"Ich platze gleich": LKW-Fahrer geigt bei "Hart aber fair" FDP-Politiker die Meinung

Über mangelnde Emotionen konnte sich Moderator Louis Klamroth (links) bei
Über mangelnde Emotionen konnte sich Moderator Louis Klamroth (links) bei "Hart aber fair" nicht beschweren. LKW-Fahrer Jan Labrenz teilte ordentlich aus - auch gegen die anwesenden Politikerinnen und Politiker im Studio. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Niedrige Reizschwelle bei "Hart aber fair" (ARD): Einem LKW-Fahrer ging im Interview mit Louis Klamroth die Hutschnur hoch, im Rededuell mit FDP-Mann Konstantin Kuhle war ihm Applaus aus dem Publikum sicher. Nach der Europawahl waren Politiker-Diäten nicht das einzige Reizthema ...

Es sei das "Schlimmste eingetreten", urteilte Wolfgang Niedecken, Sänger und Gründer der Band BAP, am Montag im "Hart aber fair"-Studio zur Europawahl. Die Ampelparteien waren abgestraft worden, die Union ist mit 30 Prozent zwar die stärkste Kraft, und die AfD ging mit 15,9 Prozent - und insbesondere bei den 16- bis 24-jährigen Wählerinnen und Wählern - als eindeutige Gewinnerin hervor.

Als "letzten Schuss vor den Bug" nahm Juso-Vorsitzender Philipp Türmer im ARD-Talk das Ergebnis für Deutschlands Regierung wahr. Geht es nach der Union, hatte die Ampel ihre gesamte Munition längst abgefeuert: Oppositions-Vertreter sprachen von Vertrauensfrage und Neuwahlen, wie sie Frankreichs Präsident Macron nach den Verlusten seiner Allianz ausgerufen hatte. "Macron stellt sich der Verantwortung und tut nicht so, als wäre nichts geschehen", wollte Serap Güler (CDU) offenbar Ähnliches in Deutschland sehen, "das tut der Kanzler nicht."

"Was Macron macht, ist ein Kamikazeritt", erklärte Bestseller-Autorin Juli Zeh - und sprach sich gegen Neuwahlen in Deutschland aus. Wolfgang Niedeckens Fazit zur Europawahl: Das "Schlimmste" sei eingetreten. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)
"Was Macron macht, ist ein Kamikazeritt", erklärte Bestseller-Autorin Juli Zeh - und sprach sich gegen Neuwahlen in Deutschland aus. Wolfgang Niedeckens Fazit zur Europawahl: Das "Schlimmste" sei eingetreten. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

"Was Macron macht, ist ein Kamikazeritt", fand Bestseller-Autorin Juli Zeh bei Louis Klamroth eindeutige Worte und sprach sich gegen das "Ampelbashing" aus: "Die Idee, jetzt eine Vertrauensfrage und Neuwahlen zu fordern, ist geisteskrank und brandgefährlich." Schon die aktuelle "dreiköpfige Zwangsehe" der Regierung sei nicht aus Liebe, sondern aufgrund des Wählerwillens geschlossen worden. Je mehr solche hybriden Konstellationen zustande kämen, desto leichter sei es für Parteien wie die AfD zu sagen: Die kriegen nichts auf die Kette. Um das Vertrauen in die Politik zu stärken, müssten die Regierenden eine klare Vision vermitteln.

"Wir alle sitzen in einem Boot", wünschte sich FDP-Politiker Konstantin Kuhle angesichts der Ergebnisse "von uns allen staatspolitische Verantwortung". Zahlen interessierten keinen, es ginge um Themen: Massive wirtschaftliche Verunsicherung in der Mitte der Gesellschaft, fehlendes Wirtschaftswachstum, Verunsicherung durch die Corona-Krise und mangelhafte Migrationspolitik führten unterm Strich zu den Ergebnissen, nannte er einige Probleme.

Auch der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer (SPD, rechts) knöpfte sich Kuhle vor und prangerte
Auch der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer (SPD, rechts) knöpfte sich Kuhle vor und prangerte "ideologische Verbohrtheit" in der FDP an. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

"Politiker glauben zu wissen, was hier los ist - das glaube ich nicht", konnten Kuhle und seine Kollegen LKW-Fahrer Jan Labrenz bisher nicht überzeugen. Seit 2016 ist er hauptberuflich auf Deutschlands Straßen unterwegs und damit laut Klamroth dort, wo die Probleme liegen. Von Kassel bis Paderborn war er mit Labrenz am Freitag vor der Sendung unterwegs, um über eben diese zu sprechen: Starkes soziales Gefälle, insolvente Wirtschaftsbetriebe, Preissteigerungen bis hin zu maroden Brücken führten Labrenz' Beobachtung nach vor allem zu einem: "Die Reizschwelle ist geringer geworden", nahm der LKW-Fahrer eine Stimmungsänderung in der Bevölkerung wahr.

Auch er selbst war gegen die Gereiztheit alles Andere als immun: "Ich platze gleich", reagierte Labrenz auf die Diskussion im Studio. Gerade hatten sich Kuhle und Türmer passenderweise beim Thema Streitkultur in der Politik in die Haare gekriegt. Ob er für Neuwahlen sei, wollte Klamroth vom LKW-Fahrer wissen: "Nein, wenn sie sich mehr aufs Thema konzentrierten, dann hätten wir das Thema nicht", antwortete Labranz genervt. "Man hört es hier: Sie kümmern sich alle um sich selbst."

