Es gibt keine Haftentschädigung für Corona-Lockdowns

Zur Eindämmung von Covid-19 gab es in zahlreichen Staaten Bewegungseinschränkungen. In sozialen Medien wird aktuell fälschlich behauptet, Corona-Lockdowns berechtigen zu einer Haftentschädigung, da diese mit einer elektronischen Fußfessel vergleichbar gewesen seien. Fachleute sind sich jedoch einig, dass aufgrund von Lockdowns keine solchen Entschädigungsansprüche entstehen.

"CORONA Haftentschädigung" und "Illegaler Lockdown ist mit einer Fußfessel vergleichbar! Somit entsteht für alle eine Haftentschädigung von bis zu 75 € pro Tag in der Geiselhaft der Regierung", heißt es in einem Posting auf Facebook vom 26. April 2024. Auf dem geteilten Bild sind ein Richterhammer sowie eine elektronische Fußfessel abgebildet.

Der Beitrag wird aktuell mehrfach auf Facebook geteilt. Ähnliche Behauptungen auf X oder Telegram kursierten bereits im Jahr 2022.

<span>Facebook-Screenshot der Behauptung: 27. Mai 2024</span>
Facebook-Screenshot der Behauptung: 27. Mai 2024

Während der Corona-Pandemie gab es zahlreiche staatlich angeordnete Maßnahmen mit dem Ziel, die Covid-19-Übertragungen zu reduzieren. Viele Länder verhängten mehrfach Ausgangsregeln zur Eindämmung des Virus. In Deutschland kam es zum Beispiel im März 2020 zu ersten Einschränkungen im öffentlichen Leben: Schulen und Restaurants wurden für mehrere Wochen geschlossen, Besuche in Alters- und Pflegeheimen verboten. Österreich stand durch Lockdowns im März, November und Dezember 2020 still.

In dem aktuell geteilten Posting werden Lockdowns während der Corona-Pandemie als "illegal" bezeichnet. "Für alle" bestünde daher jeweils bis zu 5600 Euro Haftentschädigung, heißt es. Die Behauptung bezieht sich auf den deutschsprachigen Raum. Auf dem verbreiteten Bild sind Flaggen von Deutschland, Österreich und der Schweiz zu sehen.

Impfkritischer Verein aus Österreich verbreitet Aussage

In dem Posting wird auf die Website "buergerschutz.org" hingewiesen. Laut Impressum handelt es sich hierbei um einen Verein in der Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt. "Österreichs größter 'Impfopfer-Verein'", so die Selbstbeschreibung online, unterstütze bei Impfschäden oder einer sogenannten Impfausleitung.

Der Verein ruft zudem zur Beteiligung an einer Sammelklage zur Corona-Haftentschädigung auf. Eine Anfrage an "buergerschutz.org" blieb bis zur Veröffentlichung dieses Faktenchecks unbeantwortet.

Fachleute bezeichnen Behauptung über Strafbarkeit als "Unsinn"

Als einer der "wichtigsten Gründe", die für eine Entschädigung wegen "unrechtmäßigen Lockdowns" angeführt werden, wird auf der Seite das Vorliegen einer "Freiheitsberaubung" – unter Verweis auf die jeweiligen gesetzlichen Regelungen – thematisiert.

Hierbei handelt es sich um einen Straftatbestand, der in Deutschland im Strafgesetzbuch geregelt ist. Im österreichischen Gesetz wird der Begriff "Freiheitsentziehung" verwendet. Wer eine andere Person "einsperrt", "widerrechtlich gefangen hält" oder anderweitig "der Freiheit beraubt", kann sogar mit Freiheitsstrafe bestraft werden, so der fast idente Wortlaut der beiden Regelungen. An anderer Stelle der Website wird auch der Tatbestand der Nötigung im Zusammenhang mit Lockdowns ins Spiel gebracht.

Ingeborg Zerbes, stellvertretende Leiterin des Instituts für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Wien, bezeichnete die Aussagen zu einer angeblichen Nötigung gegenüber AFP als "absurd". In einem Telefonat am 22. Mai 2024 erklärte sie, dass es sich bei Lockdowns gar nicht um einen Freiheitsentzug nach dem Strafgesetzbuch handle, da man nirgendwo eingeschlossen war. "Das ist völliger Unsinn. Man war nicht in einem geschlossenen Raum festgehalten, sondern nur in bestimmten Situationen eingeschränkt. Das erfüllt den Tatbestand gar nicht." Auf AFP-Anfrage rechtfertigte eine Referentin des österreichischen Bundesministeriums für Justiz am 21. Mai 2024 "eine Vielzahl behördlicher Anhaltungen in Ausübung einer Amts- oder Dienstpflicht, worunter wohl auch die vormals in Geltung stehenden epidemierechtlichen Anordnungen fallen".

Frank Meyer, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht unter besonderer Berücksichtigung europäischer und internationaler Bezüge an der Universität Heidelberg, kann der Behauptung ebenfalls nichts abgewinnen. Er schrieb AFP am 27. Mai 2024: "Bezüglich der Freiheitsberaubung ist zu beachten, dass der Tatbestand sehr eng ist und die (vollständige) Aufhebung der physischen Fortbewegungsfreiheit betrifft. Geschützt sind nicht Freizügigkeit oder Berufsausübungsfreiheit (an bestimmten Orten)." Das Bundesverfassungsgericht und zahlreiche Oberverwaltungsgerichte haben Corona-Maßnahmen zudem umfänglich geprüft und für rechtmäßig befunden, so Meyer.

