"Es gab nie größere Herausforderungen": Mittelstand zwischen "Auftragsboom und Abstiegsangst"

"Gegessen wird immer." Francesco Tartero (rechts, mit seinem Produktionsleiter Imad Zeroual) und seiner der Nudelmanufaktur geht's - noch - gut. Die Krisen spürt aber auch er. (Bild: ZDF/Susanne Dobler)
"Gegessen wird immer." Francesco Tartero (rechts, mit seinem Produktionsleiter Imad Zeroual) und seiner der Nudelmanufaktur geht's - noch - gut. Die Krisen spürt aber auch er. (Bild: ZDF/Susanne Dobler)

Der sogenannte Mittelstand steht nicht mehr wie ein Fels in der Brandung der deutschen Wirtschaft, er wankt. "Es geht bei allen hier um die Existenz." Das sagt einer derjenigen, die für die Doku "Die Malocher - Auftragsboom und Abstiegsangst" im mühsamen Alltag begleitet wurden.

Wie trotzt der deutsche Mittelstand den steigenden Energiepreisen, den Lieferengpässen, dem Personalmangel und der Inflation? Wie stemmen Unternehmer und Angestellte die Krisen, und wie sehen sie ihre Überlebenschancen? Die dreiteilige Doku-Reihe "Die Malocher - Auftragsboom und Abstiegsangst" schildert bei ZDFinfo (Montag, 7. August, ab 20.15 Uhr, ab 31. Juli bereits in der Mediathek) Schicksale und versucht Antworten zu geben.

Sie hielten Deutschland verlässlich am Laufen und waren beispielsweise auch in Corona-Zeiten das stabile Rückgrat der Wirtschaft: Unternehmer und Angestellte des deutschen Mittelstands. Jetzt aber wird der einstige Fels in der Wirtschaftsbrandung von Krisen abgefräst. So wird es zumindest immer wieder in den Medien kolportiert. Doch ist das wirklich wahr?

Nicht wegzudiskutieren sind explodierende Energiepreise, Lieferengpässe, Inflation, einerseits steigende Personalkosten, andererseits Personalnotstand. Anscheinend gibt es Probleme ohne Ende. Wie es im Alltag des deutschen Milltestandes wirklich aussieht, beobachteten die Filmemacher nun im Gewerbegebiet Rheinbach.

Tankstellenpächter Karl-Heinz Breuer musste 2022 wegen des gestiegenen Mindestlohns 5.000 Euro mehr für Aushilfen zahlen. "Das wäre auch ein schöner Urlaub gewesen." (Bild: ZDF/Susanne Dobler)
Tankstellenpächter Karl-Heinz Breuer musste 2022 wegen des gestiegenen Mindestlohns 5.000 Euro mehr für Aushilfen zahlen. "Das wäre auch ein schöner Urlaub gewesen." (Bild: ZDF/Susanne Dobler)

Der Tankstellenbetreiber: "Die Politik ist schuld an den Energiepreisen"

In Deutschland gibt es 62.000 Gewerbegebiete. Eines davon ist das in Rheinbach, wo sich 200 Betriebe mit 3.200 Beschäftigten dem derzeitigen wirtschaftlichen Gegenwind entgegenstemmen. Im ersten Teil der Doku-Reihe mit dem Titel "Neue Herausforderungen" werden die "Helden" der Doku von Marius Brüning, Nicole Clouth und Manuel Gogos vorgestellt.

Da ist Karl-Heinz Breuer, der eine Tankstelle betreibt. Wieder, muss man sagen, denn die Ahr-Flut im Juli 2021, als das Wasser in seine Verkaufsräume schwappte und alles zerstörte, sorgte für ein Jahr Zwangspause. Seit Mai 2022 hat sein Laden wieder offen. Seine Tanke ist ein Treffpunkt für alle, die hier im Gewerbegebiet arbeiten. Breuer kriegt trotz massiver Spritpreis-Erhöhungen eher wenig Frust von den Tankenden ab. "Bei der Krise vor zehn Jahren waren sie sauerer. Und damals kostete der Diesel 1,55. Aber da werden wir nie mehr hinkommen." Die Schuldigen? "Die Politik. Die ist 100-prozentig verantwortlich für die hohen Energiepreise. Die hätte wissen müssen, dass der Putin nicht der liebe Freund ist."

