Kolumne von Alexander Kekulé - Unser Geld wird verschleudert! Warum Lauterbachs Krankenhausplan nicht scheitern darf

Alexander Kekulé: "Lauterbach wäre nicht Lauterbach, wenn er angesichts der allseits drängenden, ungelösten Probleme nicht bereits wieder den nächsten, talkshowtauglichen Wumms ankündigen würde".<span class="copyright">FOL/imago</span>
Alexander Kekulé: "Lauterbach wäre nicht Lauterbach, wenn er angesichts der allseits drängenden, ungelösten Probleme nicht bereits wieder den nächsten, talkshowtauglichen Wumms ankündigen würde".FOL/imago

Lauterbach hat ein Gesetz für eine umfassende Reform der Krankenhausfinanzierung vorgelegt. Er selbst spricht von einer „Revolution“ im Gesundheitswesen. Doch die Länder und die Lobbyisten der Krankenhausbetreiber sind dagegen. Dabei liegt der Gesundheitsminister diesmal richtig.

Die Diagnose ist eindeutig, unbestritten und alarmierend: Deutschland erstickt an den Kosten seines Gesundheitswesens, ohne dass die Bürger davon einen halbwegs angemessenen Nutzen hätten. Von jedem in der Bundesrepublik verdienten Euro fließen aktuell mehr als 13 Cent in das Gesundheitssystem, mit steigender Tendenz. Die Altersleiden der Babyboomer und eine absehbare Kostenexplosion durch neue Krebsmedikamente und molekulargenetische Therapien stehen uns erst noch bevor.

Deutschland leistet sich das zweitteuerste Gesundheitssystem der Welt

Auch durch die Produktionsverlagerungen von Fernost nach Europa werden die Preise für Medikamente und Medizinbedarf steigen. Hinzu kommen überfällige Sanierungen vieler Krankenhäuser und steigende Kosten durch die – dringend notwendige – Aufwertung der Pflegeberufe sowie hausärztlicher Leistungen.

Bereits heute leistet sich Deutschland das zweitteuerste Gesundheitssystem der Welt. Die USA geben nur deshalb noch mehr Geld aus, weil dort Ärzte und Pflegepersonal deutlich mehr verdienen und die Medikamentenpreise höher sind – bei den Zahlen der Krankenhausbetten, Ärzte und Behandlungen pro Einwohner liegt Deutschland weit vorne.

Trotzdem rangiert die Qualität unseres Gesundheitssystems nur im Mittelfeld der OECD-Länder und die Lebenserwartung ist geringer als etwa in der Schweiz, Schweden, Frankreich, Italien, Spanien, dem Vereinigten Königreich oder Österreich. Seriösen Schätzungen zufolge könnten wir uns mindestens ein Drittel der Gesundheitskosten sparen, ohne dass ein einziger Bürger deswegen schwerer krank wird oder früher sterben muss.

Davon wollen Ärztevertreter, Krankenhäuser und die Medizinindustrie freilich nichts wissen. Sie verteidigen ihre Fressnäpfe eisern und reden den Patienten ein, dass sie ohne die chromblitzenden Wundermaschinen und neuesten Medikamente aus der Hightech-Forschung, ohne ein Krankenhaus in jedem Dorf und eine Apotheke an jeder Ecke zu Siechtum und frühem Tod verdammt wären.

Falsche Versprechungen der Medizin

Die Bürger glauben daran und klammern sich an die Hoffnung, dass die Medizin ihnen eine spätere Bestrafung für Bewegungsarmut, falsche Ernährung, Alkohol- und Tabakkonsum und all die anderen Gesundheitssünden ersparen wird. Weil von dem dubiosen Ablasshandel scheinbar alle profitieren, ist es in den letzten drei Jahrzehnten noch keinem Gesundheitsminister gelungen, den Malstrom zu stoppen, mit dem die Gesundheitswirtschaft Jahr für Jahr größere Finanzmittel verschlingt.

