"Wollte aufgeben" und "keinen Bock“? Trainer war überrascht

"Wollte aufgeben" und "keinen Bock“? Trainer war überrascht
"Wollte aufgeben" und "keinen Bock“? Trainer war überrascht

Noch mehr als mit ihrem plötzlichen Ausstieg aus dem Zeitfahren am Donnerstag bei der Rad-WM in Glasgow überraschte Marlen Reusser mit ihrer Erklärung. „Ich hatte keinen Bock und habe dann einfach gestoppt“, sagte die Schweizerin, die als Mitfavoritin auf den Titel gestartet war, nach dem Rennen.

Bei ihrem Landsmann Stefan Küng durfte sie dafür nicht auf allzu viel Verständnis hoffen. Der 29-Jährige sorgte einen Tag später mit Rang zwölf im Zeitfahren für seine schlechteste Platzierung bei einer Weltmeisterschaft in den letzten Jahren. Trotzdem sei für ihn eine Aufgabe nie in Frage gekommen, wie er im Zielraum beim Schweizer TV-Sender SRF betonte: „Ich habe in meinem ganzen Leben nur Rennen aufgegeben, wenn ich im Spital gelandet bin.“

Es gebe sicher andere Fahrer, die mehr Talent als er hätten, „aber ich mache es zum Teil mit Leidenschaft und Kämpferherz wett“, schickte er einen Seitenhieb Richtung Reusser. Auch Hendrik Werner konnte zunächst vor Ungläubigkeit seinen Augen nicht trauen - und er müsse es wissen.

Der Freund und Trainer von Reusser verfolgte das Geschehen aus dem Zielraum, wie er dem Schweizer Blick am Samstag berichtete: „Ich war im Zielbereich und schaute mir das Rennen auf der Großleinwand an. Als Marlen auf einmal anhielt und vom Rad stieg, konnte ich wie alle anderen Zuschauer zuerst nicht verstehen, was hier gerade vor sich geht.“

Nationaltrainer: „Wenn man die Geschichte dahinter kennt...“

Erst als er Nationaltrainer Edi Telser am Telefon hatte, wurde ihm bewusst, dass es weder ein technischer Defekt noch ein körperliches Problem war. Telser zeigte sich im Nahhinein hin und hergerissen, wie er die Aktion seines Schützlings bewerten solle.

„Natürlich war auch ich überrascht und es ist auch für mich nicht so einfach, Marlens Entscheidung zu verstehen“, gab er zu, fügte aber auch hinzu: „Wobei es sicherlich einfacher fällt, wenn man die Vorbereitung erlebt hat, die Geschichte dahinter kennt.“

Damit spielte der 48-Jährige wohl auf die Erklärung Reussers an, dass sie sich wie in einem Hamsterrad fühle. Nach der Tour de Suisse sei sie in ein Loch gefallen. „Es kam nie der Moment, als ich durchschnaufen konnte. Es ging direkt weiter, mit der Tour de France und jetzt mit dieser WM.“

Doch der Verband habe sehr viel in diese Weltmeisterschaft investiert, gab Telser zu bedenken, „ganz besonders in Marlen, weil die Optimierung des Zeitfahr-Setups mit viel Aufwand verbunden ist“. Zudem habe sich das ganze Team in Glasgow von früh bis spät in den Dienst der Athleten gestellt. „Wenn dann eine Athletin auf dem Weg zu einem Medaillengewinn aufgibt, fühlt sich das komisch an für jene, welche hinter den Kulissen arbeiten.“

Radsport: Gesundheit steht an erster Stelle

Dennoch habe es Verständnis für die Entscheidung der 31-Jährigen gegeben, da es hier über den Sport hinausging. „Die Gesundheit kommt bei uns an erster Stelle, sie steht über dem Sport.“ Mit etwas Abstand werde man daher das Geschehen analysieren und die Ergebnisse in die Planung der kommenden Saison einfließen lassen. „Im Zentrum steht für uns, dass es Marlen gut geht.“

Auch in den Sozialen Medien erhielt Reusser viel Zuspruch, mentale Gesundheit müsse im Sport mehr Aufmerksamkeit erhalten war der grundsätzliche Tenor. Reusser selbst hatte bereits direkt nach dem Zeitfahren klargemacht, dass sie nicht an ein Karriereende denke.

„Ich bin sicher, ich will weitermachen. Ich habe noch nicht genug vom Velo fahren“, schickt sie eine Kampfansage an die Konkurrenz für das Straßenrennen am Sonntag, wo die Schweizerin wieder an den Start gehen wird.