EGMR setzte sich 2021 mit Lockdowns auseinander

Von Seiten des deutschen Justizministeriums hieß es am 16. Mai 2024 auf AFP-Anfrage, dass das Ministerium keine allgemeine Rechtsauslegung vornehme. Auf seiner Website führt es in einem Bericht eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Lockdowns näher aus.

Der EGMR hat sich im Jahr 2021 näher mit allgemeinen Lockdowns auseinandergesetzt. Dabei hat er entschieden, dass Ausgangsbeschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie grundsätzlich keine Freiheitsentziehung nach der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellen, wenn es den davon Betroffenen möglich ist, ihr Zuhause aus einer Reihe von Gründen zu verlassen und sie keiner individuellen Überwachung unterworfen werden. Derartiges war bei allgemeinen Lockdowns wie in Deutschland und Österreich etwa nicht der Fall.

Lockdowns laut Fachleuten nicht mit Fußfessel vergleichbar

Auf der Website "buergerschutz.org" wird weiter näher argumentiert, dass Lockdowns mit einer elektronischen Fußfessel "vergleichbar" seien, wie auch in dem geteilten Posting behauptet.

Andreas Geroldinger, Vorstand des Instituts für Zivilrecht an der Johannes Kepler Universität Linz, erklärte gegenüber AFP in einem Telefonat am 17. Mai 2024, dass in der oben genannten Entscheidung des EGMR betont werde, dass Lockdowns nicht durch individuelle Überwachung vollzogen wurden. "Bei einer Fußfessel gibt es jedoch einen Alarm. Aus juristisch detaillierter Analyse sind diese beiden Dinge daher nicht ohne Weiteres vergleichbar."

Laut Zerbes handle es sich bei einer Fußfessel um einen "elektronisch überwachten Hausarrest", mit der Pflicht, nach der Arbeit zum Beispiel direkt nach Hause zu gehen – anders als bei generellen Lockdowns. Gegen jede unverhältnismäßige Fehlregelung könne man sich zudem stets zur Wehr setzen. Im Fall der Lockdown-Maßnahmen lag jedenfalls eine "sachliche Rechtfertigung" für die Maßnahme vor, so die Strafrechtlerin.

Kein Anspruch auf Entschädigung oder Schadenersatz wegen Lockdown-Maßnahmen

Auf der Website wird zudem behauptet, Personen, die während der Lockdowns aufgrund fehlender Covid-19-Impfung Einschränkungen erfahren haben, hätten "berechtigte Ansprüche" aufgrund des deutschen Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen. Für jeden angefangenen Tag der ungerechtfertigten Freiheitsentziehung beträgt die Entschädigung laut Gesetz 75 Euro.

In Österreich finden sich diesbezügliche Regelungen im strafrechtlichen Entschädigungsgesetz. Vom österreichischen Justizministerium hieß es in diesem Zusammenhang, dass Lockdown-Maßnahmen hiervon gar nicht umfasst seien. Die Bestimmungen betreffen Schäden durch eine strafrechtliche Verfolgung. "Ein Ansatzpunkt für eine analoge Anwendung und damit für 'Haftentschädigung' für Lockdown-Maßnahmen ist nicht ersichtlich", erklärte die Referentin.

Des Weiteren hieß es von Seiten des österreichischen Ministeriums gegenüber AFP, dass man eine Entschädigung nur erhalte, wenn man von rechtswidrigem Verhalten geschädigt wurde. "Das liegt nicht vor, wenn Maßnahmen – so wie Lockdowns – gesetzlich oder durch Verordnung angeordnet sind." Zivilrechtler Geroldinger verwies auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in Österreich, wonach es sich bei einem Lockdown um keine Freiheitsentziehung nach dem entsprechenden Bundesverfassungsgesetz oder der EMRK handle.

In sozialen Medien wird das Thema der Haftentschädigung aktuell zudem mit den sogenannten RKI-Files in Verbindung gebracht. Diese würden die Haftentschädigung bestätigen, heißt es in dem geteilten Beitrag etwa. Im März 2024 wurden über 1000 Seiten an Protokollen des Corona-Krisenstabs des deutschen Robert Koch-Instituts (RKI) von einem Blog freigeklagt und veröffentlicht, anhand derer die Risikobewertung des RKIs kritisiert wurde. Auf AFP-Anfrage hieß es vom RKI am 15. Mai 2024 per E-Mail, dass keine Behauptungen in sozialen Medien kommentiert würden.

AFP hat bereits mehrfach Falschbehauptungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus überprüft. Zu Impfungen kursieren ebenfalls unzählige falsche Informationen.

Fazit: In sozialen Medien wird aktuell behauptet, Corona-Lockdowns berechtigen zu einer Haftentschädigung. Sie seien rechtlich mit einer elektronischen Fußfessel vergleichbar, so die Begründung. Das ist falsch. Fachleute sind sich einig, dass es sich bei Lockdowns um keine Freiheitsberaubung gehandelt hat. Das wurde bereits von mehreren unabhängigen Gerichten entschieden.