzulocken.

Familie erlebte Hai-Begegnung. (Bild: privat)
Familie erlebte Hai-Begegnung. (Bild: privat)

Tina: Ich möchte nicht wissen, was ohne Denis‘ nächtliche YouTube-Session passiert wäre. In dem Fall war seine Tendenz zur Sorge wirklich Gold wert. Denis hat sich einige wirklich hilfreiche Infos aus dem Netz gezogen.

Denis: Zum Beispiel, wie man einen Weißspitzen-Hochseehai - auch Longimanus genannt - von einem Weißspitzen-Riffhai unterscheidet. Ersterer hat eine leicht abgerundete, weiße Flosse. Auch über das Verhalten der Tiere habe ich einiges gelernt. Bei den Gefährlichen hat jede Art ihr ganz spezielles, eigenes Wesen. Der Tigerhai zum Beispiel frisst seine Beute im Ganzen. Der Weißspitzen-Hochseehai dagegen beißt "nur". Aber dieser sogenannte "Testbiss" reicht oft schon für Verletzungen mit Todesfolge.

Tina: Der Weißspitzenhochseehai hat eigentlich nichts gegen Menschen. Wir fallen nicht in sein Beuteschema, also will er uns nicht fressen. Er ist einfach nur neugierig.

Denis: Als das knapp drei Meter lange Tier auf uns zukam und uns umkreiste, wusste ich: Er wird zu uns hinkommen. So machen das diese Tiere. Immer.

Können Sie den Tag der Hai-Begegnung einmal genauer beschreiben?

Denis: Wir sind früh los, gegen 7 Uhr. Das ist die beste Zeit zum Schnorcheln, da ist das Riff schön bunt, nichts ist aufgewühlt.

Tina: Und der Strand ist leer. Wir sind vom Steg ins Wasser und vielleicht 30 m geschwommen. Das Ganze ist in unmittelbarer Ufernähe passiert.

Denis: Ich bin mit dem Kopf unter Wasser und habe plötzlich dieses Fiepsen gehört. Delfine!

Tina: Viele glauben, wo Delfine sind, sind keine Haie. Das ist falsch, wie wir mittlerweile wissen. Tatsächlich jagen Delfine und Haie gern zusammen.

Ort der Hai-Begegnung. (Bild: privat)
Ort der Hai-Begegnung. (Bild: privat)

Denis: Aber in dem Moment hätte uns dieses Wissen auch nicht mehr geholfen. Letztendlich ging alles ganz schnell. Das Tier, das sich uns näherte, war kein Delfin, wie ich zuerst gedacht hatte. Und es hatte diese weiße, abgerundete Flosse. Das kann nicht wahr sein, dachte ich. Genau wie im Film, den ich ein paar Stunden vorher gesehen hatte. Völlig surreal.

Tina: Ich dagegen reagierte genauso wie ein paar Tage zuvor: Kamera raus. Ich dachte, es ist wieder ein Weißspitzenriffhai. Dass ich die Kamera am Selfiestick hatte, gab mir das letzte Quäntchen Sicherheit… falls es doch ein anderes Tier wäre… Dann kann ich es ja mit dem Stick wegdrücken, dachte ich.

Denis: Später hat Tina mir gesagt, dass sie das auch dann noch gedacht hat, als sie wusste, mit was für einem Hai wir es zu tun hatten. Tina ist unglaublich. Ich gehe davon aus, ihre innere Ruhe hat sich auf Sophia übertragen. Unsere Tochter ist 13, andere Mädchen in diesem Alter werden bei sowas schnell hysterisch. Damit wären wir verloren gewesen.

Wie ging es weiter, als klar war, dass Sie einen Longimanus vor sich hatten?

Denis: Wir haben ganz ruhig darüber kommuniziert, was wir am besten tun. Ich wusste, dass es klug ist, den Körper möglichst senkrecht im Wasser zu halten. Ein bisschen, wie wenn man von einem Hund angegriffen wird: Rennt man weg, provoziert das den Hund. Bleibt man stehen, sind die Chancen am besten, dass nichts passiert.

Tina: Wir waren die ganze Zeit mit dem Kopf unter Wasser. Wir mussten ja sehen, wo sich der Hai bewegt. Vollen Fokus auf das Tier: Ein Hai, den man anschaut, greift einen in der Regel nicht an.