Im Zentrum von Labrenz' Kritik stand FDP-Mann Konstantin Kuhle, der betonte, dass Politiker keine
Im Zentrum von Labrenz' Kritik stand FDP-Mann Konstantin Kuhle, der betonte, dass Politiker keine "abgekapselte Gruppe" seien. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Der Vorwurf war nachvollziehbar. Kurz zuvor hatte der LKW-Fahrer seinem Ärger darüber Luft gemacht, dass Spesen gekürzt wurden und er täglich vier bis fünf Euro fürs Duschengehen aus eigener Tasche bezahlen müsste. "Ich finde es eine Frechheit, dass die Politiker ihre Diäten um 500 Euro erhöhen, weil alles so teuer geworden ist", schimpfte er. Der Applaus aus dem Publikum gab ihm recht.

Hatte Lamya Kaddor (Grüne) Verständnis gezeigt und sich für ein Angleichen ausgesprochen, reagierte Kuhle weniger sensibel: "Haben Sie mitbekommen, dass während der Corona-Krise unsere Diäten gesunken sind?", wollte er von Labrenz wissen. Die Bezahlung von Politikern richte sich nämlich danach, ob Löhne steigen oder fallen. "Da bin ich wirklich traurig", hielt der LKW-Fahrer mit seinem Sarkasmus nicht hinterm Berg und betonte, dass das Verhältnis ein anderes sei. Kuhle zog die Mitleidskarte: Seit sieben Jahren sei er Bundestagsabgeordneter, wie lange das noch so wäre, das würden die Bürger entscheiden. Man solle nicht so tun, als wären Politiker eine "abgekapselte Gruppe".

Helene Bubrowski, Serap Güler (CDU), BAP-Sänger Wolfgang Niedecken, Autorin Juli Zeh, Moderator Louis Klamroth, Konstantin Kuhle (FDP), Lamya Kaddor (Grüne) und Juso-Vorsitzender Philipp Türmer (SPD, von links) diskutierten bei
Helene Bubrowski, Serap Güler (CDU), BAP-Sänger Wolfgang Niedecken, Autorin Juli Zeh, Moderator Louis Klamroth, Konstantin Kuhle (FDP), Lamya Kaddor (Grüne) und Juso-Vorsitzender Philipp Türmer (SPD, von links) diskutierten bei "Hart aber fair" über das Abschneiden der Ampel. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Der Konter ließ auf sich warten. Er kam von SPD-Juso-Chef Türmer. Anlass war die Diskussion über die Aufweichung der Schuldenbremse, die die FDP - entgegen den Forderungen der anderen Ampel-Parteien - klar ablehnte, um künftigen Generationen keine Schulden zu hinterlassen. "Sie haben zuerst herzallerliebst über Ihre Jobunsicherheit gesprochen", meinte der Jungpolitiker angriffslustig, "viele Menschen in diesem Land, die deutlich weniger als 10.000 Brutto verdienen, haben im Moment die gleiche Jobunsicherheit." Das Publikum reagierte mit Lachen und Applaus.

In Niedersachsen seien Unternehmer von Insolvenz bedroht, weil sie im internationalen Wettbewerb nicht mithalten könnten. Wenn dann die "FDP aus ideologischer Verbohrtheit sagt, wir machen alles wie immer und das paradoxerweise mit meiner Generation erklärt, werde ich ein bisschen emotional", war offensichtlich seine Reizschwelle überschritten. Türmer sprach sich für Investitionen aus.

Ihm gegenüber hätten Unternehmer in Niedersachsen nur über zu hohe Energiepreise, Lohnnebenkosten und Bürokratie geklagt, war Kuhle nicht aus der Fassung zu bringen. "Dann sollten wir uns mal vernetzen", schlug Türmer vor. Klamroth hatte eine noch bessere Idee: "Nach dieser Sendung haben wir Sommerpause. Wir drei fahren mit einem Kamerateam nach Niedersachsen und sprechen mit Unternehmern." Eine Einladung, die er später auch auf Güler ausdehnte: "Platz ist da."

Zum Schluss wurde es wieder ernster: Angesichts des Attentats von Mannheim hatte sich Bundeskanzler Scholz (SPD) für eine Abschiebung von Straftätern auch nach Syrien und Afghanistan ausgesprochen. "Es ist falsch, in Erwägung zu ziehen, mit der Taliban zusammenzuarbeiten", so Journalist Emran Feroz. Er erinnerte an die Genfer Konvention: "Das wäre ein absoluter Verrat an all diesen Werten, wenn man mit diesen Leuten an einem Tisch sitzt."

"Die Genfer Flüchtlingskonvention lässt es zu, dass Schwersttäter abgeschoben werden", wünschte sich Kuhle hingegen Aussagen wie diese häufiger vom Bundeskanzler. Von vornherein zu sagen, das ginge nicht, würde Deutschland erpressbar machen. Dass "Gefährder und Straftäter ihr Schutzrecht verwirkt" hätten, sei auch die Ansicht der Grünen. Allerdings müsse geprüft werden, was rechtssicher und durchführbar sei, wollte Kaddor sich nicht weiter festlegen. Juso-Chef Türmer erklärte: Statt den Taliban Geld zu zahlen, solle man Polizeibehörden stärken, Social Media kontrollieren, sich mit Communitys enger austauschen. "Abschiebung führt am Ende zu Radikalisierung", warnte Türmer.

Juristin Juli Zeh erklärte, solche Einzelfälle würden nur das Signal senden, dass der Rechtsstaat dysfunktional wäre. "Deswegen warne ich davor, solche emotional aufgeladenen Fälle zur Plattform für eine Grundsatzdebatte zu machen", ergänzte sie. Klamroths Einwurf, dass Letztere der Bundeskanzler losgetreten hätte, wäre beinah im Applaus untergegangen. Zehs Kommentar war wieder deutlich zu hören: "War doof", meinte sie nur.