Wirbel um Wolfsgruß bei EM - „Das ist wie der Hitler-Gruß“, sagt Osman und rechnet mit Demiral ab

Osman K. feuert die Türkei weiterhin an, sieht den "Wolfsgruß" jedoch kritisch.
Osman K. feuert die Türkei weiterhin an, sieht den "Wolfsgruß" jedoch kritisch.

Auch unter den Türkei-Fans in Deutschland sorgt der Wolfsgruß-Jubel von Fußballspieler Merih Demiral für Wirbel. Während einer die Geste mit dem Hitlergruß vergleicht, hält ein anderer die Kritik für übertrieben.

Mit dem Abpfiff kannten die Fans kein Halten mehr: In Bremen genauso wie in vielen anderen Städten hüllten die Anhänger der türkischen Nationalmannschaft zentrale Orte in ein rot-weißes Meer; bejubelten den 2:1-Erfolg ihrer Elf im EM-Achtelfinale gegen Österreich. Doch am Tag danach trübt ein Vorfall die Stimmung bei einigen.

Osman K. hat die Partie in seinem Handy-Geschäft am Bremer Hauptbahnhof verfolgt – seinen Laden schließt er erst spätabends. Dieses Mal noch ein bisschen später, um das Spiel zu verfolgen und anschließend mit Hunderten anderen ausgelassen zu feiern. Als Merih Demiral das zwischenzeitliche 2:0 erzielte, freute sich der Bremer zunächst einfach, dem ersehnten Viertelfinale ein Stück näherzukommen.

Als er von dem Moment erzählt, ballt er die Faust, winkelt den Ellenbogen an und zieht ihn Richtung Hüfte. „Sie haben auf den Deckel bekommen“, sagt er mit einem schelmischen Lächeln. Schließlich hätten viele Österreicher vorher noch große Töne gespuckt, dass die Türkei keine Gefahr für ihre Fußballer darstelle. Doch statt einer Siegerpose, wie sie K. zeigt, legte Demiral Mittel- und Ringfinger auf den Daumen, streckte Zeige- und kleinen Finger in die Höhe: der „Wolfsgruß“, der auch türkischen Nationalisten als Symbol dient.

„Auch in der Türkei sind viele sauer, dass er das gemacht hat“

In der Freude über den Treffer sei das für ihn zunächst nur eine Randnotiz gewesen, sagt K.. Erst als er sich zu Hause noch einmal die Höhepunkte ansah, sei ihm diese Geste jedoch sauer aufgestoßen. „Normal darf er das nicht machen. Das ist wie der Hitlergruß“, kritisiert der Ladenbetreiber, der neben der deutschen auch die türkische Fahne prominent in seinem Geschäft platziert hat. Für einen Fußballspieler gehörten sich solche politischen Gesten ohnehin nicht – erst recht, wenn Millionen Menschen das Spiel verfolgen: „Auch in der Türkei sind viele sauer, dass er das gemacht hat.“

Demiral betont zwar, dass die Geste keine politische Bedeutung gehabt habe. Auch der Verfassungsschutz schreibt, dass der Wolfsgruß nur in entsprechendem Kontext als Bekenntnis zur rechtsextremen „Ülkücü“-Ideologie gewertet werden könne. Doch „muss nicht jeder Verwender dieses Grußes ein türkischer Rechtsextremist sein“.

Anders als etwa in Österreich ist der Wolfsgruß in Deutschland nicht verboten. Dennoch hat der türkische Nationalspieler mit dem Jubel eine Debatte entfacht, wegen der Kritik auf politischer Ebene hat sogar die Türkei den deutschen Botschafter einbestellt. Die Uefa wiederum hat ein Untersuchungsverfahren eingeleitet .

„Wenn man Scheiße baut, sollte man dazu stehen“

Sollte die Aktion Konsequenzen haben? „Wenn man Scheiße baut, sollte man dazu stehen“, findet K.. Ohne Ahndung könnten sich andere Spieler ermutigt fühlen, ebenfalls politische Botschaften in die heimischen Fernseher zu senden.

Genau darin sieht ein Besucher eines Dönerladens überhaupt kein Problem. „Das ist ein türkisches Symbol und hat nichts mit Nationalismus oder Rassismus zu tun“, sagt er. Als Kurde im Südosten der Türkei aufgewachsen, zähle er selbst zu einer ethnischen Minderheit und erkenne am Wolfsgruß nichts Verwerfliches. Viele Turkvölker nutzten ihn, Kasachen, Kirgisen, Tschetschenen: „Ich sehe das in anderen Ländern häufiger als in der Türkei.“

Der Wolf als Symbol sei vergleichbar mit dem Bären in Russland, dem Adler in Deutschland oder dem Doppeladler in Albanien. Gleichwohl würde er sich wünschen, dass Spieler auf politische Symboliken verzichten. „Jedes Land singt seine Hymne. Das sollte als Bekenntnis reichen“, findet er.

Graue-Wölfe-Partei ist wie die AfD

In Bremen zeigt sich jedoch die Mehrheit der türkischen Fans verärgert über Demirals Jubel. Der Wolf sei zwar ein türkisches Symbol, werde aber von Nationalisten vereinnahmt, sagt ein Imbiss-Mitarbeiter, der sich selbst dem linken Lager zuordnet. Die nationalistische türkische MHP, die laut Verfassungsschutz als Urorganisation der „Ülkücü“-Bewegung gilt, setzt der Mitarbeiter mit der AfD gleich. „Deswegen mag ich das nicht“, sagt er über den Wolfsgruß. Die Spieler sollten sich ohnehin lieber auf den Fußball konzentrieren.

Er beobachte mit Sorge die politischen Entwicklungen in der Türkei. Solche Kontroversen habe es früher nicht gegeben. „Erdoğan provoziert das über die letzten 20 Jahre“, kritisiert der Mitarbeiter den türkischen Präsidenten für den zunehmend nationalistischen Kurs, bei dem er mit der MHP koaliert, um die Mehrheit im Parlament zu sichern. Bedrückt schiebt die Mitarbeiter hinterher: „Wir waren ein demokratisches Land.“

Einstimmiger fallen indes die Meinungen über den gewünschten weiteren Turnierverlauf aus: Am liebsten soll es ein Finale gegen Deutschland sein – und dabei friedlich bleiben, betonen sie einhellig. „Das ist meine zweite Heimat hier, wir leben zusammen“, betont der Imbiss-Mitarbeiter. Und sollte die Türkei doch ausscheiden, werde er Deutschland die Daumen drücken.