Die ebenfalls gestiegenen Lebensmittelkosten will er nicht direkt an die Kunden weitergeben. Indirekt muss er es. "Die Schinken- und Lachsscheiben auf den belegten Brötchen sind nicht mehr so üppig", sagt seine Frau Astrid, die - auch aus Personalmangel - selbst mit anpackt.

"In unserer Branche geht's für alle um die Existenz." Alexander Krings rechnet 2023 für sein Obstbau-Unternehmen Krings mit einer Verdopplung der Energiekosten. Das wären 1,4 Millionen Euro im Jahr. (Bild: ZDF/Susanne Dobler)
"In unserer Branche geht's für alle um die Existenz." Alexander Krings rechnet 2023 für sein Obstbau-Unternehmen Krings mit einer Verdopplung der Energiekosten. Das wären 1,4 Millionen Euro im Jahr. (Bild: ZDF/Susanne Dobler)

Der Autohändler: "Ich habe keine Wahl!"

Breuer wird auch nicht als Profiteur angefeindet. Alle hier wissen, dass beim Sprit nicht die Tankstellenpächter absahnen. Deren Umsatzbringer ist der Shop, nur 20 Prozent kommen von den Zapfsäulen. "Die, die sich bereichern, sind die Raffinerien", meint Breuer. Für die Handwerker und andere "mobile" Unternehmer wird der Spritpreis mitunter zur Existenzfrage. Denn sie müssen fahren.

Aber, und darunter leidet Claus Trilling, sie tun es nicht mehr in brandneuen Autos. Trilling, ein weitere Protagonist der Doku, ist Geschäftsführer eines Autohauses. Früher verkaufte er "normalerweise" 20 bis 30 Neuwagen im Monat. Jetzt höchstens eins oder zwei. "Die Kunden halten ihr Geld zusammen. Keiner weiß, wie es weitergeht." Mit den Energiepreisen, den Lebensmittelpreisen, den Rohstoffpreisen und überhaupt. Trilling holt mit seinem Sohn sogar selbst die Neuwagen beim Hersteller ab und liefert sie beim Kunden ab - der ihn dann anraunzt, warum das so lange dauert. Beim Zustellungsservice legt Trilling drauf, der Hersteller zahlt nur einen "symbolischen Betrag". "Aber was soll ich machen? Ich habe keine Wahl."

Der Pastamacher: "Gegessen wird immer"

"Gegessen wird immer." - Deshalb geht es Giorgio und Francesco Tartero auch gut. Und ihrer Pasta-Manufaktur auch, die Nudeln rieseln unablässig über die Förderbänder. Natürlich leiden auch sie unter höheren Kosten. Auch sie haben Probleme, Arbeiter zu finden. Sie werden vermehrt bei Migranten fündig. Das ist okay. Girorgio war selbst Ausländer, als er 1975 nach Deutschland kam und blieb. Der Bruder folgte ein paar Jahre später, sie eröffneten ein Ristorante, dann einen Feinkostladen, und 1997 zimmerten sie ihre Halle für die Nudelfabrik ins Gewerbegebiet.

In der Nähe steht das Obstbau-Unternehmen von Alexander Krings, wo Äpfel angebaut, verpackt und vermarktet und auch in Filialen von Aldi und Rewe transportiert werden. "Es gab nie größere Herausforderungen", sagt er, und er ist seit Kindesbeinen dabei. Billige Konkurrenz aus dem Ausland und extreme Energiekosten machen ihm zu schaffen. 2022 zahlte er "rund 700.000 Euro". Für 2023 rechnet er - defensiv - mit dem Doppelten. Zudem fühlt er sich verschaukelt. Der Erzeugerpreis, den ihm Aldi & Co zahlen, sei um 16,5 Prozent gesunken. Gleichzeitig wurden die Äpfel im Supermarkt für den Verbraucher aber um 0,8 Prozent teurer. "Die Lebensmittelhändler gewinnen, Verbraucher und Erzeuger verlieren."

Alle drei Doku-Teile an einem Abend bei ZDFinfo

Die beiden anderen Teile, alle 45 Minuten lang, werden am 7. August direkt im Anschluss bei ZDFinfo gesendet. In "Krisenmanagement" (21 Uhr) wird unter anderem gezeigt, ob Kaminbauerin Sabine Finselberger ihr optimistisches Motto "Es gibt keine Probleme, sondern nur Lösungen" halten kann. In Teil drei "Perspektiven" (21.45 Uhr) werden Mittelständler aus dem Gewerbegebiet Rheinbach gezeigt, die neue Wege einschlagen wollen - und wohl dringend müssen.