Karl Lauterbach weiß das. Er hat sich als Gesundheitsökonom, als Sachverständiger und als Politiker ein Vierteljahrhundert mit dem Problem befasst. Und hier lag er, im Gegensatz zum Thema „Corona“, mit seinen Empfehlungen häufig richtig. Die Umstellung der Abrechnung für Krankenhäuser von Tagessätzen auf ein leistungsbezogenes Tarifsystem ( diagnosis-related groups , DRG) im Jahr 2003, die Lauterbach damals unterstützte, war richtig und hätte das Potenzial gehabt, die Kosten in den Griff zu bekommen und zugleich die Qualität zu verbessern. Bis dahin konnten sich die Krankenhäuser am Budget der Kassen selbst bedienen, indem sie Patienten unnötigerweise länger liegen ließen.

Von Freitag bis Sonntag gab es kaum Entlassungen, weil neue Einweisungen erst wieder am Montag kamen. Die Länder waren stolz darauf, dass auch das letzte Provinzkrankenhaus schwarze Zahlen schrieb. Die Ärzte hatten entspannte Visiten bei längst entlassungsfähigen Patienten. Auch so manche Familie freute sich, dass der Opa oder die Oma ein paar Tage länger auswärts versorgt wird. Dass die durchschnittlichen Liegezeiten in Deutschland fast doppelt so lange waren wie in den Nachbarländern, störte offenbar niemanden.

Abrechnungen der Krankenhäuser: Möglichst viel, möglichst teuer

Seit Einführung der DRGs ist in den Kliniken jedoch Schluss mit Lustig. Das aktuelle Abrechnungssystem sieht je nach Diagnose ein festes Entgelt vor, für besonders komplizierte Fälle gibt es Zuschläge. Die scheinbar simple Logik – „Geld für Leistung“ – geht jedoch nicht auf, weil die Krankenhäuser zu einer neuen Masche übergegangen sind, um sich zum Nachteil der Patienten und Beitragszahler die Taschen zu füllen: Sie rechnen möglichst viele und möglichst teure Diagnosen mit möglichst vielen angeblichen Komplikationen ab.

Deshalb werden in Deutschland zum Beispiel viel mehr teure Operationen an Knie, Hüfte und Rücken durchgeführt als in vergleichbaren Ländern. Schätzungen zufolge ist etwa die Hälfte dieser Eingriffe medizinisch überflüssig.

Das hemmungslose Abmelken der DRG-Vergütungen funktionierte allerdings auch für die Krankenhäuser nur vorübergehend. Zum einen führt der schnelle Patientendurchsatz zur Überlastung des Personals, wozu auch der erhöhte Verwaltungsaufwand für die auf maximalen Profit optimierte Abrechnung beiträgt. Zum anderen bringen die kürzeren – und dem jeweiligen Fall angemessenen – Liegezeiten ans Tageslicht, was bei der früheren Abrechnung nach Tagessätzen verschleiert wurde: Die Krankenhausbetreiber haben in den fetten Jahren, auf Kosten der Beitrags- und Steuerzahler, gigantische Überkapazitäten aufgebaut.

Mit der Einführung des DRG-Systems leerten sich durch die schnelleren Entlassungen die Kliniken – heute steht etwa ein Drittel aller Betten leer. Dies ist der Hauptgrund dafür, dass aktuell über die Hälfte der Krankenhäuser rote Zahlen schreibt.

Länder kommen ihren Verpflichtungen nicht nach

Spätestens an dieser Stelle wäre ein Gegensteuern der Bundesländer erforderlich gewesen, die im föderalen System für die Krankenhausplanung alleine zuständig sind: Wenn mehrere Kliniken einer Region ständig unterbelegt sind, unter Personalmangel leiden und Verluste erwirtschaften, ist eine Zusammenlegung unter Abbau der Kapazitäten dringend angezeigt. Das planmäßige Gesundschrumpfen der Krankenhauslandschaft wäre eigentlich auch ein gewünschter Effekt der Einführung des DRG-Systems gewesen.

