Besuche in Vietnam und Nordkorea - Plant Putin die „Anti-Nato“? Experten erklären, was er wirklich in Asien wollte

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Russlands Präsident Putin in Nordkorea.Gavriil Grigorov/Sputnik Kremlin

Nach Putins Asienreise glauben manche Beobachter, der Kremlchef wolle ein neues Verteidigungsbündnis gegen den Westen aufbauen. Stehen bald nordkoreanische Soldaten in der Ukraine? Zwei Experten schätzen die Lage ein.

Rosa Blumen leuchten im Hintergrund, daneben sind die russische und die vietnamesische Flagge zu sehen. Russlands Präsident Wladimir Putin und Vietnams Staatsoberhaupt To Lam heben beide die Hände und lächeln in die Kamera.

Das ist nur eines der Bilder, die auf der Asienreise des Kremlchefs entstanden sind. Abgesehen von Vietnam besuchte Putin auch Nordkorea, wo er mit Diktator Kim Jong Un ein Abkommen über eine strategische Partnerschaft schloss.

Auch mit Vietnam will Moskau künftig in vielen Bereichen - etwa Wirtschaft, Bildung, Energie, Justiz und Wissenschaft - enger zusammenarbeiten. „Vietnam ist unser zuverlässiger Partner und Freund“, sagte der russische Präsident vor wenigen Tagen.

Plant Putin eine „Anti-Nato“?

Manche Beobachter glauben, dass Putin eine „Anti-Nato“ plant - also eine russoasiatische Allianz gegen den Westen. In einer Kolumne, die bei „Zeit online“ erschien, heißt es, Experten würden bereits über nordkoreanische Soldaten in der Ukraine diskutieren.

Wolfgang Richter, Oberst a. D. und Experte für Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), bezweifelt allerdings, dass Putin ein solches Bündnis schmieden will - aus zwei Gründen.

Wie er im Gespräch mit FOCUS online erklärt, stehen einer „Anti-Nato“ die genuinen Sicherheitsinteressen Vietnams und Nordkoreas entgegen. Schließlich handelt es sich um pazifisch-asiatische Staaten, „die keinen unmittelbaren Bezug zur europäischen Sicherheitsordnung haben“.

„Außerdem verfolgen Nordkorea und Vietnam unterschiedliche Interessen“, sagt der Militärexperte. So unterliegt Nordkorea wegen seines Atom- und Raketenprogramms massiven internationalen Sanktionen und ist weitgehend isoliert.

Richter glaubt, dass sich das Land befreien „und sich Zugang zu Technologien verschaffen will, die es bisher wegen der globalen Sanktionen nicht erhalten konnte“.

Vietnam betreibt „Schaukelpolitik zwischen den Großmächten“

Es ist eine Art „quid pro quo“: Russland profitiert von der Munition, die Nordkorea für den Krieg in der Ukraine bereitstellen könnte. Kim Jong Un wiederum spekuliert auf neue Austauschmöglichkeiten - und moderne Raketen- und Atomtechnologie.

Auch Alexander Libman, Politikwissenschaftler an der Freien Universität in Berlin, betont: Munition aus Nordkorea würde die Kampffähigkeit der russischen Armee erhöhen. Gegenüber FOCUS online spricht er von „bedeutender Unterstützung“.

Libman sagt aber auch: „Mehr sehe ich in der Zusammenarbeit mit Nordkorea nicht“. Beide Länder hätten zwar eine „Beistandspflicht“ vereinbart, die besagt, dass sie im Falle eines bewaffneten Angriffs alle verfügbaren Mittel einsetzen müssen, um dem jeweils anderen militärische Hilfe zu leisten.

„Russland und Nordkorea sind allerdings unzuverlässig, was das betrifft“, sagt Libman. „Es kann passieren, dass sie ihren Verpflichtungen einfach nicht Folge leisten werden, weil es für sie aus politischen Gründen suboptimal wäre.“

Das Jahr 2017 zeigt, wie kompliziert die vermeintliche Freundschaft ist: Damals fiel Russland Nordkorea in den Rücken, indem es der Ausweitung der Sanktionen gegen Pjöngjang im Weltsicherheitsrat zustimmte. Hintergrund waren wie so oft Nordkoreas Atom- und Raktentests.

