Nach sieben Turniertagen in Deutschland - Die erfreulichste Erkenntnis der ersten EM-Woche hat nichts mit Fußball zu tun

Schottland-Fans beim Spiel gegen die Schweiz in Köln<span class="copyright">Imago</span>
Schottland-Fans beim Spiel gegen die Schweiz in KölnImago

Die erste Woche der Fußball-EM in Deutschland produziert Bilder, die in die Welt und weit über Sport hinausgehen. Es zeigt sich: Auch dieses Turnier ist durchgestylt, aber der Fußball ist im Herzen Europas immer noch ein Vereiner. Das werden sich Katar und Saudi-Arabien nie erkaufen können.

Das schrecklich Schöne an den modernen Zeiten ist, dass das Internet immer draufhält. Verlässlich strömen die Bilder dieser Fußball-Europameisterschaft in unsere digitale Welt, und was wir sehen, ist ein buntes Pflaster auf der Wunde des tief verunsicherten Europas. Orange Niederländer, rot-weiße Kroaten, gelbe Rumänen. Natürlich die blauen Schotten. Ach, die Schotten. Was für ein Volk.

Dass sie feiern können: logo. Aber welch einnehmende Herzlichkeit sie verströmen. Die Schotten sind nach Deutschland gekommen und sollen am liebsten bleiben, in München und Stuttgart, besonders in Köln, dem perfekten Ort für Völkerverständigung.

Allein der Moment, als zwei Männer ihre Regenschirme schützend über eine ältere Dame mit Rollator halten – rührend. Und nur eines von vielen, wirklich sehr vielen Beispielen, die dokumentieren, dass Europa doch nicht verloren ist.

Die EM zeigt, dass nationale Identität ohne gegenseitige Ablehnung möglich ist

Die länderübergreifenden rechtspopulistischen Tendenzen sind bedenkliche Realität und nicht zu negieren. Auch nicht von einem Fußballturnier. Das zu erhoffen, selbst jetzt, wäre deplatziert. Der Fußball kann keine politische Haltungen verändern, aber er kann eine Wucht entfalten wie wenig sonst.

In seinen besten Momenten hat er die Kraft, politische Überzeugungen, hierarchische Stände und gesellschaftliche Risse zu übertünchen. Nicht zu überwinden. Aber zumindest temporär zur Seite zu verschieben, wie eine Ablenkung vom Leben.

Insofern darf diese EM in Deutschland, im Herzen Europas, schon als Erfolg gewertet werden. Engländer, die mit Dänen zu Oasis singen. Albaner, die Spaghetti vor künstlich larmoyanten Italienern zerbrechen. Österreicher, die das gleiche mit Baguette vor Franzosen machen und sich danach feixend die Hand reichen. Oder deutsche Polizisten, die anfangs glauben, einen Brandherd zwischen Albanern und Kroaten unterbinden zu müssen. Fehlalarm. Am Ende tanzen sie in der Menge, mitten unter den Fans. Deutsche Polizisten! Tanzen!

Gewiss, zwischen Engländern und Serben sowie Türken und Georgiern gab es (nonverbale) Auseinandersetzungen. Grundsätzlich aber zeigt die EM, dass es sehr wohl möglich ist, eigene Identitäten auszuleben, ohne fremde Nationen, Attitüden und Gesinnungen tumb abzulehnen. Es geht doch beides. Das ist die erfreulichste Erkenntnis der ersten Turnierwoche.

Was wir haben, werden sich Katar und Saudi-Arabien nie kaufen können

Der Autor dieser Zeilen durfte nach Berlin, Hamburg und Düsseldorf reisen, in vollen Stadien und noch volleren Straßenzügen. Wer sich in den Austragungsorten aufhält, erkennt schnell, dass auch diese EM bis auf den letzten Millimeter durchgestylt, durchgetaktet, durchchoreografiert ist. Der europäische Fußballverband Uefa erwartet rund 2,4 Milliarden Umsatz und 1,7 Milliarden Gewinn (Milliarden!), dafür schröpft er die Kunden (sorry: die Fans), die Bierpreise sind eine Unverschämtheit.

Wie eine Planierraupe walzt die Kommerzialisierung über alles hinweg, was Klicks und Quoten verspricht; globaler Spitzensport ist längst eine Ausgeburt des Turbokapitalismus, dafür muss ein Turnier nicht in Katar stattfinden.

Aber: Niemals werden sich Katar, vorher Russland und bald Saudi-Arabien die sinnstiftende, friedliche wie fröhliche kulturelle Aneignung, wie sie gerade bei uns vorherrscht, mit ihren Scheinen erkaufen können. So etwas entsteht organisch. Oder eben gar nicht.

Wahrscheinlich bedurfte es erst bleierner Jahre, dazu gebrandmarkt von Kriegen und Corona, um dieses Gut plakativ vor Augen geführt zu bekommen. Fußball in Europa – immer noch ein Vereiner.

Hätte die deutsche Nationalmannschaft gegen die Schotten (dem Europameister im Hymnensingen, schauen Sie mal auf YouTube) sowie die Ungarn nicht überzeugend gespielt und gewonnen, dann wäre die Stimmungsstoßrichtung eine andere. Klar. So aber baut sich die ersehnte sportlich-atmosphärische Welle auf. Und das pinke Shirt ist das bestverkaufte Auswärtstrikot der DFB-Geschichte. Liebe Grüße an die AfD.