Denis: Er hat uns umkreist. Bestimmt drei oder vier Mal. Dabei kam er immer näher. Als er direkt vor mir war, hatten wir Blickkontakt. Wirklich, er hat mir in die Augen geschaut. Und ich ihm. Komischerweise erinnere ich diesen Moment als völlig unaufgeregt und ruhig. Das pure Wahrnehmen dessen, was ist. Ich war mir absolut sicher: Er wird weitergehen. Noch näherkommen. Er wird antesten. Das sind nun mal die Facts.

Tina: Das Antesten ist für den Longimanus die einzige Möglichkeit, die Lage besser abzuchecken. Ein Hai hat schließlich keine Hände. Er hat eine Schnauze.

Bemerkenswert, dass Sie ein Tier, das Sie hätte töten können, derart in Schutz nehmen.

Tina: Es wäre ein Unding, die Tiere als böse darzustellen. Eines muss man ganz klar sagen: Wir sind es, die in den Lebensraum des Haies eingedrungen sind! Wenn Menschen so etwas tun, liegt es an ihnen, sich durch entsprechende Verhaltensweisen mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Wir haben kein Recht, so zu tun, als könnten wir das Meer beherrschen. Wir lieben Tiere. Auch und ganz besonders wilde Tiere. Der Longimanus ist vom Aussterben bedroht. Das berührt mich - so ein majestätisches, stolzes Tier!

Kam es denn dann wirklich zur Berührung?

Denis: Ja, es hat einen kurzen Kontakt zwischen meiner Hand und seinen Kiemen gegeben. Ich habe ihn weggedrückt und ihm somit signalisiert, dass wir keine Beute sind. Der enge Kontakt klingt gefährlich, aber ich glaube, der sehr viel gefährlichere Moment kam kurz darauf.

Was meinen Sie?

Tina: Zwischenzeitlich hatten wir angefangen, um Hilfe zu rufen. "Help!", "Shark". Am Strand waren zwei Lifeguards. Wie gesagt, vielleicht 30 oder 40 Meter von uns entfernt. Sie haben erst mal eine ganze Weile nicht reagiert. Sie dachten wohl, das sei ein Delfin da im Wasser.

Denis: Als sie den Ernst der Lage erkannten, kamen sie angeschwommen. Der eine mit einem Messer.

Tina: Der eine Lifeguard hat uns schnell aus dem Wasser begleitet. Der andere ist mit seinem Messer hinter uns geschwommen und hat uns sozusagen "abgesichert". Genau wie Denis sagt: Das war gefährlich. Jetzt waren wir schließlich nicht mehr senkrecht im Wasser, sondern waagerecht. Und unsere Bewegungen waren nicht ruhig, sondern hektisch. Das hätte den Hai so richtig provozieren können.

Denis: Am Ende hatten wir wohl einfach riesiges Glück.

Wie ging es Ihnen, als Sie aus dem Wasser waren?

Denis: Man ist natürlich voller Adrenalin. Der ganze Steg war voller Menschen. Der Hotelmanager kam, die Bucht wurde gesperrt und blieb es für zwei Tage.

Tina: Wir standen unter Schock. Sind erst mal aufs Hotelzimmer gegangen und haben eine Dusche genommen.

Denis: Auf dem Zimmer habe ich ein bisschen geweint. Ich habe realisiert, was hätte passieren können, wenn ich nicht vorbereitet gewesen wäre. Aber wir sind nicht zusammengebrochen oder so. Eher haben wir ziemlich schnell umgeschaltet…

Tina: Auf: Wow. Was für ein cooles Erlebnis!

Denis: Die letzten Urlaubstage waren dann allerdings ein wenig nervig. Wir hatten dem Hotelmanager Tinas Video aus dem Wasser weitergeleitet, daraufhin hat er die Behörden informiert. Das Ganze hat sich ziemlich rumgesprochen. Wir waren die Stars des Hotels.

Tina: Dabei wollten wir eigentlich nur eins: so schnell wie möglich zur Normalität zurück. Unsere Tochter ist eine Wasserratte, sie ist Leistungs- und Rettungsschwimmerin, beim DLRG aktiv. Eine große Angst war, dass es das mit dieser Leidenschaft vielleicht gewesen sein könnte.

Denis: Daher sind wir zwei Tage später wieder ins Wasser gegangen. Und zwar wieder zum Schnorcheln. Klar, im allerersten Moment hat sich das ein bisschen komisch angefühlt.

Tina: Aber im zweiten schon nicht mehr. Für uns gibt es keinen Grund, diese Art Urlaube in Zukunft nicht mehr zu machen.