Außerdem nahm Russland in den 2000er Jahren an Gesprächen teil, die Nordkorea dazu bewegen sollten, sein Atomprogramm im Austausch gegen Wirtschafts- und Sicherheitsvorteile aufzugeben, wie „AP News“ berichtet.

Darum ging es Putin bei seiner Ostasienreise

Aber nicht nur Nordkorea, auch Vietnam stattete Putin zurletzt einen Besuch ab. An einer „Anti-Nato“ dürfte sich das Land aber kaum beteiligen wollen. Oberst a. D. Richter spricht von einer „Schaukelpolitik zwischen den Großmächten China und USA“.

„Einerseits möchte Hanoi die Vorteile des umfangreichen Handels und der stabilen Beziehungen mit China erhalten“, so der Experte. Andererseits hat sich Vietnam - obwohl es als Verbündeter Russlands gilt - in den vergangenen Jahren den USA angenähert. Das hat laut Richter mit „offenen Territorialfragen beim Inselstreit im südchinesischen Meer“ zu tun. China und Vietnam erheben teilweise Ansprüche auf dieselben Territorien.

Vietnam handelt betont blockfrei, vollführt einen Balanceakt zwischen mehreren Akteuren. Es ist das einzige Land, in dem innerhalb eines Jahres US-Präsident Joe Biden, Chinas Staatschef Xi Jinping und Putin zu Besuch waren.

„Mit diesem komplexen trilateralen Machtgeflecht will Vietnam seine Politik der Unabhängigkeit und des regionalen Status quo wahren. An einer neuen regionalen oder globalen Blockbildung ist es nicht interessiert“, meint Richter.

Er glaubt letztlich, dass es Putin bei seiner Ostasienreise nicht um das Schmieden einer „Anti-Nato“, sondern um etwas Anderes ging:

Darum, zu beweisen, dass Moskau immer noch in der Lage ist, internationale Verbündete zu gewinnen: und darum, zu zeigen, dass man sich nicht abschotten lässt. Immerhin hat der Westen Russland kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs mit harten Sanktionen belegt. Putin versucht jetzt, sich geopolitisch abzusichern.

Asiatische Staaten nicht an einer „Anti-Nato“ interessiert

„Die engen Beziehungen zu Nordkorea gewährleisten nicht nur die Munitionsversorgung im Krieg gegen die Ukraine; sie verschaffen auch strategische Rückendeckung in der Region Fernost gegen die USA und Japan, das jüngst seine Ansprüche auf die südlichen Kurilen-Inseln erneuert hat“, sagt Richter.

„Handelsbeziehungen mit Vietnam entlasten nicht nur die gestresste russische Kriegswirtschaft, sondern dienen auch dazu, in der Region russische Marinestützpunkte außerhalb von Wladiwostok zu unterhalten.“

Das Vorgehen wirkt durchdacht. Es birgt aber auch Risiken. Vor allem, was die Partnerschaft mit Nordkorea betrifft. Durch bessere Beziehungen zu Russland könnte es Pjöngjang gelingen, „aus den Sanktionen des Sicherheitsrates auszubrechen“, sagt Richter.

„Das würde allerdings das nukleare Nichtverbreitungsregime unterminieren und die regionale Instabilität verschärfen. Beides ist nicht im Interesse Chinas, das eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel ohne US-Präsenz wünscht.“

Kritik an der Politik des Westens wächst

Letztlich verfolgen die asiatischen Regionalmächte, die gute Beziehungen zu Russland pflegen, laut Militärexperte Richter eigene Interessen. Auch deshalb sind sie nicht an einer regionalen oder globalen Blockbildung, wie sie eine „Anti-Nato“ voraussetzen würde, interessiert.

