Kommentar: Wie ein Gewerkschafter die Polizei verkennt

Eine Lovestory wird es wohl nicht mehr: Polizei und Klimakleber haben oft Stress miteinander. Ein Polizeigewerkschafter aber gießt unnötig Öl ins Feuer – was der Sprecher der Berliner GdP unermüdlich loslässt, hat etwas Obsessives. Polizei aber ist anders. Vielleicht sollte er die Polizeischulbücher näher studieren.

Polizisten tragen vorm Kanzleramt eine Aktivistin der
Polizisten tragen vorm Kanzleramt eine Aktivistin der "Letzten Generation" weg. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Manchmal klingt Benjamin Jendro, als sei er auf einer Mission. Der Sprecher der Berliner Polizei-Gewerkschaft GdP scheint seine Finger im Minutentakt übers Smartphone-Display gleiten zu lassen, um auf X (das Ding, das früher Twitter hieß) die Fahne der Gewerkschaft hochzuhalten. Was respektabel ist. Es unterstreicht, dass die Beamten Bürger in Uniform sind – und dass sie bei ihrer wichtigen Arbeit eine starke Interessenvertretung brauchen. Was Personal und Gehalt angeht, lässt der Staat jene, die ihn vertreten und für ihn auf der Straße den Kopf hinhalten, zu oft im Stich.

Das tun die Polizisten auch bei den Protestaktionen der "Letzten Generation". Sie müssen kommen, wenn sich die Klimakleber mal wieder festgesetzt haben. Sie müssen unterbinden, wegtragen, "entkleben" – es gibt gewiss Schöneres. Und dann auch noch die wütenden Passanten und die filmenden Unterstützer der Aktivisten, da ist das Bewahren von Nerven zuweilen eine Herausforderung.

Jendro aber kennt offenbar nur das Keulenwerfen. Dass er die Aktivisten der "Letzten Generation" in seinen Tweets stets mit einem vorangestellten "sogenannten" versieht, ist sein Recht. Deren Name ist durchaus anspruchsvoll und fordert Kritik heraus. Nur schießt Jendro weit übers Ziel hinaus. Dem Berufstand, den er vertritt, tut er damit keinen Gefallen.

Was war passiert? Zwei Beamte in Zivil waren am vergangenen Dienstag zu einer Farbaktion vorm Kanzleramt gerufen worden. Eine Kamera hielt fest, wie sie nicht nur unsanft Menschen herumschubsten, sie im einen Moment fixierten, im anderen wieder losließen und darüber hinaus einer von ihnen einer Aktivistin, die Slogans mit Farbe zu schmieren versucht hatte, den Farbpinsel übers Gesicht zog. Alles ziemlich überflüssig, sinnlos und für mich auch übergriffig. Da schien sich jemand nicht im Griff zu haben.

Eins, zwei, X

Doch was verbreitete Jendro auf X? "Wir brauchen nicht darüber reden, dass das nicht optimal aussieht. Aber polizeiliche Maßnahmen sehen selten schön aus und wir reden über Sachbeschädigungen, die durch unsere Kollegen geahndet werden müssen. (…) Bis heute wurden sämtliche Verfahren, bei denen man unsere Kollegen diskreditieren wollte und angeblich rechtswidrige Maßnahmen angeprangert hat, juristisch eingestellt. Ob das in diesem Fall auch so sein wird, werden wir sehen. Im Kontext von gut 550.000 Einsatzkräftestunden und der dauerhaften Debatte um das richtige Vorgehen bei diesen Aktionen sollte man das dann aber auch sauber einordnen."

Aha. Wenn ein Polizist zu einem Pinsel greift und damit einer Bürgerin durchs Gesicht zieht, sieht das nicht optimal aus, aber, hey, das Leben ist "selten schön". Damit verteidigt er, was nicht zu verteidigen ist. Und natürlich ist es der Polizei generell hoch anzurechnen, dass sie in den vergangenen Monaten bei den so vielen Aktionen der Aktivisten die Ruhe behalten hat, umsichtig vorging. Aber der Verweis auf die eingestellten Verfahren ist nur die halbe Wahrheit. Denn dies sagt nichts darüber aus, ob in einem Fall Fehler gemacht worden sind. Eine gute Polizei aber lebt von ihrer guten Fehlerkultur. Und nicht von Supidupi, wie Jendro es vorzumachen scheint.

Einen Tag später dämmerte den Gewerkschaftern, dass doch nicht alles unheimlich okay gewesen war, und sie x-ten: "Die Maßnahmen gestern vorm Bundeskanzleramt sahen nicht gut aus und werden zurecht auf Rechtmäßigkeit überprüft, der Pinsel hat nichts im Gesicht zu suchen" – was Jendro auch gesagt habe. Tja, in seinem Tweet aber kam es anders rüber.

