Beitrag unseres Partnerportals „Economist“ - Sonne ist die neue Kohle: Wie die leise Solar-Revolution die Welt verändern wird

Kraftvoll: die Sonne<span class="copyright">Getty Images</span>
Kraftvoll: die SonneGetty Images

Es ist die Revolution, die fast niemand sieht: Fast überall stehen Solarzellen. Sie machen keinen Lärm, stoßen keine Abgase aus und kosten fast nichts. Sie brechen nahezu alle Prognosen und könnten schon bald die größte Primärenergiequelle der Erde werden. Teil 1 der Serie: „Die Solar-Revolution“.

Eine Solarzelle ist ein ganz einfaches Ding: ein quadratisches Stück Silizium mit einer Kantenlänge von normalerweise 182 Millimetern und einer Dicke von etwa einem Fünftel Millimeter, mit dünnen Drähten auf der Vorderseite und einem elektrischen Kontakt auf der Rückseite. Wenn man Licht darauf richtet, baut sich im Silizium ein elektrisches Potenzial – eine Spannung – auf: daher der Name „Photovoltaik“ oder PV. Wenn man einen Stromkreis zwischen Vorder- und Rückseite verlegt, kann dieses Potenzial bei direkter Sonneneinstrahlung etwa sieben Watt elektrische Leistung liefern.

In diesem Jahr werden weltweit etwa 70 Milliarden dieser Solarzellen hergestellt, die meisten davon in China. Sie werden zwischen Glasscheiben eingebettet, um das zu bilden, was die Industrie Module nennt, die meisten anderen nennen es Solarpaneele: In der Regel besteht ein Modul aus 60 bis 72 Zellen, die auf den Dächern von Privathäusern zum Einsatz kommen. Sie werden unbemerkt auf Dächern stehen, charmant vor ländlichen Schulen, umstritten in unberührten Wüsten, prosaisch auf den Balkonen von Hochhäusern und in fast jeder anderen denkbaren Umgebung.

Die Revolution der Sonnen-Maschine

Einmal installiert, werden sie jahrzehntelang stehen, keinen Lärm machen, keine Abgase ausstoßen, keine Ressourcen verbrauchen, fast nichts kosten und Strom erzeugen. Es ist die leiseste Revolution, die man sich vorstellen kann. Aber es ist eine Revolution.

 

Im Jahr 2023 werden die Solarzellen der Welt, die derzeit weniger als 10.000 Quadratkilometer bedecken, etwa 1600 Terrawattstunden Energie erzeugen (ein Terrawatt ist eine Billion Watt). Das entspricht etwa 6 Prozent der weltweit erzeugten Elektrizität und etwas mehr als 1 Prozent des weltweiten Primärenergieverbrauchs. Letzteres mag unbedeutend erscheinen, ist es aber nicht, wenn man bedenkt, dass die fossilen Brennstoffe, die den größten Teil der weltweiten Primärenergie liefern, weit weniger effizient sind. Mehr als die Hälfte der in Kohle und Öl enthaltenen Primärenergie endet als Abwärme und nicht als Strom oder Antriebsenergie.

Was die Solarenergie so revolutionär macht, ist die Geschwindigkeit des Wachstums, mit der sie in diesen Bereich vorgedrungen ist. Michael Liebreich, ein erfahrener Analyst für klimafreundliche Energietechnologien und Wirtschaft, drückt es so aus: „2004 brauchte die Welt ein ganzes Jahr, um ein Gigawatt Solarenergiekapazität zu installieren, 2010 einen Monat und 2016 eine Woche. Im Jahr 2023 gab es einzelne Tage, an denen weltweit ein Gigawatt installiert wurde. Im Laufe des Jahres 2024 erwarten die Analysten des Datenanbieters BloombergNEF eine installierte Leistung von 520 bis 655 Gigawatt: das sind bis zu zweimal die Leistung von 2004 pro Tag.“

Experten sind verblüfft: Wie die leise Solar-Revolution die Welt verändert

Dieses außergewöhnliche Wachstum ist auf das Zusammenspiel von drei einfachen Faktoren zurückzuführen. Wenn die Industrie mehr von etwas herstellt, kann sie es billiger produzieren. Wird etwas billiger, steigt die Nachfrage. Wenn die Nachfrage steigt, wird mehr produziert. Im Falle der Solarenergie wurde die Nachfrage zu Beginn dieses Jahrhunderts durch Subventionen geschaffen und so lange aufrechterhalten, bis sinkende Preise erkennbar und bald auch kalkulierbar wurden. Die positive Rückkopplung, die zu exponentiellem Wachstum führte, setzte weltweit ein.

