Kommentar: Friedrich Merz ist längst nicht auf Talfahrt

In der CDU beginnt ein zaghaftes Duell: Wer wird Kanzlerkandidat? Eigentlich bleibt dafür noch Zeit – aber vielen macht CDU-Parteichef Friedrich Merz keine Heldenfigur. Und in NRW läuft sich Ministerpräsident Hendrik Wüst warm. Doch diese Momentaufnahme kann sich rasch ändern.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Immer seltener lachen sie miteinander: CDU-Parteichef Friedrich Merz (links) und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst nach der Wahl in NRW im Mai 2022 (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)
Immer seltener lachen sie miteinander: CDU-Parteichef Friedrich Merz (links) und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst nach der Wahl in NRW im Mai 2022 (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)

Die nächste Bundestagswahl ist erst im September 2025, aber in der CDU ist schon Wahlkampf. So jedenfalls liest sich das vergangene Wochenende. Zwei Männer aus NRW bringen sich in Position: Da ist einerseits Platzhirsch Friedrich Merz, der als Parteichef und Oppositionsführer natürliche Anrechte nur deshalb nicht anmeldet, weil es dafür zu früh wäre. Und da ist Hendrik Wüst, der Ministerpräsident der meinte, er sehe seine Aufgaben „aktuell“ in NRW. Was übersetzt heißt: Morgen kann das ganz anders sein.

Daraufhin keilte Merz zurück und überraschte seinen eigenen Landesverband mit der Spitze, in Wüsts Nordrhein-Westfalen sei die AfD nach Umfragen „fast so stark“ wie im Bund. Außerdem sei die Unzufriedenheit mit der Landesregierung in Düsseldorf „fast genauso groß“ wie mit der Bundesregierung. Er möchte die CDU also schon „da positionieren, wo die Sorgen der Menschen sind“.

Kritik an Pechstein-Auftritt in Uniform – Merz: "Brillant"

Die postulierten Sorgen der Menschen sind in der Politik ein Chiffre für mehr Hauen und Treten – und zwar im Sinne jener, die am lautesten rufen und sich Abgrenzendes wünschen. Man kann es auch Populismus nennen, der meist wenig zielorientierte Politik fürs Gemeinwohl betreibt, aber kurzfristig Wählerstimmen anziehen kann. Merz setzt also auf ein paar billige Nummern, während Wüst in NRW eine Koalition mit den Grünen recht geräuschlos managt und vor kurzem in einem Debattenbeitrag die CDU in der „Mitte“ verorten wollte. Die Mitte, das ist jedenfalls kein Ort für verprellende Posaunenklänge. Hinter dem Duell Merz-Wüst steckt also nicht nur ein persönliches Armdrücken um die Chance auf das wichtigste Amt des Landes, sondern auch ein Rangeln um die inhaltliche Positionierung der Partei.

Unsicherheiten kommen auf

Wüst gehört gerade das Momentum. Er wirkt jung, mit Problemen verbindet man ihn nicht. Er strahlt Zuversicht aus, ein konservatives „Yes, we can“, das sich allerdings bisher kaum echten Herausforderungen zu stellen hatte. Merz dagegen erscheint mehr als harter Knochen, als einer, der auch mal bellt. Inhaltlich war Wüst einmal dort, wo Merz noch immer ist, aber das wertkonservative Kostüm hat er mittlerweile abgestreift.

Dass Wüst ihm schon recht früh die Stirn zeigt, überrascht Merz. Dies verleitet ihn zu Fehlern. Den Auftritt der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein beim CDU-Konvent fand er brillant, obwohl dieser bestenfalls schrill geriet. Und Erfolge der AfD versucht er mit Gendern zu erklären; diese Hilflosigkeit steht ihm nicht gut zu Gesicht.

Parteiengeschichte wird nun anders geschrieben

Denn wer im Gang zu zackig marschiert, kommt ins Schlingern. Merz wird gerade angekreidet, dass die CDU in Umfragen nicht von den Regierungskrisen profitiert. Die aktuellen 30 Prozent in Umfragen werden als mager ausgelegt. Dies ist nur geschichtsvergessen. Die Zeit der großen Volksparteien ist vorerst vorüber. 30 Prozent für eine Partei, daran müssen wir uns erst gewöhnen, sind alles andere als wenig. Die CDU wäre damit Wahlgewinner. Und dass die AfD gerade am meisten von der Regierungskabale profitiert, ist auch nicht Merz anzulasten; allenfalls sollte er darauf achten, die Rechtspopulisten nicht zu kopieren: Die alte Regel, wonach das Original im Zweifel obsiegt, gilt weiterhin.

Merz weist Populismusvorwürfe zurück

So gesehen ist der Knacks für Merz noch lange keine Talfahrt. Die CDU wäre unter einer Führung Wüsts nicht inhaltsreicher aufgestellt, nicht pointierter. Und der Charme der Jugend ist rasch verweht. Merz sollte nur mehr die Mitte in den Blick nehmen. Weniger Spaltendes und mehr Einendes kommunizieren. So setzt man sich vom Wadenbeißen der AfD ab. Und schlägt den jungen Rivalen mit seinen eigenen Waffen.