Dauer-Kritik an den Klimaaktivisten

Der Sprecher ist auf X hyperaktiv. Zu unterschiedlichen und wichtigen Themen äußert er sich, manchmal witzig, manchmal sehr verantwortungsvoll. Aber ein roter Faden schimmert durch. Geht es um die Klimaaktivisten, brennen ein paar Sicherungen durch. Dazu reicht allein ein Blick in die vergangene Woche.

Am 27.10. schrieb Jendo auf X: "Wenn man sich ansieht, welch schweres Gefährt die Klima-Kleber für ihre Guerilla-Aktionen auffahren, kann man das vermeintlich Ziel mehr Klimaschutz schon in Frage stellen." Denn da gab es einen von den Aktivisten eingesetzten Kran, "der durchaus ein paar Liter Benzin verbraucht". Ein typisches Ablenkungsargument: Als würde eine Klimaschutzaktion diskreditiert, wenn durch sie Benzin verbraucht würde. Andersrum würde man wohl die Klimakleber verspotten, wenn sie auf Rädern angefahren kommen und schnell noch ein veganes Müsli zu sich nehmen. In Jendros Welt können sie ihm nichts mehr recht machen.

Am 26.10. schreibt er von der "Letzten Generation", die "nur noch zum Selbstzweck auf die Straße geht", von "Zirkusveranstaltungen". Damit unterstellt er den Leuten, dass es ihnen nicht um Klimaschutz geht, was hanebüchen ist. Keinen einzigen Hinweis gibt es dafür. Natürlich wird es unter den Aktivisten der "Letzten Generation" Selbstdarsteller und Möchtegern-Märtyrer geben, was es bei jeder Bewegung gibt. Nur sind sie Einzelfälle. Die überwältigende Mehrheit der Kleber findet es nicht so toll, Gefängnis zu riskieren. Jendro aber stellt sie als dumm dar: "Wir haben auch die Letzte Generation, die immer noch nicht verstanden hat, dass der Rechtsstaat noch andere Aufgaben bewältigen muss." Ist ja nicht jeder ein Durchchecker wie er.

Am 23.10. schrieb er schließlich auf X: "Wir brauchen endlich die Einstufung als kriminelle Vereinigung, für die seit Langem alle Parameter erfüllt sind", die Finanzbehörden sollten sich "die Geldströme mal genau ansehen". Die "Letzte Generation" verübt Straftaten, das macht sie aber nicht zu einer kriminellen Vereinigung. Dieses Manöver ist ein durchsichtiger Versuch der Diskreditierung. Gerade die Polizei sollte wissen, dass es einen Unterschied zu Drogenhändlerringen, Mafia und anderen Gangstern gibt.

Jendro aber ist längst nicht mehr zu stoppen, schon am 24.10. ließ er verlautbaren: "…weil mehr und mehr klar wird, dass wir es hier mit einer kriminellen Vereinigung zu tun haben, der es nicht um Klimaschutz, sondern reine Selbstdarstellung und Diskreditieren demokratischer Strukturen und Werte geht". Hiermit erweitert der Sprecher die Vorwurfspalette: Nun gehe es den Aktivisten gegen die Demokratie und gegen "Werte". Wo verstoßen sie gegen Demokratie? Und welche Werte meint Jendro? Er schießt mit Kanonen auf Spatzen und arbeitet mit Unterstellungen. Das Blockieren von Autoverkehr kann nerven, stören, auch Notwendiges verhindern, im schlimmsten Fall gar Menschenleben riskieren. Demokratie und Werte aber sind Anderes.

Ein Gewerkschafter im Grabenkampf

Jendro aber hat sich festgebissen. Am 23.10. schreibt er auf X über "sinnfreie und egoistische Guerilla-Aktionen". Wenn er den Sinn nicht erkennt, sollte er nochmal mehr lesen. Guerilla steht auch in einem anderen historischen Kontext.

Polizisten tragen eine schwere Verantwortung. Das verpflichtet sie zu Neutralität. Farbpinseln ist nicht neutral, hektisches Geschubse auch kaum. Und das ständige Runtermachen der "Letzten Generation" mag zwar dem Motiv geschuldet sein, dem Frust mancher Beamter über diese Einsätze ein Ventil zu öffnen. Fair aber ist es nicht. Die Fakten sprechen für eine andere Beschreibung der Gruppe. Mit all dem wird der Gewerkschaftssprecher dem hohen Ansehen dieses Berufsstands nicht gerecht.

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