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Und es gibt keine Anzeichen für ein Ende oder auch nur eine Verlangsamung. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA), einer internationalen Denkfabrik, ist der Kauf und die Installation von Solarmodulen derzeit die größte Einzelkategorie von Investitionen in die Stromerzeugung: 500 Milliarden Dollar werden es in diesem Jahr sein, nicht viel weniger als die Investitionen in die vorgelagerte Förderung von Öl und Gas. Die installierte Leistung verdoppelt sich alle drei Jahre. Nach Angaben der International Solar Energy Society wird die Solarenergie 2026 mehr Strom erzeugen als alle Kernkraftwerke der Welt, 2027 mehr als Windkraftanlagen, 2028 mehr als Staudämme, 2030 mehr als Gaskraftwerke und 2032 mehr als Kohlekraftwerke. In einem IEA-Modell, das bis zur Mitte des Jahrhunderts Netto-Null-Ausstoß an Kohlendioxid vorsieht, wird die Solarenergie in den 2040er Jahren zur größten Primärenergiequelle der Menschheit – nicht nur für Strom.

2040 wird die Solarkraft zur primären Energiequelle der Menschheit

Das Wachstum der Solarenergie hängt nicht von den Bemühungen zur Stabilisierung des Klimas ab: Wenn sie immer billiger wird, wird sie auch dann zunehmen, wenn die Menschen weiterhin Kohle und Öl verbrennen. In einer im Jahr 2022 veröffentlichten Studie haben Rupert Way von der Universität Oxford und seine Kollegen untersucht, was passieren würde, wenn die Kosten für Solarenergie und andere neue Technologien mit zunehmender Nutzung weiter sinken würden, wie es in der Vergangenheit der Fall war. In ihrer Modellrechnung des „schnellen Übergangs“ kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Welt bis 2070 mehr Nutzenergie aus Solarzellen gewinnen könnte als im vergangenen Jahr aus allen Energiequellen zusammen.

Die Erwartung, dass exponentielle Kurven sich fortsetzen, ist selten eine Grundlage für nüchterne Prognosen. Irgendwann stößt entweder die Nachfrage oder das Angebot an eine unvermeidliche Grenze; eine Kurve, die exponentiell gestiegen ist, beginnt die Form eines langgezogenen S anzunehmen. Und es gibt viele plausible Gründe für mögliche Einschränkungen, von der Insolvenz von Herstellern über Solarparks, die nicht an die Netze angeschlossen werden können, bis hin zu extensiv mit Solarenergie betriebenen Netzen, die nicht stabil sind, oder zu stark mit Solarenergie betriebenen Netzen, die für weitere Investitionen nicht mehr attraktiv sind.

All dies sind reale Probleme. Aber in den letzten 20 Jahren des Wachstums der Solarenergie haben naive Extrapolationen die nüchternen Prognosen, die von solchen Bedenken geprägt waren, immer wieder übertroffen. Im Jahr 2009, als die weltweit installierte Solarkapazität 23 GW betrug, prognostizierten die Energieexperten der IEA einen Anstieg auf 244 GW innerhalb von 20 Jahren bis 2030. Dieser Meilenstein wurde 2016 erreicht, als erst sechs der 20 Jahre vergangen waren. Laut Nat Bullard, einem Energieanalysten, übertrafen die tatsächlichen Solarinstallationen in den meisten Jahren der 2010er Jahre die Fünfjahresprognosen der IEA um 235 Prozent. Am nächsten an der Realität waren die als Fanatiker und ökonomische Analphabeten verschrienen Umweltschützer wie Greenpeace, die ebenfalls 2009 eine Solarkapazität von 921 GW bis 2030 prognostizierten. Aber auch das war eine Unterschätzung. Die weltweite Solarkapazität erreichte im vergangenen Jahr 1419 GW.

