Superstar im Wettlauf mit der Zeit
Zwei Wochen vor dem Beginn der Tour de France läuft für Jonas Vingegaard längst ein Rennen gegen die Zeit. Der dänische Radsport-Star kämpft nach seinem schweren Sturz Anfang April um eine rechtzeitige Rückkehr, um seinen Titel bei der Frankreich-Rundfahrt verteidigen zu können.
Seit dem Unfall am 4. April bei der Baskenland-Rundfahrt hat der 27-Jährige kein Rennen mehr bestritten. Die Verletzungen, darunter eine Schlüsselbeinfraktur und Rippenbrüche, waren heftig.
Zudem erlitt Vingegaard eine Lungenquetschung und musste zwölf Tage im Krankenhaus verbringen. Die Pläne des zweimaligen Tour-de-France-Siegers wurden in der Konsequenz komplett über den Haufen geworfen.
Ursprünglich hatte er geplant, bereits im Mai ein Höhentrainingslager für das bedeutendste Radrennen der Welt zu absolvieren.
Vingegaard trainiert mit Team - Trainer bleibt skeptisch
Stattdessen kehrte Vingegaard erst gut einen Monat vor Beginn der Tour auf das Rad zurück und nahm Schritt für Schritt sein Training auf der Straße auf. Nun bereitet sich der Däne seit rund zwei Wochen in den französischen Alpen bei Tignes vor und trainiert seit kurzem auch wieder mit seinen Visma-Kollegen zusammen.
Obwohl Vingegaards Entwicklung Hoffnung macht, bleibt sein Trainer Tim Heemskerk skeptisch, dass der Radsport-Star am 29. Juni in Florenz auf die Strecke gehen kann. „Für mich steht es 50:50, ob Jonas es zur Tour schafft“, stellte der Niederländer im Gespräch mit der dänischen Zeitung BT klar.
Heemskerk führte über Vingegaard aus: „Er braucht noch ein paar gute Wochen Training, bevor wir sagen können, dass er wieder auf dem Niveau ist, das er normalerweise vor der Tour hat.“ Zudem mahnte der Trainer: „Er muss noch deutlich fitter werden.“
Bis zum Startschuss sind es allerdings noch weniger als 14 Tage. Auch bleibt dem Dänen bei der 111. Frankreich-Rundfahrt keine Zeit, sich zu akklimatisieren: Schon die erste Etappe von Florenz nach Rimini stellt mit sieben Bergwertungen eine harte Aufgabe dar. Der 2.642 Meter hohe Col du Galibier folgt bereits auf der vierten Etappe.
Tour de France: Fragezeichen um Vingegaard bleibt
„Er muss jetzt in der Lage sein, sein Programm vollständig abzuarbeiten, wenn er Hoffnung haben will, für die Tour bereit zu sein“, betonte Heemskerk in Richtung Vingegaard. Nach den ersten schweren Trainingswochen sei es zudem entscheidend, „wie er darauf reagiert. Kann er damit umgehen? Wird er müde sein?“
Angesichts der eingeschränkten Vorbereitung schwebt also noch ein großes Fragezeichen über der Tour-Teilnahme von Vingegaard. Insgesamt erinnert die Situation ein wenig an die seines großen Rivalen Tadej Pogacar vom Team UAE Emirates im Vorjahr.
Der Slowene hatte sich beim Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich Ende April das Kahnbein gebrochen und konnte im Anschluss für mehrere Wochen nur auf dem Rollentrainer trainieren.
Bei der Tour ging Pogacar in der Schlusswoche zunehmend die Kraft aus. Vingegaard sicherte sich im Zeitfahren und auf der Königsetappe nach Courchevel seinen zweiten Tour-de-France-Gesamtsieg.
Pogacar könnte der Nutznießer bei der Tour sein
Dieses Jahr gilt Pogacar als Topfavorit. Nach seinem ungefährdeten Gesamtsieg beim Giro d‘Italia will der 25-Jährige zum dritten Mal die Tour gewinnen und das seit 1998 von niemandem erreichte Giro-Tour-Double noch dazu.
Die Konkurrenz ist aber stark. So setzte Bora-hansgrohe-Neuzugang Primoz Roglic mit seinem Sieg beim Criterium du Dauphine - dem traditionellen Härtestest vor der Tour - ein Ausrufezeichen. Zeitfahr-Weltmeister Remco Evenepoel, gilt bei seinem lang erwarteten Tour-Debüt ebenfalls als Mitfavorit, präsentierte sich jedoch zuletzt noch nicht in Top-Form.
Und dann wäre da womöglich noch Vingegaard. „Wenn er sich wieder wohl auf dem Rad fühlt, denke ich, dass er in guter Verfassung starten kann“, sagte Pogacar, der die Generalprobe selbst ausließ, zuletzt über seinen großen Rivalen.
Vingegaard? Pogacar-Boss wittert Bluff
Indes hält Joxean Matxin, Sportdirektor von UAE Emirates, die Aussagen aus dem Vingegaard-Lager für einen großen Bluff. „Überall lese ich, dass er seit Wochen hart arbeitet. Nein, ich bin sicher, dass Jonas bei der Tour am Start stehen wird. Und zwar in Top-Form“, betonte Matxin gegenüber der belgischen Zeitung Het Nieuwsblad.
Der Sportdirektor des Pogacar-Teams prognostizierte: „Und selbst wenn er zum Start nur bei 95 Prozent sein wird, heißt das nichts. Jonas ist ein Fahrer, der während der Tour stärker wird.“
Am Ende wird aber nur die Zeit zeigen, ob und in welcher Verfassung Vingegaard tatsächlich an den Start gehen kann.