Kommentar: Das sind die Macher des Wutherbsts

Das Terminal der Nordstreampipeline in Lubmin bei der Eröffnungsfeier 2011 (Bild: REUTERS/Tobias Schwarz)
Das Terminal der Nordstreampipeline in Lubmin bei der Eröffnungsfeier 2011 (Bild: REUTERS/Tobias Schwarz)

Es soll ja angeblich ein Wutherbst kommen – wegen Energieknappheit und Inflation. Wer ihn fordert, will davon profitieren: Das eint Links und Rechts. Doch ehrlich ist dieses Gerede nicht.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es gibt einen Magneten in Deutschland, er liegt in Lubmin. Es gibt nicht wenige Deutsche, die sind von ihm magisch angezogen und setzen ihre Hoffnung ins Terminal der dort endenden Pipeline Nordstream 2. Eigentlich wurde sie für den Import von russischem Gas gebaut, aber wegen des Angriffskriegs kam sie gar nicht erst in Gang.

Welche Hoffnung? Darauf, dass es in den kommenden Monaten nicht zu wirtschaftlichen Verwerfungen kommt, dass man nicht frieren wird, dass die Preise nicht durch die Decke klettern. Ihr Kalkül: Fließt erstmal wieder Gas in Hülle und Fülle, beruhigt sich der Markt.

Es gibt aber Politiker, die hegen aus anderen Gründen eine Hoffnung. Sie wollen aus dieser Debatte politisches Kapital schlagen. Da ist zum Beispiel Martin Sellner, der Kopf der rechtsextremen „Identitären Bewegung“, der mit einigen Getreuen am Montag das Terminal kurzzeitig besetzte, bevor die Polizei dem Spuk ein Ende bereitete. „Wenn sie nicht Gas geben, dann geben wir Gas. Wir sind heute hier, um Nord Stream 2 aufzudrehen“, tönte Sellner in einem Video. Wer mit „sie“ gemeint ist, sagte er nicht. Womöglich irgendwelche Orks, die „Anderen“ oder eben die Bundesregierung. Die Besetzer hatten sich vermummt und verbreiteten Pyrorauch; ob man so eine Pipeline in Gang setzt, wage selbst ich als Laie zu bezweifeln.

Und da ist Sahra Wagenknecht, noch von der Linkspartei. Sie fordert täglich die Öffnung von Nordstream 2, redet von einem „selbstzerstörerischen Wirtschaftskrieg“, dass Russlands Präsident Wladimir Putin sich über die Sanktionspolitik kaputtlachen würde und dass eine Öffnung von Nordstream 2 ein Signal der Entspannung wäre.

Entspannung für was und wen? Für die Ukrainer, die ihr Land gegen den Lügenverbrecher aus dem Kreml verteidigen oder für jenen selbst?

Wen man zum Freunde hat

Von Sellner, der sich mit Alpträumen vor einer „Umvolkung“ plagt, also einem Unfug unterliegt, der mehr mit seinen persönlichen Schwächen als mit einem Verständnis der Realität zu tun hat, sind bisher große Ausflüge in die Welt der Wirtschaft nicht bekannt. Doch plötzlich sorgt er sich um Energie, Preise und Stabilität. Warum? Er will profitieren.

Von Wagenknecht wie von Sellner ist bekannt, dass sie Putin immer irgendwie okay fanden, jedenfalls außerhalb von Lippenbekenntnissen eine Politik verfolgten, die ihm nutzte.

Beide als Putinfreunde zu bezeichnen, wäre nicht falsch. Sie hoffen auf allgemeine Erregung im Herbst und im Winter, in deren Fahrwasser sie ihren Einfluss ausbauen oder besser: retten können, denn beide befinden sich karrieremäßig im Abstieg.

Aber natürlich sind nicht alle in Deutschland, die für Gaslieferungen aus Russland und explizit für die Öffnung von Nordstream 2 sind, Putinfreunde. Sie sind auch niemandem hörig. Es ist nur so, dass sie das Leid anderer Menschen ein Stück weit wegdrücken, weil ihnen das Druckmittel Gasstopp zu unangenehm ist – dabei ist es ein Mittel, um Einfluss auf das Verbrecherregime in Moskau auszuüben.

