Kommentar: Die Foodindustrie macht auf komischen Antifaschismus

Lebensmittelhersteller widersetzen sich dem Plan, die Werbung ungesunder Produkte für Kinder einzuschränken. Das ist ihr gutes Recht. Nun aber kam ihr Verband mit einem schrägen Vergleich daher.

Ein antitotalitärer Akt? Ein Verkäufer arrangiert Süßigkeiten im libanesischen Saida (Bild: REUTERS/Aziz Taher)
Ein antitotalitärer Akt? Ein Verkäufer arrangiert Süßigkeiten im libanesischen Saida. (Bild: REUTERS/Aziz Taher)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Gut ist, dass Antitotalitär oder Antifaschismus noch keine Schimpfwörter sind. Noch funktionieren die Reflexe auf Grund massiv schlechter Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus. Und der postulierte Sozialismus der DDR war auch nicht gerade das Gelbe vom Ei. Wer nennt sich nicht alles antifaschistisch: Da ist mir neulich das Foto einer Streetart-Aktion eines italienischen Künstlers in den Sehkreis gepoppt.

(deutsch: In Mariupol erschien ein neues Gemälde des italienischen Künstlers Jorit Cherullo, das den Kindern des Donbass gewidmet ist. Auf der Fassade eines 9-stöckigen Gebäudes stellte der Künstler das Mädchen Nastya mit NATO-Bomben im Rücken dar.)

Der Künstler Jorit bemalte im russisch besetzten Mariupol in der Ukraine die Fassade eines zerstörten Hauses mit dem weinenden Gesicht eines Mädchens, links und rechts fallende Bomben mit der Aufschrift "Nato". Da ist natürlich ein Bullshit nach dem anderen zusammengekommen: Es gibt keine Bombardierungen der Nato, und der Aggressor in der und gegen die Stadt sitzt im Moskauer Kreml. Um aber diesen Unsinn halbwegs zu zertifizieren, malte Jorit unten das Zeichen "Antifascista" hinzu. Es ist ein Marketingtrick.

Auch die BVE übt sich im Antifaschismus

Nun klebt die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) dieses Logo nicht unter ihre Pressemitteilungen. Aber sie übte sich darin, für einen kurzen Moment.

Was war passiert? Die Food-Lobbyisten lieferten sich auf Twitter ein Scharmützel mit dem taz-Journalisten Jost Maurin. Es ging um die Frage, ob es ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel geben soll, die auf Kinder abzielen – der jüngste Vorschlag aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sieht vor, Fernsehwerbung für Lebensmittel mit viel Zucker, Fett und Salz wochentags von 17 bis 22 Uhr, samstags zusätzlich von 8 bis 11 Uhr und sonntags von 8 bis 22 Uhr zu verbieten. Auch Plakate zum Beispiel für Süßigkeiten sollen im Umkreis von 100 Metern von Kitas und Schulen verboten werden.

Das Drama nimmt seinen Lauf

Auf Twitter schrieb die BVE in Reaktion auf einen Artikel in der "taz": "Sie kommen aber spät mit der Foodwatch-Klamotte! Übrigens haben wir auch eine repräsentative FORSA-Befragung machen lassen. Danach sagen 98%: die Eltern sind hauptsächlich für die ausgewogene Ernährung der Kinder zuständig!"

Man könnte jetzt fragen: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Und so antwortete der Redakteur Maurin: "Wer hat bestreitet denn, dass die Eltern hauptsächlich zuständig sind? Das ändert doch nichts daran, dass Kinder durch Werbung manipuliert werden."

Dies gefiel der BVE natürlich nicht. "Dass Werbung Kinder manipulieren würde ist schon extrem wertend und übergriffig. Ein grüner Ernährungsminister darf weder Bürgern vorschreiben, was sie lesen/gucken, noch Medien, was sie senden. Deutschland hat mit staatl. Erziehung bereits 2x schlechte Erfahrungen gemacht."

Ähm, tatsächlich?

Da hatte es der Verband dem Journalisten aber gegeben. Sozusagen heiß serviert. Eine Menge Musik steckte in diesem Tweet: Natürlich manipuliert Werbung Kinder, es ist ihr Daseinszweck, Stichwort: "Extra-Portion Milch". Um diesen Fakt anzuzweifeln, muss man schon einen kleinen Zuckerschock im Blut haben. Die Beschreibung dieses Fakts als "übergriffig" zu beschreiben, klingt schon irgendwie woke, nach der Suche nach Schutz.

Aber dann setzte die BVE noch einen drauf. Zum einen darf ein Minister Dinge vorschreiben, wenn sie der Bundestag beschließt. Und die "staatl. Erziehung" – damit kann nur die Propaganda und die Diktatur gemeint sein, die jeweils zwischen 1939 und 1945 unter der Nazi-Herrschaft lief, und darüber hinaus die Nummer 2, die Regierung der DDR, welche die Bevölkerung gewaltsam unterdrückte, indem sie vorschrieb, wie der Laden zu laufen hatte. Doch was hat dies mit Werbung für Kinder zu tun?

Die BVE schmückt sich in diesem Fall mit fremden Federn. Die Lobpreisung eines Schokoriegels oder einer Chipstüte als Aufstand für die Demokratie hinzustellen, das ist schon dreist. Da manövrieren sich die Interessensvertreter der industriellen Lebensmittelhersteller in eine Opferrolle, die rein halluzinierter Natur ist, garantiert ökologischen Anbaus.

Mittlerweile ist die BVE zurückgerudert

Über ein Werbeverbot lässt sich streiten. Meiner Meinung nach überwiegt der Kinderschutz vor dem Freiheitsrecht der vollumfassenden Werbung überall und jederzeit. Macht mich das gleich zum Nazi?

Irgendwann haben sie bei der BVE gemerkt, dass sie sich vergaloppiert haben. Denn dann zeigten die Socialmedia-Verantwortlichen einen kühlen Kopf: "In eigener Sache: Debatten beleben die Demokratie und Argumente auszutauschen ist essentiell für die Meinungsbildung. Doch gerade dann, wenn es hitzig und emotional wird, überspannt man auch unbewusst mal den Bogen – ohne es zu wollen. Das ist uns heute passiert und dafür möchten wir uns in aller Form entschuldigen – bei Bundesernährungsminister @cem_oezdemir und bei allen, die sich durch den Tweet verletzt fühlen. Unsere Aussage auf Twitter sollte sich lediglich auf den Eingriff des #Werbeverbots in das grundrechtlich verankerte Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 GG) beziehen. Dass unsere Worte anders aufgefasst wurden, haben wir verstanden und werden wir zum Anlass nehmen, zukünftig sorgfältiger und bewusster auf dem Kurznachrichtendienst zu kommunizieren."

Das war doch eine Ansage. Viel zu selten geschieht es, dass auf Twitter ein verunglücktes Wort zurückgenommen wird. Dafür verdient die BVE Respekt. Nur sollte sie bei dieser Debatte gleich im Vornherein versuchen, weniger manipulativ vorzugehen.