Gastbeitrag von Gabor Steingart - Persönlich entkräftet, politisch entsaftet: 5 Punkte, die Biden und Scholz einen

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Kommunikativ versteift, keine „First Mover“, Steigbügelhalter der Rechten: Bei aller Unterschiedlichkeit zwischen US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz gibt es fünf Gemeinsamkeiten, die Hinweise auf die nächsten Wahlen geben. Beide sind persönlich entkräftet und politisch entsaftet.

Äpfel mit Äpfeln vergleichen , das kann jedes Kind. Den Apfel gegen die Birne zu halten, darin liegt der Reiz. „Vergleichen heißt nicht gleichsetzen“, hat der Historiker Heinrich August Winkler uns gelehrt. Genau deshalb ist die vergleichende Befassung mit  Olaf Scholz  und  Joe Biden  so fruchtbar.

Bei aller Unterschiedlichkeit  in Herkunft, Charakter und Lebensalter – der eine steckt in einem kränkelnden Körper, der andere hat sich schlank gejoggt – und trotz höchst unterschiedlicher materieller Resultate – Biden organisiert imposantes Wachstum, Scholz ökonomischen Stillstand –, gibt es fünf Gemeinsamkeiten, die uns auch einen Hinweis auf den künftigen Wahlausgang geben.

# 1 Strategen des Status quo

Beide sind Experten  im Drankommen und Dranbleiben. Sie haben sich im Windschatten großer Vorgänger nach oben gestrampelt. Der eine zog als SPD-Generalsekretär von Reformkanzler  Gerhard Schröder  in Richtung Gipfel, der andere ging als Vizepräsident bei  Barack Obama  in die Lehre.

 

Nach dem Abbiegen  der beiden Frontrunner ins Geschichtsbuch sind Scholz und Biden alleine auf der Etappe. Sie tragen nun zwar das „Maillot Jaune“, das Gelbe Trikot, aber erkennbar fehlt da was. Beide besitzen keine Vorstellung von der Zukunft, die über den Erhalt des Gegenwärtigen hinausreicht. Scholz ist kein neuer Schröder, in Biden schlummert kein zweiter Obama. Oder um es in der Sprache der Börsianer zu sagen: Beide sind keine First Mover, sondern derivative Persönlichkeiten.

# 2 Kommunikation, die aus der Kälte kommt

Der erfolgreiche Politiker , so hat es Spiegel-Reporter  Jürgen Leinemann  einst formuliert, entwickelt einen Wärmestrom zu seinen Wählern. Doch Biden und Scholz sind über die Jahre kommunikativ versteift. Der Strom ihrer Worte fühlt sich kalt an. Ständig wird erklärt, gefordert, zurückgewiesen, permanent fließen die Worte. Aber der Strom wärmt nicht.

Auch der Inspirationsgehalt  dessen, was da gedacht und gesagt wird, ist gering. Ihre Memoiren – falls sich dafür überhaupt ein Verleger findet – dürften ein Ladenhüter werden, weil der Story ein Spannungsbogen fehlt: 10.000 Worte, viele Fußnoten, nur kein roter Faden.

# 3 Steigbügelhalter für die Rechten

Beide stellen stolz heraus , wogegen sie kämpfen, nicht wofür sie stehen. Der SPD-Kanzler sieht sich als Bollwerk gegen Rechts, kämpft also gegen die AfD, die sein Parteichef „Nazis“ nennt. Der demokratische US-Präsident will den Rechtspopulismus und damit vor allem  Trump  bezwingen, den er als Lügner, Antidemokraten und – mit Blick auf dessen außereheliche Aktivitäten – als „streunenden Straßenkater“ bezeichnet.

Die Tatsache, dass die Strategie der Dämonisierung dem Gegner ein Alleinstellungsmerkmal verleiht und somit dessen Attraktivität in den Augen seiner Anhänger steigert, kann die beiden nicht abhalten. Sehenden Auges erfährt die „rechte Gefahr“ durch Vergröberung zugleich ihre Vergrößerung. Das bittere Ergebnis: Scholz fungiert als Steigbügelhalter für  Alice Weidel  und der greise Biden arbeitet als Quartiermeister von  Donald Trump .

# 4 International indifferent

Auch in der Außenpolitik,  seit jeher die Königsdisziplin eines Regierungschefs, gibt es wenig, das bleibenden Wert besitzt. Beide hinterlassen – anders als  BrandtNixonReagan  oder  Kohl  – kein geschlossenes Werk, sondern stehen auch hier für die Ambivalenz ihrer politischen Persönlichkeit.

Derselbe Joe Biden , der den schmachvollen Abzug der USA aus Afghanistan zu verantworten hat, erwies sich im Kampf der Ukraine gegen  Putin  als Steher. Beides ist richtig: In Afghanistan hat er die westlichen Werte verraten. In der Ukraine garantiert er ihr Überleben.

Derselbe Scholz , der die Zeitenwende der Bundeswehr ausrief, fiel bei der Unterstützung der Ukraine durch Hasenfüßigkeit auf. Was mit 5.000 Helmen begann, endete mit dem „Nein“ zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Im Europa-Wahlkampf tauchte er als der „Friedenskanzler“ auf, der dann überraschend russisches Territorium zum Abschuss freigab.

Freund und Feind  sind durch diese Ambivalenz nicht beeindruckt, nur verwirrt. Der außenpolitische Boden unter Scholz und Biden wirkt unbefestigt. Da ist kein Fels, auf dem sich eine Kirche bauen ließe.

 

# 5 Kandidaten des Abschieds

Beide Protagonisten  fallen ihren Parteien mittlerweile zur Last. Mit ihnen lassen sich ausweislich aller demoskopischen Befunde keine Wahlen mehr gewinnen. Sie sind persönlich entkräftet und politisch entsaftet.

Alle Gedankenspiele der Funktionäre kreisen darum, wie man mit frischem Personal vielleicht doch noch die absehbare Wahlniederlage abwenden könnte. Doch so trübe die Aussichten sind, so wirken doch noch immer die Gesetze der politischen Schwerkraft. Das Amt verschafft Autorität, organisiert Gefolgschaft und unterhält jenen Apparat, der bei der Machtsicherung behilflich ist.

Fazit:  Alle lieben den Verrat, aber keiner den Verräter. Das ist derzeit die innerparteiliche Lebensversicherung der beiden. Scholz ist nicht nur Scholz, sondern Kanzler; Biden besitzt kaum noch Kraft, aber erzielt als US-Präsident Wirkung. So gehen beide ihren Weg nach Nirgendwo. „Ein Rest von Rolle“, um den Terminus von  Thomas Mann  aufzugreifen, hält ihre politische Existenz zusammen.