Doch in vielen Landkreisen, insbesondere in den alten Bundesländern, kam aus politischen Gründen die Schließung unrentabler Kliniken nicht in Frage – das hätte ja womöglich den zuständigen Landrat die Wiederwahl kosten können. Die Mittel aus dem Krankenhausstrukturfonds, mit dem seit 2016 Milliardensummen zur Erleichterung von Klinikschließungen bereitgestellt wurden, verwendeten die Länder deshalb fast ausschließlich für anderweitige „Umstrukturierungen“, bei denen weder Häuser geschlossen noch Betten abgebaut wurden.

Zugleich waren die Länder aber auch nicht bereit, dringend notwendige Investitionen für die bauliche und technische Erneuerung der welken Schmuckstücke ihrer Provinzfürsten zu bezahlen. Das föderale System der so genannten „dualen Finanzierung“ der Krankenhäuser besagt eigentlich, dass die Betriebskosten von den Krankenkassen (mit einigen Milliarden Zuschuss aus Steuermitteln des Bundes) und die Investitionskosten von den Ländern finanziert werden.

Die Länder kommen dieser Verpflichtung jedoch schon seit langem nicht mehr ausreichend nach. Während sich die Betriebskosten seit Anfang der 1990er Jahre von etwa 40 auf 115 Milliarden Euro fast verdreifacht haben, stagnieren die Landesmittel bei rund 3,6 Milliarden Euro jährlich; ihr Anteil an den Gesamtkosten ist von über 10 Prozent auf rund 3 Prozent abgesunken. Da Neuanschaffungen von Geräten und Sanierungsmaßnahmen auch nicht mehr, wie früher, mit den Gewinnen aus der Tagesgeld-Abrechnung querfinanziert werden können, besteht in vielen deutschen Krankenhäusern ein erheblicher Investitionsstau – vulgo: die Ausstattung ist unter aller Kanone.

Lauterbach will Hebel bei „Qualität“ ansetzen

So makaber es auch klingen mag: Die Notlage der Kliniken eröffnet dem Bundesgesundheitsminister die Chance, endlich eine wirksame Reform der Krankenhauslandschaft durchzusetzen. Die Mittel aus dem Corona-Schutzschirm, an dem sich viele moribunde Häuser noch einmal gesundgestoßen haben, sind ausgegeben und auch der Krankenhausstrukturfonds läuft Ende 2024 aus. Lauterbach versucht es deshalb mit Zuckerbrot und Peitsche: Seine Reform sieht eine Verlängerung des Strukturfonds vor (der dann „Transformationsfonds“ heißen soll), und zwar mit einem üppigen Gesamtvolumen von 50 Milliarden Euro über zehn Jahre.

Das Geld soll aber nur fließen, wenn dafür unrentable Häuser geschlossen und Betten abgebaut werden. Zugleich soll die Finanzierung der Betriebskosten auf ein System von Vorhaltepauschalen umgestellt werden, bei dem die Kliniken ihre Einnahmen nicht mehr wie im DRG-System durch Mehrbehandlungen und optimierte Diagnosen erhöhen können.

Die Sache hat jedoch einen föderalistischen Haken: Welche Krankenhäuser geschlossen oder mit anderen zusammengelegt werden, darf der Bund den Ländern nicht vorschreiben. Ein Bundesgesetz, das die Konsolidierung unrentabler und strukturell entbehrlicher Standorte bestimmt, wäre verfassungswidrig.

Deshalb will Lauterbach den Hebel bei der „Qualität“ ansetzen: Strenge, vom Bund festgelegte Qualitätskriterien sollen dafür sorgen, dass schlecht ausgestattete Provinzhäuser keine teuren Spezialleistungen mehr anbieten können. Sie sollen geschlossen, mit anderen Kliniken zusammengelegt oder in „sektorübergreifende Versorgungseinrichtungen“ (Level-1i-Häuser) umgewandelt werden, die stationär nur Basisleistungen erbringen und dafür die Erlaubnis erhalten, auch ambulante Behandlungen anzubieten.