Und ein zweiter Fehler, so scheint es mir, ist der desaströse Pessimismus ob der wirtschaftlichen Entwicklung. Klar, seit neuestem steigen wieder die Arbeitslosenzahlen. Viele Betriebe bangen um ihre Existenz wegen der gestiegenen Preise. Doch wie hart sich alles entwickeln wird, ist nicht genau vorhersehbar. Die meisten Experten sagen: So schlimm wird es nicht werden. Und selbst wenn: Wollen wir wirklich unsere Menschlichkeit über Bord werfen, die Ukrainer in die Sklaverei wandern lassen, weil wir uns um die Preise sorgen?

Sellner und Wagenknecht sind nicht ehrlich. Sie sagen nicht: Vergessen wir die Ukrainer. Sie reden von Existenzängsten, weil sie Furcht schüren wollen.

Ein weiterer unfreiwilliger Macher dieses angeblichen Wutherbsts, der genauso auch ausbleiben könnte, ist ein unbekannter Bundestagsabgeordneter der CDU mit einem bekannten Namen. Jens Lehmann aus Sachsen wütete gegen den aus Deutschland abberufenen ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk. Denn der war böse zu seinem Boss.

Einfrieren für Anfänger

Melnyk hatte über Socialmedia eine Einladung an Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zu einem Besuch der Ukraine zurückgenommen. „Mit Ihrer absurden Rhetorik über das Einfrieren des Krieges spielen Sie in Putins Hände & befeuern Russlands Aggression“, schrieb er auf Twitter. „Ich habe Sie in die Ukraine eingeladen. Diese Einladung ist annulliert. Sie sind UNERWÜNSCHT. Punkt.“

Ob Kretschmer im Nachbarland unerwünscht ist oder nicht, ist nicht Melnyks Sache, er nimmt den Mund mal wieder zu voll. Dass er sich indes von den Forderungen Kretschmers nach einem Einfrieren des Krieges genervt zeigt, ist verständlich. Auch Kretschmer ist nicht ehrlich. Er tut so, als könne man zu diesem Zeitpunkt mit Verhandlungen etwas erreichen. Das ist Spiegelfechterei. Abgesehen davon, dass es hinter den Kulissen immer und stets Gespräche gab und gibt, scheitern Verhandlungen, die es auch formell zu einem Kriegsende geben wird, an Russland und nicht an der Ukraine. Aber Sachsens Ministerpräsident sagt nicht: Die Ukrainer sollen mir den Buckel runterrutschen; es wäre ehrlich.

Dann aber kam der Politiker, der so wie ein Torwart heißt, und grätschte dazwischen. Zu Melnyk sagte er, der gehöre ausgewiesen „und sollte deshalb schnell zur Persona non grata erklärt werden, damit er Deutschland rasch verlässt“. Gut gebellt, Terrier.

Lehmann verrät nicht, wozu er Melnyk loswerden will – was hätte Deutschland davon, wenn dieser Mann schneller weg ist als er ohnehin als bereits abberufener Botschafter sein wird? Ist dann ein Problem weniger vorhanden? Gar nichts würde sich ändern.

Lehmann will ablenken. Denn er will keinen Wutherbst, nur ein bisschen vielleicht, aber auch er fordert, „nach sechs Monaten Krieg müssen wir auch darüber reden können, wie und in welcher Form der Krieg enden kann.“ Als wenn das niemand täte. Es ist, als würde uns Lehmann erzählen, er habe die sensationelle Entdeckung gemacht, dass Hühner Eier legen. Was er nicht sagt: Was dieser Hühnerstall die Ukrainer kosten würde.

Sellner, Wagenknecht und der unfreiwillige Herr Lehmann sind die Macher, auf denen der Wutherbst bauen soll. So gesehen könnte es ziemlich ruhig bleiben.

Im Video: Nach Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine: Deutschlands nationale Sicherheitsstrategie