Die Traum-Rückkehr des Vergessenen

Als Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps Mitte Mai verkündete, dass N‘Golo Kanté zum EM-Kader gehört, war die Überraschung groß. Das letzte Länderspiel hatte der 33-Jährige im Juni 2022 in der Nations League bestritten. Die folgende Winter-WM in Katar verpasste er aufgrund einer Oberschenkelverletzung.

Durch seinen Wechsel in die Wüste ein halbes Jahr später zu Al-Ittihad in Saudi-Arabien verabschiedete er sich vermeintlich endgültig aus dem Spitzenfußball. Mit dem FC Chelsea hatte er die Champions League und die englische Meisterschaft gewonnen, außerdem auch mit Leicester City. Darüber hinaus mit Frankreich den WM-Titel. Mit 32 schien sich eine überaus erfolgreiche Karriere dem Ende entgegen zuneigen.

Deschamps hatte jedoch andere Pläne mit dem Mittelfeldmotor, der 2016 in der Équipe Tricolore debütierte und über Jahre nicht aus dem Team wegzudenken war. „Er hat eine ganze Saison gespielt, wenn auch nicht in einer europäischen Liga. Er ist wieder völlig fit. Ich bin überzeugt, dass die französische Mannschaft mit seiner Erfahrung stärker sein wird“, sagte der Trainer zur Nominierung.

Bereits die beiden Startelf-Einsätze bei den finalen Testspielen gegen Luxemburg und Kanada deuteten darauf hin, dass Deschamps im Routinier einen Schlüsselspieler für die EM in Deutschland sieht. Diese Vermutung sollte sich beim knappen Auftakt-Sieg gegen Österreich auf beeindruckende Art und Weise bestätigen.

„Viel Glück für seine Konkurrenten“

„Überall“, ist auf der EM-Seite auf X zu einem Bild von Kanté zu lesen, womit der Auftritt von Kanté treffend zusammengefasst war. Zuvor hatte er über 90 Minuten den Eindruck vermittelt, als sei er nie weg gewesen. Als Staubsauger vor der Abwehr lief er unermüdlich Löcher zu, zeigte eine starke Antizipation und machte im Spiel mit dem Ball keine Fehler. Für die kreativen Momente sind bei den Franzosen bekanntlich seine Mitspieler zuständig.

Im 4-3-3 der Franzosen erhielt er unter anderem den Vorzug vor den Real-Stars Aurelien Tchouaméni (verletzungsbedingter Ausfall) und Eduardo Camavinga und hielt den Offensivstars um Kylian Mbappé und Ousmane Dembélé den Rücken frei. Viele sahen in Kanté den entscheidenden Faktor, dass Debütant William Saliba im Abwehrzentrum einen ruhigen Abend erlebte und gute Statistiken aufwies. Sein Vordermann ließ es schlicht und ergreifend nicht dazu kommen, dass der Arsenal-Verteidiger in prekäre Situationen kam.

Entsprechend erhielt in der heimischen L‘Équipe kein Franzose eine bessere Bewertung als Kanté (7 von 10 Punkte). „Wie gut es ist, einen solchen Spieler in seinem Team zu haben!“ Es ist schwer, neue Bezeichnungen zu finden, um seine Aktivitäten und seinen Beitrag zu beschreiben“, hieß es in der Bewertung und sprach eine Warnung aus: „Viel Glück für seine Konkurrenten, ihn aus der Elf zu verdrängen.“

Deschamps schwärmt von Kantés Strahlkraft

Die UEFA sah es ähnlich und zeichnete ihn als ‘Man of the Match’ aus. „Es ist schön, wieder dabei zu sein. Ich freue mich, wieder in der französischen Nationalmannschaft zu sein. Wenn man hört, wie die Fans meinen Namen rufen, gibt das Kraft“, freute sich der Mittelfeldmann. Sein Trainer hob Kantés „Intelligenz und Strahlkraft“ auf dem Feld hervor. „Man muss sich nur anschauen, was er gemacht hat.“

Vieles spricht dafür, dass Deschamps Kanté auch in den Gruppenspielen am Freitag gegen die Niederlande (21. Juni) und Polen (25. Juni) sowie in der anschließenden K.o.-Runde das Vertrauen schenken wird.

Auch ein Blick in die Historie unterstreicht diesen Plan: Mit Kanté auf dem Feld verlor Frankreich schließlich bei großen Turnieren noch kein einziges Spiel: Zwölf Siege und vier Remis stehen zu Buche. Lediglich im EM-Achtelfinale 2021 gegen die Schweiz konnte auch seine Anwesenheit das Aus im Elfmeterschießen nicht verhindern.