Netanjahu verärgert wichtigen US-Verbündeten

Israels Regierungschef heizt mit einem Video die Spannungen im Verhältnis zum US-Verbündeten an. (Bild: dpa)
Israels Regierungschef heizt mit einem Video die Spannungen im Verhältnis zum US-Verbündeten an. (Bild: dpa)

Eine neue Fehde des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit der US-Regierung erschwert einem Medienbericht zufolge die Bemühungen um eine Deeskalation im Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz im Libanon.

Netanjahus Video vom vergangenen Dienstag, in dem er die US-Regierung wegen einer zurückgehaltenen Waffenlieferung mit harschen Worten angegriffen hatte, sorge für eine Kluft zwischen den Verbündeten und untergrabe Israels Abschreckungskraft in der Region, berichtete das US-Nachrichtenportal "Axios" unter Berufung auf mehrere US-Beamte. Netanjahus Video sei "gelinde gesagt verblüffend", "zutiefst enttäuschend" und "ärgerlich" gewesen, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby.

Israels Regierungschef legte nach Kirbys Äußerungen noch einmal nach: "Ich bin bereit, persönliche Angriffe zu ertragen, solange Israel von den USA die Munition erhält, die es im Krieg um seine Existenz braucht", sagte Netanjahu nach Angaben seines Büros. "Es gibt nichts Besseres, als der Hisbollah zu sagen, dass die USA Israel Waffen vorenthalten, was falsch ist, damit sie sich ermutigt fühlt", zitierte "Axios" einen ranghohen US-Beamten.

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hatte am Vorabend die Kampfbereitschaft seiner Schiitenmiliz betont: "Wenn sie (die Israelis) dem Libanon einen Krieg aufzwingen, wird der Widerstand ohne Einschränkungen, Regeln und Grenzen zurückschlagen". Zugleich betonte der Generalsekretär der Miliz, der Libanon strebe keinen großangelegten Krieg mit Israel an.

Seit mehr als acht Monaten beschießen sich Israel und die Hisbollah ständig. Zuletzt nahm die Intensität der Gefechte deutlich zu. Es wird befürchtet, dass ein offener Krieg zwischen beiden Seiten sich zu einem regionalen Konflikt ausweiten könnte, in den auch die USA als wichtigster Verbündeter Israels hereingezogen würden.

Zwischen Israels Regierungschef Netanjahu und der Regierung von US-Präsident Joe Biden hatte es bereits in den vergangenen Monaten heftige Verstimmungen gegeben. Biden und andere ranghohe US-Regierungsvertreter machten mehrfach auf ungewöhnlich deutliche Weise klar, dass sie mit Netanjahus Vorgehen im Gaza-Krieg nicht einverstanden sind. Kritik gibt es insbesondere wegen der hohen Zahl ziviler Opfer und der humanitären Not in dem abgeriegelten Gebiet.

Dass Netanjahu die US-Regierung nun wegen einer zurückgehaltenen Waffenlieferung harsch anging, heizt die Spannungen weiter an. US-Außenminister Antony Blinken hatte Netanjahus Kritik bereits entschieden zurückgewiesen und betont, es gebe nur eine pausierte Lieferung aus den USA an Israel. Dabei geht es um die Lieferung bestimmter Bomben, die vorerst aufgehalten wurde, weil die US-Regierung Bedenken hat, dass sie in einem dicht besiedelten Gebiet wie Rafah im Süden Gazas eingesetzt werden könnten.

Ungeachtet der Verstimmung traf Blinken gestern mit dem israelischen nationalen Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi und dem Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer, in Washington zusammen, wie ein Sprecher des US-Außenministeriums mitteilte. Blinken habe dabei das unbedingte Engagement der USA für die Sicherheit Israels bekräftigt, hieß es.

Zugleich habe er die Notwendigkeit betont, weitere Schritte zu unternehmen, um die humanitäre Hilfe im Gazastreifen zu verstärken sowie Pläne für die künftige Verwaltung und den Wiederaufbau des Gebiets nach dem Krieg zu erstellen. Es sei zudem wichtig, eine weitere Eskalation im Libanon zu vermeiden und eine diplomatische Lösung zu finden.

Zuvor hatte auch Israels Armeesprecher Daniel Hagari mit Nachdruck eine politische Vision für die Zukunft des Gazastreifens gefordert. "Die Hamas ist eine Idee, sie ist eine Partei. Sie ist in den Herzen der Menschen verwurzelt. Wer glaubt, wir könnten die Hamas ausschalten, irrt sich", sagte Hagari dem israelischen Sender Channel 13. Es müsse eine Alternative für die Hamas auf politischer Ebene gefunden werden, um sie im Gazastreifen zu ersetzen. Ansonsten werde die islamistische Terrororganisation weiterbestehen. Über die Zerstörung der Hamas zu reden, führe die Öffentlichkeit in die Irre.

Mit seinen Aussagen weckte Hagari Zweifel am erklärten Kriegsziel der Regierung von Netanjahu: Die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen zu beenden sowie ihre militärischen Fähigkeiten zu zerstören. Das Büro des Ministerpräsidenten wies die Äußerungen des Armeesprechers zurück.

Die Armee sei "dem natürlich verpflichtet", hieß in einer Mitteilung. Unterdessen gingen am Donnerstagabend in Israel erneut Tausende Menschen aus Protest gegen die Regierung von Netanjahu auf die Straße. Die größte Kundgebung fand israelischen Medien zufolge vor einem Privathaus Netanjahus in der Stadt Caesarea statt.

Die Demonstranten forderten wieder Neuwahlen und die Freilassung der im Gazastreifen noch festgehaltenen Geiseln. Auch in Jerusalem versammelten sich Medienberichten zufolge Hunderte Menschen zu einer Kundgebung. Seit Monaten gibt es in Israel immer wieder scharfe Proteste gegen die Regierung.

Die Demonstranten werfen Netanjahu vor, sich den Forderungen seiner extremistischen Koalitionspartner zu beugen und deshalb auch einen Deal zur Freilassung der von der Hamas festgehaltenen Geiseln zu hintertreiben. Einige Minister sind gegen ein Abkommen mit den Islamisten, da es auch eine Waffenruhe und die Entlassung palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen vorsehen würde.

Seit Monaten laufen Bemühungen der Vermittler USA, Katar und Ägypten, Israel zu einer Waffenruhe und die Hamas zur Freilassung der noch rund 120 aus Israel verschleppten Menschen zu bewegen - bislang ohne Erfolg. Das "Wall Street Journal" hatte jüngst berichtet, dass die Zahl der noch lebenden Entführten bei nur etwa 50 liegen könnte.

Derweil ging nach mehrtägiger Pause der vom US-Militär errichtete provisorische Pier vor der Küste des Gazastreifens wieder in Betrieb. Das zuständige Regionalkommando (Centcom) habe die Anlegestelle am Mittwoch erneut am Strand verankert, sagte Pentagon-Sprecher Pat Ryder.

Der Transfer von Hilfsgütern von Zypern sei wieder aufgenommen worden. Ende vergangener Woche hatte das US-Militär mitgeteilt, dass der Pier wegen rauen Seegangs vorübergehend an Israels Küste geschleppt werden musste. Auch die Verteilung der Hilfe erwies sich als schwierig. Ryder betonte, es gebe kein Enddatum für das Projekt.