Kommentar: Hubert Aiwanger ist der größte Leugner seiner eigenen Worte

Der Vize-Ministerpräsident Bayerns findet gern drastische Worte. Damit will er einen und Spaltungen verhindern. Dabei erreicht er nur das Gegenteil. Und wissen wird er es auch. Über die Karriere eines lupenreinen Populisten.

Hubert Aiwanger bei einem Pressetermin im April 2021 in Berlin (Bild: REUTERS/Axel Schmidt)
Hubert Aiwanger bei einem Pressetermin im April 2021 in Berlin. (Bild: REUTERS/Axel Schmidt)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Für Hubert Aiwanger besteht das Leben aus lauter Bierzelten. In seiner Darstellung holt er die Bürger ab, bei ihren Problemen und Ängsten. So sagt der Chef der Freien Wähler, Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident Bayerns, auch "Hubsi" genannt, Sätze wie: "Wenn der Bauarbeiter nur einmal die Woche Fleisch kriegt, fällt er am dritten Tag vom Gerüst runter." Aiwanger weiß Bescheid.

Er kennt unsere Ernährungsweisen und -tabellen und inszeniert Schreckbilder. Die haben mit der Wirklichkeit wenig zu tun, aber sei's drum: An Fleisch mangelt es in Deutschland kaum, und in Sachen Nährstoffreichtum sollte es sich bis zu Aiwanger herumgesprochen haben, dass die Leute wegen Anderem vom Gerüst fallen.

Aiwanger, der Rebell und der Musterpolitiker

Nun aber hat Aiwanger den Bogen überspannt. Und er schert sich nicht darum, sondern legt noch einen drauf. Der Mann, für den Aufmerksamkeit sehr viel zu sein scheint, stand am 10. Juni in einem imaginierten Bierzelt und lederte los – auf einer Protestveranstaltung gegen die Heizungs- und Wärmewendepläne der Bundesregierung. Dort sprach er davon, dass "endlich die schweigende, große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss". Das kam an. Und ließ tief blicken.

Denn da gibt es zwei Bilder, die nicht zusammenpassen. Auf der einen Seite: Aiwanger, der Rebell, der Rächer der Enterbten. Er schweißt zusammen und ruft dazu auf, sich etwas zurückzuholen, das gerade nicht da ist. Angeblich ist die Demokratie nicht da.

Auf der anderen Seite: Aiwanger, der Mann mit der Musterlaufbahn in der Politik. Der zur so genannten Elite gehört, seinen Alltag in klimatisierten Räumen verbringt, mit Fenstern, die sich meist nicht öffnen lassen.

Zwischen diesen beiden Bildern klafft ein Gegensatz, der zum Widerspruch wird, wenn man Aiwanger ernst nimmt.

Wie ein Animateur im Club Pol

Und der Spitzenpolitiker behauptet, auf einer ernsten Mission zu sein. Nun hat er am vergangenen Mittwoch ein Interview gegeben und seine Zurückhol-Worte verteidigt. Bei der genannten Demo in Erding habe "der normale Durchschnittsbürger demonstriert, nicht der rechte Mob", sagte er der "Zeit". Er halte solche Reden, um einer gesellschaftlichen Spaltung zu begegnen. "Wenn es mich nicht gäbe, wäre das Land noch polarisierter."

Da traut sich einer eine Menge zu. Zum einen stimmt die Analyse der Erdinger Zuschauer nicht ganz. Da gab es eine Menge normale Durchschnittsbürger, aber auch welche mit rechtem Mob-Potenzial. Aber Aiwanger sieht sich als ein Arzt. Er heilt die Leute, indem er sie sich austoben lässt. Und er tobt es ihnen vor. Im Grunde macht er die Leute, die er zu vertreten meint, lächerlich: Er behandelt sie wie kleine Kinder, die nur ein bisschen plärren sollen, und dann ist gut. Bloß nicht ernst nehmen!

Er, der angeblich den Wind aus den Segeln nimmt, ist in Wirklichkeit sein Anfacher. Denn er bestärkt mit seinen Worten nur die Überzeugungen von Menschen, dass da etwas Spaltendes sei. Er befeuert den Glauben, dass da oben eine abgehobene Führung sei, die durchregiert (ohne zu bestätigen, dass er selbst dazugehört). Damit trägt er zu Spaltungen bei. Er heilt sie nicht, sondern setzt den Bagger an, um sie zu vertiefen.

Worte, Worte, Worte

Aiwanger würde entgegnen, dass er eben nah an den Leuten sei, am Puls der Zeit. In Wirklichkeit gibt er nur eine Nähe zu bestimmten Leuten vor und bevormundet diese auch noch. Aber Populismus funktioniert genauso. Die Wähler von Silvio Berlusconi und Donald Trump haben sich nie ernsthaft gefragt, was deren Politik und deren Gesetze ihnen wirklich bringen: Sie werden mit Gefühlen abgefertigt. Aber Wahlen kann man damit bestehen. Da regiert nämlich das Kurzzeitgedächtnis.

Aiwanger selbst hält wohl nicht wenig von sich. "Ich versuche zu retten, was zu retten ist", sagte er noch im Interview. "Ich verhindere durch klare Ansprache der Probleme, dass immer mehr verärgerte Menschen aus der Mitte zu dieser Partei wandern." Er meint wohl die AfD. Und sich als Käpt’n, der die Beiboote klarmacht. Nur hat die mit ihm regierende CSU in den vergangenen Jahren einsehen müssen, dass eine Kopie der AfD-Stammtischparolen nur dem Original hilft, nicht dem Kopisten. Aiwanger wiederholt gerade diesen Fehler. Nicht umsonst hat er einmal im Spätsommer 2022 auf Twitter quasi an sich geschrieben: "Herr Aiwanger, wir bräuchten mehr Politiker wie Sie. (...) Sie sind ein Kämpfer und haben sich den Posten als bayrischer Wirtschaftsminister hart erarbeitet." Später klärte er auf, er habe lediglich weitergeleitet, wie andere kommentieren. Oder: Hochmut kommt vor den Fall.