Solarkraft lässt prognostizierte Probleme links liegen

Diese Leistung zeigt, dass Solarenergie nicht wie andere Energiequellen ist. Das zeigt auch die Geschichte. Zwischen 1800 und 2020 stieg die weltweit aus Kohle gewonnene Energiemenge um etwa das 400-fache. Doch wie Way und seine Kollegen betonen, sind die inflationsbereinigten Kosten der Kohle im Verhältnis zu ihrem Energiegehalt mehr oder weniger gleichgeblieben. Dasselbe gilt für die langfristigen Kosten von Erdöl und später Erdgas. Die Ausbeutung dieser Brennstoffe führte zu einem starken Wirtschaftswachstum, wodurch die Brennstoffe erschwinglicher, ihre Nutzung wertvoller und die Erträge aus ihrer Produktion höher wurden. Real blieben die Kosten jedoch weitgehend stabil.

Seit den 1960er Jahren sind die so genannten nivellierten Kosten der Solarenergie, d. h. der Preis, der für ein Projekt gezahlt werden muss, damit sich seine Finanzierung bei einer festen Rendite amortisiert, um mehr als das Tausendfache gesunken, und dieser Trend setzt sich fort. Die Solarenergie hat inzwischen einen bedeutenden Anteil an der weltweiten Energieversorgung. Die Welt wird auch weiterhin erleben, dass Energie in vielen Anwendungen immer billiger wird. Ein Innovationsschub, der darauf abzielt, das Beste aus dieser Entwicklung zu machen, wird die Funktionsweise vieler bestehender Industrien verändern und neue Industrien mehr oder weniger von Grund auf schaffen. Dies wird der stärkste Preisrückgang für einen der wichtigsten Produktionsfaktoren sein, den die Weltwirtschaft je erlebt hat.

„Ich verkaufe, was die ganze Welt will – Energie“

Die Zylinder für die ersten Dampfmaschinen, die Matthew Boulton und James Watt in den 1770er Jahren zu verkaufen begannen, wurden nicht in Boultons Manufaktur in Soho außerhalb von Birmingham hergestellt, sondern in der nahegelegenen Gießerei von John „Iron Mad“ Wilkinson gegossen. Die Manufaktur lieferte jedoch die Zubehörteile, mit denen die Zylinder zu Motoren umgebaut wurden, überwachte den Bau der Motoren und besaß das Patent für deren Konstruktion. Wie Boulton dem Schriftsteller James Boswell erklärte, als dieser die Fabrik in Soho besuchte: „Ich verkaufe hier, Sir, was die ganze Welt will – Energie.“

In den Siliziumgießereien Chinas fehlt es an Verkäufern mit Boultons Verve („ein eiserner Häuptling ... Vater seines Stammes“, wie Boswell sagte). Doch wenn es um höchste chemische Reinheit und physikalische Makellosigkeit geht, dürften die Produkte, mit denen sie den weltweiten Energiebedarf decken, jeden Siliziumfan begeistern.

Das Rohmaterial ist Quarzsand, eine kristalline Form von oxidiertem Silizium. In Siliziumhütten wird es mit etwas Kohlenstoff in Form von Koks in Lichtbogenöfen auf 1900 °C erhitzt. Der Sauerstoff im Sand reagiert mit dem Kohlenstoff zu Kohlenmonoxid und es entsteht geschmolzenes „Polysilizium“. Dieses wird dann abgekühlt, zerkleinert und mit Salzsäure zu einer flüchtigen Flüssigkeit, dem Trichlorsilan, umgewandelt, das anschließend mehrfach destilliert wird, um alle Verunreinigungen zu entfernen. Die modernsten Gießereien arbeiten mit „10 Neunen“, das heißt, das Polysilizium, das sie aus ihrem Trichlorsilan gewinnen, ist zu 99,99999999 Prozent rein. Dieses Silizium kann dann so umgeschmolzen und abgekühlt werden, dass sich jedes Atom an seinem Platz in einem Einkristall befindet.

Bis zu Beginn dieses Jahrhunderts waren die einzigen Produkte, die einen solchen Aufwand lohnten, die Wafer, aus denen die Computerindustrie ihre Siliziumchips herstellte. Die Solarzellenindustrie lebte vom Abfall. Doch mit den Subventionen Mitte der 2000er Jahre stieg die Nachfrage nach Photovoltaik über das hinaus, was die Computerindustrie entbehren konnte. Als die Preise für Polysilizium stiegen, begannen Unternehmen in Asien, in den Bau von Polysilizium-Gießereien zu investieren, um die PV-Industrie zu beliefern.

Hier geht es weiter zu Teil 2: Beim wichtigen Solar-Rennen bleibt China unangefochten an der Spitze

Dieser Artikel erschien zuerst im Economist unter dem Titel „ Sun Machines “ und wurde von Andrea Schleipen übersetzt.