Kommentar: Die Razzien gegen Klimakleber sind Ablenkungsmanöver

Die Neuruppiner Staatsanwaltschaft zeigt gegenüber den Klimaklebern auf der Straße die Zähne. Es hagelt Razzien. Das ist vermessen und ein tumber Bestrafungsreflex, den nicht wenige Politiker aufgreifen – damit sie nicht über wirklich Wichtiges reden müssen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Polzisten entfernen Aktivistinnen der
Polzisten entfernen Aktivistinnen der "Letzten Generation" von einer Berliner Straße (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)

Das hätte Friedrich Merz gern so gewollt. Der CDU-Parteichef sagte zu den so genannten Klimaklebern, deren Aktionen hätten „mit Klimaschutz nichts mehr zu tun“. Womit dann? Spaß an der Freud? Schnüffeln an dieser Melange aus Klebstoff und Asphalt? Die derzeitigen Reaktionen von Teilen der Politik und der Justiz auf die „Letzten Generation“ zielen planvoll an der Sache vorbei.

Oppositionsführer Merz lässt den Wunsch Vater seiner Gedanken spielen, er versucht sich in Delegitimierung. Wenn es den Klimaaktivisten bei ihren Blockaden nicht um den Klimaschutz geht, sein Kalkül, dann müssen es ja finstere Gesellen sein. Tja, die CDU lebte einst von Feindbildern und litt hart an deren Verlust. Was Merz heute sagt, ist Teil einer Sehnsucht.

Denn illegal sind viele der Blockaden oder Verunzierungen schon jetzt, nach dem Gesetz. Die Behörden reagieren mit den ihnen zur Verfügung stehenden Instrumenten. Und eine wirkliche Gefahr für das politische System, für das Zusammenleben oder die Gesellschaft im Allgemeinen geht von diesen Aktionen nun wirklich nicht aus. Der Ärger darüber ist verständlich, das ist von den Aktivisten bewusst einkalkuliert. Aber dabei bleibt es.

Doch die Neuruppiner Staatsanwaltschaft meint besonders clever gewesen zu sein. Sie ermittelt wegen des Verdachts auf Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Grund: mehrere Attacken auf Anlagen der Raffinerie PCK Schwedt (Brandenburg). Dabei sei unter anderem die Ölzufuhr unterbrochen worden. Der naseweise Schluss der Staatsanwaltschaft: Die Bildung einer kriminellen Vereinigung könne dadurch gegeben sein, wenn sich Beschuldigte wiederholt zu Straftaten verabredeten.

Gibt es Klimagangs?

Das ist schon interessant. Bisher ging man bei kriminellen Vereinigungen von Banden aus, die sich bereichern wollen (oder in viel selteneren Fällen Spaß an der Freund kriminellen Tuns haben). Das ist bei der „Letzten Generation“ schlicht nicht der Umstand. Da wurden an Pipelines Ventile abgedreht, damit zeitweise Öl nicht fließt – das ist alles. Ziviler Ungehorsam aber ist keine Kriminalität. Die Behörde stülpt den Klimaklebern einen Hut auf, der ihnen nicht passt und der nur ausgesucht wurde, um ihnen „etwas“ heimzuzahlen. Ein bisschen Payback, dachte man wohl.

Doch das rechtfertigt nicht die Durchsuchung am Dienstagmorgen um 6 Uhr, von Wohnungen und anderen Räumen in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen – bundesweit elf Objekte. Die Ermittler nahmen nach Angaben der „Letzten Generation“ Computer, Speichermedien, Laptops und Handys mit.

Die Verhältnisse sind verrutscht

Das sind Kanonen auf Spatzen. CDU und CSU ereifern sich über diese Störer des Straßenverkehrs oder des unbeeinträchtigten Museumsbesuchs, als wären sie eine grüne RAF. Interessanterweise reagierten sie viel besonnener und ruhiger, durchaus angemessen, auf die Razzien bei „Reichsbürgern“, die tatsächlich einen Staatsstreich planten. Für die brauchte es einen Neuruppin Style. Für die Klimaaktivisten nicht.

Man kann über die „Letzte Generation“ heftig streiten, über ihr absolut wirkendes Auftreten, den zuweilen auftretenden Pathos, den anmaßenden Namen, den Ernst jener, die meinen es besser zu wissen.

Abgesehen davon, dass ich ahne: Sie wissen es besser – für alles strafrechtlich Relevante gibt es schon einen Rahmen. Die Aktivisten zu Outlaws zu stempeln, ist einfach nur peinlich. Das machen Leute, die ablenken wollen. Denn Merz zum Beispiel redet nicht gern über den Klimawandel, daher will er uns weismachen, die Aktionen der „Letzten Generation“ hätten nichts mit Klimaschutz zu tun. Diesen Aktivismus von juristischer und politischer Seite wünsche ich mir zuweilen an anderer Stelle.

VIDEO: "Letzte Generation": Habeck kritisiert Aktionen der Klimaaktivisten