Haltlose Gegenargumente

Ausnahmen von den Qualitätsanforderungen sind für ländliche Regionen vorgesehen, in denen die Patienten sonst länger als 30 Minuten zum nächsten Krankenhaus mit internistischer und chirurgischer Grundversorgung oder länger als 40 Minuten bis zu einer Spezialklinik fahren müssten.

Dagegen kann aus Sicht der Bürger – also der Patienten, Beitrags- und Steuerzahler – eigentlich nichts einzuwenden sein. Die Qualität der Versorgung von Herzinfarkten, Unfällen und anderen akuten Notfällen hängt ohnehin hauptsächlich von der Organisation und Ausstattung des Rettungsdienstes ab.

Ein spezialisiertes Akutkrankenhaus verbessert die Überlebenschancen erheblich, auch wenn der Transport mit dem Rettungswagen 15 Minuten oder per Hubschrauber drei Minuten länger dauert. Auch für geplante Operationen und andere stationäre Behandlungen dürften die meisten Patienten eine etwas längere Fahrtzeit gerne in Kauf nehmen, wenn sie dafür in einer spezialisierten Einrichtung versorgt werden. Dass die Therapie schwieriger Erkrankungen in dafür ungeeigneten Krankenhäusern jährlich zehntausend oder mehr Leben kostet, steht unter Experten außer Frage.

Entsprechend haltlos sind die Gegenargumente derer, die jetzt um ihre Pfründe kämpfen. Die Bundesländer und die Krankenhausgesellschaft fordern lautstark die schnelle Bereitstellung des Transformationsfonds, um damit ihre Finanzlöcher zu stopfen. Sie lehnen aber die Qualitätskriterien ab, die Klinikschließungen und Umwandlungen in Level-1i-Häuser zur Folge hätten. Damit würde, bei ungebremst weitersteigenden Kosten, alles beim Alten bleiben.

Lauterbachs Vorgehen ist richtig und mutig

Die Krankenkassen beschweren sich, weil der Transformationsfonds zur Hälfte aus ihren Mitteln bezahlt werden soll – ohne zu erwähnen, dass dies bereits beim bisherigen Strukturfonds der Fall war und der Bund ohnehin jährlich 14,5 Milliarden Euro Steuermittel für die Leistungen der gesetzlich Versicherten zuschießt. Die CDU kritisiert, dass Lauterbach seinen Gesetzentwurf nicht vorher mit allen Akteuren abgestimmt hat – das hätte das Projekt angesichts des vorprogrammierten Gegenwinds jedoch mit Sicherheit zum Scheitern gebracht.

Lauterbach hat das Gesetz noch vor der Sommerpause auf den Weg gebracht und damit die ewigen Bremser unter Druck gesetzt – das war richtig und sogar mutig. Es gibt zwar einige Details, die tatsächlich noch unausgegoren sind. Das betrifft etwa die Anzahl der für bestimmte Qualitätsstufen erforderlichen Facharztstellen, die Organisation der Qualitätskontrollen durch den Medizinischen Dienst und die Umrechnung der bisherigen DRG-Vergütungen in die künftigen Vorhaltebudgets. Das kann jedoch ohne Weiteres noch im Laufe des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens nachgebessert werden.

Bleibt zu hoffen, dass der ausgewiesene Gesundheitsökonom Lauterbach trotz seiner Fehlgriffe bei der Pandemiebekämpfung noch genug Unterstützung in Politik und Gesellschaft findet, um sein gesetzgeberisches Meisterstück abzuliefern. Für die Zukunftsfähigkeit unseres Gesundheitssystems gibt es derzeit keine Alternative.