Libman sieht es ähnlich: „Bis auf Nordkorea werden sich die Länder in Asien nicht auf eine Allianz einlassen, die ihnen jegliche Flexibilität in der Gestaltung der Beziehungen zum Westen wegnimmt. Darüber hinaus gibt es genug Gegensätze zwischen den Ländern Asiens, als dass sie zu einer 'Anti-Nato' passen würden“, sagt er.

Übrigens: Auf die BRICS-Staaten, zu denen unter anderem Brasilien, Indien und Südafrika gehören, könnte sich Putin mit Blick auf ein mögliches, anti-westliches Militärbündnis genausowenig verlassen, meint Richter. Aus den gleichen Gründen.

„Sie verstehen sich nicht als 'Anti-Nato'. Vielmehr wollen sie als unabhängige Pole in einer multipolaren Welt eigenständige Interessen wahrnehmen und dem alleinigen Führungsanspruch einer unipolar agierenden Weltmacht selbstbewusst entgegenwirken.“

Die Politik des Westens - unter Führung der USA - stößt laut dem Militärexperten im globalen Süden zunehmend auf Kritik.  Sie fußt, so erklärt er es, zum einen auf der „illegitimen Einmischung in interne Angelegenheiten und völkerrechtswidrigen Militärinterventionen wie im Kosovo, Irak, Libyen und Syrien, aber auch auf unfairen Handelsbedingungen und moralischer Überheblichkeit“.

Und: „Die Kritik gilt auch den wahrgenommenen Doppelstandards bezüglich der Sicherheitsinteressen Russlands und Israels.“

Skepsis gegenüber westlicher Politik auch beim Friedensgipfel in der Schweiz

Wie skeptisch viele Staaten des globalen Südens dem Westen gegenüberstehen, zeigte sich auch beim Friedensgipfel zum Ukraine-Krieg, der vor eineinhalb Wochen in der Schweiz stattfand. Zahlreiche Länder des globalen Südens weigerten sich, die Abschlusserklärung zu unterzeichnen, darunter Indien, Brasilien und Südafrika.

Richter glaubt, dass Putin versuchen wird, sich international weiter abzusichern und die Zusammenarbeit mit China und den Staaten des globalen Südens voranzutreiben.

Immerhin kann er so westliche Sanktionen umschiffen, Handelsbeziehungen aufrechterhalten und im Einzelfall - etwa durch Nordkorea - Rüstungskooperationen sicherstellen, um den Krieg gegen die Ukraine weiterzuführen.

Auch Politologe Libman geht davon aus, dass der Kremlchef seine Beziehungen zu den Staaten des globalen Südens ausbauen will. Einerseits präsentiert er sich dabei als „Anführer eines antikolonialen Kampfes gegen den Westen“, sagt er. „Andererseits als Pragmatiker, der an lukrativen Geschäften interessiert ist.“

Das sind Putins langfristige Ziele

Der Krieg in der Ukraine tobt indes weiter. Richter glaubt, dass Putin kurzfristig seine Militäroperationen auf breiter Front fortsetzen wird, „um die dünne Personaldecke Kiews weiter auszuzehren und einen operativen Durchbruch zu erzielen“. Den militärischen Schwerpunkt sieht er in der Region Donezk.

Putins Fokus richtet sich mittelfristig aber auch auf die USA, so Richter. „Der Kremlchef wird abwarten, ob sich nach der Präsidentenwahl in den USA eine Politikänderung Washingtons ergibt; doch dürfte er sich auch auf die Möglichkeit einstellen, dass Washington die bisherige Linie weiterverfolgt.“

Und langfristig? Libman glaubt, dass sich der russische Präsident bemühen wird, „seine Vision einer multipolaren Welt zu erreichen“. Das bedeutet: Eine Welt mit mehreren Machtzentren, die über eigene Einflusszonen verfügen und keine Einmischung in ihre internen Angelegenheiten zulassen.

Denn: „Russland will nur situative Allianzen, die mit keinen allzu großen Einschränkungen verbunden sind.“

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