Industrie-Schwergewichte - Autoschrauber bauen bald Panzer - eine Revolution am Arbeitsmarkt

Mitarbeiter bei Rheinmetall arbeiten an einer Kanone für den Kampfpanzer Leopard 2A4 (Archivbild).<span class="copyright">picture alliance/dpa</span>
Mitarbeiter bei Rheinmetall arbeiten an einer Kanone für den Kampfpanzer Leopard 2A4 (Archivbild).picture alliance/dpa

Mitarbeiter, die der Zulieferer Continental nicht mehr braucht, erhalten das Angebot, zu Rheinmetall zu wechseln. Die beiden Firmen haben einen Deal vereinbart, der teure Sozialpläne vermeidet und ohne die Dienste der Arbeitsagentur auskommt. Angesichts von Fachkräftemangel ein Modell für die Zukunft?

Continental##chartIcon und Rheinmetall##chartIcon – zwei Unternehmen mit Produktion in Deutschland. Eines davon muss Arbeitsplätze abbauen, das andere sucht händeringend Mitarbeiter. Es hält sogar eigene Jobmessen ab, um Bewerber zu gewinnen.

Wie Continental und Rheinmetall unlängst in einer gemeinsamen Erklärung mitteilten, haben die Firmen eine innovative Übereinkunft getroffen: Wer bei Continental über kurz oder lang in der Produktion von Auto-Zulieferteilen seinen Arbeitsplatz verlieren würde, kann ohne Umwege über die Arbeitsagentur direkt weitermachen – und beim Rüstungskonzern Rheinmetall sozusagen Panzer statt Autos bauen.

 

Zwischen den Werken beider Firmen in Niedersachsen, Gifhorn und Unterlüß, liegen gerade einmal 50 Kilometer. Sicherlich ein Glücksfall, aber das Entscheidende ist: „Nicht viele Unternehmen in Deutschland wachsen so stark wie Rheinmetall. Es ist in dieser Situation von hohem Wert für uns, Menschen kennenzulernen, die sich für uns interessieren und die wir – wenn es für beide Seiten passt – in das Team aufnehmen können.“ So sieht es Peter Sebastian Krause, Personalvorstand von Rheinmetall.

Seine Amtskollegin bei Continental klingt ebenfalls erfreut: „Mit Rheinmetall haben wir nun bereits das dritte Unternehmen gewonnen, um den Beschäftigten der von der Transformation betroffenen Standorte neue Perspektiven zu ermöglichen“, sagt Ariane Reinhart.

Bei Siemens und Stiebel Eltron kommen bereits ehemalige Conti-Arbeiter unter

Bereits das dritte? Hintergrund ist, dass Conti nicht erst jetzt auf die Idee gekommen ist, Firmen mit technischer Produktion in der näheren Umgebung anzusprechen, ob man dort nicht gute Leute brauchen könne. Zunächst sagte Stiebel Eltron zu – für die Wärmepumpenproduktion seien die Leute des Continental-Bereichs „Automotive” womöglich zu begeistern.

Diese Sparte steht bei Conti vor den tiefgreifendsten Veränderungen, auch aufgrund der Umorientierung in Richtung Elektromobilität. Und auch Siemens##chartIcon hob den Finger, als es um die Vermittlung versierter Fachleute ging. Wobei die Wärmepumpe gerade in letzter Zeit unter nachlassender Nachfrage litt, dort hat sich die Mitarbeitersuche wieder deutlich abgeschwächt.

 

Continental nutzt seine firmeneigenen Fortbildungscenter nun, um in nächster Zeit Mitarbeiter für Rheinmetall auf neue Aufgaben vorzubereiten: „Die tiefgreifenden Veränderungen in allen Industrien lassen sich nur gemeinsam bewältigen“, sagt Continental-Personalchefin Reinhart. Rheinmetall wiederum verzeichnet im Zuge neuer Anforderungen vor allem vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges eine bislang ungekannte Nachfrage.

Aus der Waffenschmiede, die in gar nicht so lange vergangenen Zeiten überschaubare Stückzahlen von Panzern montierte, muss ein durchrationalisierter Just-in-Time-Hersteller werden, mit möglichst automatisierter Hightech-Serienfertigung. Rheinmetall sucht dafür Leute in allen Ecken der Bundesrepublik, mit den unterschiedlichsten Anforderungen je nach Standortprofil.

Der Arbeitsagentur wird die Arbeit abgenommen

Genau genommen nehmen die beteiligten Industrieunternehmen der Bundesagentur für Arbeit Aufgaben ab: die Weiterbildung und die Vermittlung. Dabei zeigen die Kooperationen der Unternehmen, dass man vermutlich weniger bürokratisch, in jedem Fall aber schneller zu gesuchten Fachleuten kommt, wenn man einen direkten Deal macht. Teure Sozialpläne lassen sich so vermeiden, die Gewerkschaften sind mit im Boot. Und das Ganze ist natürlich freiwillig; wer eine Abfindung bevorzugt, um anschließend nach dem besten Jobangebot selbst zu suchen, kann das tun.

Die Zahlen sprechen im Moment für einen eher komplizierten Arbeitsmarkt. Nicht selten driften die Ansprüche der Unternehmen und die der möglichen Bewerber auseinander. Auch die schiere Zahl der von geplanten Abbaumaßnahmen Betroffenen macht – vor allem für ortsabhängige Mitarbeiter – eine neue Anstellung schwierig. Das kann sogar innerhalb ein und derselben Firma passieren, darauf verweist der Wirtschaftswissenschaftler Klaus Wohlrabe vom Münchener Ifo-Institut: Da muss ein Bereich abbauen, oder sogar schließen, während die dort abgebauten Arbeitsplatzprofile nicht zu den Gesuchten in der Abteilung nebenan passen.

Genau in dieser Lage befindet sich Continental. Ähnliche Transformationen führen bei Bayer##chartIcon zum Abbau von 3500 Stellen, Hunderte Leute werden beim Chiphersteller Infineon##chartIcon in seiner Regensburger Niederlassung verabschiedet.

Um-, aber keine Einbrüche am Arbeitsmarkt

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das für die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit Analysen erstellt, sieht deswegen vor allem Umbrüche, aber keinen Einbruch am Arbeitsmarkt. Für einige Hunderttausend Arbeitnehmer dürfte es sich gleichwohl genau so anfühlen: In einer aufs Digitale umstellenden Wirtschaft bleiben manche Berufsbilder einfach chancenlos.

Allerdings klagen auch genügend Betriebe über Arbeitskräftemangel, die eher wenig von der Transformation betroffen sind: Sei es das Handwerk, wo Metzgereien und Bäcker schließen, weil keine Nachfolger oder Bewerber vorhanden sind, seien es die pflegenden Berufe in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, die Bewerbern sogar Geldprämien versprechen, sollten sie ihr jeweiliges Team verstärken.

Offenbar sind es solche Schlagzeilen, die zu einer robusten Gemütslage bei denen führen, die eine feste Stelle haben. In einer Umfrage des Instituts Forsa gaben weit über 90 Prozent der Befragten an, sich keinerlei Gedanken über einen möglichen Jobverlust zu machen. Zum Teil mag das auch der Tatsache zu verdanken sein, dass in der Tat der Generationenwechsel am Arbeitsmarkt in vollem Gange ist. Die sogenannte Generation der „Boomer” tritt ab – die nachfolgenden Generationen entstammen weitaus geburtenschwächeren Jahrgängen, und selbst wenn Stellen vereinzelt beim Ausscheiden aus Altersgründen nicht wieder besetzt werden: Es bleibt für die Jüngeren jede Menge zu tun.