Kommentar: Wie Klimaaktivisten die Demokratie verschmähen

Die Gruppe „Letzte Generation“ fordert einen Gesellschaftsrat – dessen Beschlüsse solle die Bundesregierung wortgetreu umsetzen. Der Frust über den fehlenden Ernst beim Kampf gegen den Klimawandel ist verständlich. Aber durch diese Idee verraten die Aktivisten die Demokratie. Mit diesem Vorschlag gewinnt man keinen Blumentopf.

Klimaaktivisten der
Klimaaktivisten der "Letzten Generation" bei einer Garagenblockade am Bundestag (Bild: REUTERS/Christian Mang)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Dass wir alle die Notwendigkeit und Dringlichkeit nicht verstanden haben: Das stimmt. Der Klimawandel macht sich breit, und unsere Politik versagt. Man könnte ja einiges tun, aber wir geben den politisch Verantwortlichen dazu nicht den Auftrag.

Man könnte jetzt sagen: Das war’s. Dann geht die menschliche Zivilisation eben langfristig auf diesem Planeten vor die Hunde. Die Aktivisten der Klimagruppe „Letzte Generation“ haben eine andere Idee. Sie fordern einen Gesellschaftsrat. Der soll ein neues Beschlussgremium werden. „Er setzt sich zusammen aus zufällig gelosten Menschen, die die Bevölkerung Deutschlands nach Kriterien wie Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss und Migrationshintergrund bestmöglich abbilden“, heißt es auf deren Website; also eine Art Mini-Deutschland.

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Der „Letzten Generation“ schwebt vor, dass in diesem Rat festgelegt wird, welche Schritte genau unternommen werden. Bis wann wie emissionsfrei? Dies übernimmt dann bindend die Bundesregierung und setzt um, exekutiert eben.

Diese Idee ist nicht einmal verlockend.

Sie war es einmal, und zwar vor über hundert Jahren. Als das deutsche Kaiserreich endlich zusammenbrach, bildeten sich so genannte Arbeiter- und Soldatenräte. Sie sollten sicherstellen, dass die bisher unterdrückten Bürger wirklich an der politischen Macht und Verantwortung beteiligt werden. Sie setzten sich nicht gegen den Parlamentarismus durch.

Dit oder dat

Man kann aber nur eines haben. Entweder parlamentarische Demokratie oder eine Art Bürgerräte-Demokratie. Letzteres könnte mit solch einem Gesellschaftsrat arbeiten. Der Parlamentarismus aber nicht.

Denn die „Letzte Generation“ fordert diesen Rat nur, weil sie mit dem Parlamentarismus und seiner Langsamkeit, seinem Kompromisslertum, unzufrieden ist. Nicht zufrieden mit dem Parlamentarischen waren aber in der Vergangenheit auch Andere, und die kamen von Rechts. Adolf Hitler fand Parlamentarismus doof. Und Rechtspopulisten von heute würden ihn auch gern, ab und zu, hintergehen, zumindest in Teilen.

Die Parlamentarische Demokratie aber ist kein Wunschzettel. Sie ist kein Wünsch-Dir-Was, denn dann hätten wir in Deutschland tatsächlich 80 Millionen Bundestrainer für die Fußball-Nationalmannschaft, und das würde Hansi Flick zurecht ineffektiv finden. Solch ein Gesellschaftsrat kann die Landtage oder den Bundestag nicht unterstützen, sondern nur ausschalten.

Auch theoretisch kann ich mir allein die Auswahl seiner Mitglieder nur schwer vorstellen. Wird dann wirklich die so ungemein diverse Gesellschaft abgebildet? Und was, wenn der Rat beschließt, gegen den Klimawandel erstmal gar nichts zu unternehmen? Denkt sich die „Letzte Generation“ dann ein anderes Gremium aus?

Es drohen ganz andere Gefahren

Es ist schlicht nicht durchdacht. Aber mit der Demokratie spielt man nicht. Sie ist in ihrer parlamentarischen Form das Beste, das uns passieren kann. Perfekt ist sie nicht. Und im Kampf gegen den Klimawandel wird sie den Herausforderungen nicht gerecht. Aber rechtfertigt dieser wichtige Überlebenskampf ihre Einschränkung?

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Es klingt hart. Aber wenn die Gesellschaften auch parlamentarisch verfasst dafür sorgen, dass die Menschheit ihre eigenen Lebensgrundlagen verfeuert – dann sei’s drum. Es ist auch alles andere als garantiert, dass eine Verfügung von Wenigen, eine Autokratie oder Diktatur besser gegen den Klimawandel agieren würde.

Die „Letzte Generation“ ist eine linke Organisation. Dass aus dieser Ecke der Parlamentarismus madig gemacht wird, ist schlicht tragisch. Diese Klimaaktivisten spielen mit einer Büchse, die man besser nicht öffnet.