Kommentar nach US-Präsidentschaftsdebatte - Joe Biden und Olaf Scholz haben in dreifacher Hinsicht die gleichen Probleme

Das TV-Duell läutete die heiße Phase im Wahlkampf ein und wurde vom Sender CNN in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia ausgerichtet. Biden und Trump durften während des Schlagabtauschs keine Spickzettel benutzen und mussten frei sprechen.<span class="copyright">John Bazemore/AP/dpa</span>
Das TV-Duell läutete die heiße Phase im Wahlkampf ein und wurde vom Sender CNN in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia ausgerichtet. Biden und Trump durften während des Schlagabtauschs keine Spickzettel benutzen und mussten frei sprechen.John Bazemore/AP/dpa

Nach der desaströsen US-Präsidentschaftsdebatte zeigt sich: Joe Biden und Olaf Scholz kämpfen mit einem gemeinsamen Problem: Führungsschwäche. In Zeiten von Veränderung und Krise brauchen sowohl Politik als auch Unternehmen starke, visionäre Persönlichkeiten.

Die Debatte der US-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten war ein Debakel für die Demokraten. Joe Biden hatte nur eine Aufgabe: stark und nicht alt zu wirken. Doch er scheiterte kläglich, wie kein anderer Kandidat in der Geschichte der US-Präsidentschaftswahlen. Joe Biden wirkte gebrechlich, fahrig und orientierungslos, nicht wie 81 Jahre, sondern wie 91 Jahre.

Kanzler Olaf Scholz scheint als begeisterter Jogger der Inbegriff der Fitness zu sein. Dabei haben aber beide das gleiche Problem: Sie wirken führungsschwach.

Dieses Phänomen sieht man auch in Unternehmen immer wieder. Gerade in Zeiten von Veränderung, Krisen und strukturellem Wandel ist die Verunsicherung groß. Es ist mehr Führung gefragt. Viele Unternehmenslenker können genau diese Führungspersönlichkeit nicht ausfüllen, besonders dann, wenn es nicht nur um technokratische Fähigkeiten, sondern um visionäre Persönlichkeiten geht.

Ein positives Beispiel ist der Technologieriese Apple, der unter der Führung von Tim Cook erfolgreich durch den Wandel navigierte, indem er kontinuierlich Innovationen vorantrieb und das Unternehmen sicher durch Krisenzeiten führte.

 

Die Sehnsucht nach (Super-)Helden

Jede Zeit braucht ihre eigene Führungspersönlichkeit. Wir brauchten einen Helmut Schmidt, der mit scharfer Zunge und Verstand Klarheit brachte, einen gemütlichen und dadurch auch von seinen Gegnern oft unterschätzten Helmut Kohl, der jene Bodenständigkeit ausstrahlte, die die Bundesrepublik benötigte. Nach diesen biederen Jahren sehnten sich viele nach einem Basta-Kanzler wie Schröder und dann nach einer „Mutti“, die man in Angela Merkels Gelassenheit fand.

In den USA ist diese Zuspitzung auf die Kandidaten noch stärker zu beobachten. Kandidaten sind immer auch Projektionen der eigenen Sehnsüchte. Sie sind Avatare, in die Hoffnungen gelegt werden. Wieso sonst kommt eine Sarah Wagenknecht aus dem Stand auf zweistellige Umfragewerte mit einer jungen Partei, ohne Historie oder Strukturen? Weil sie ein Avatar ist, eine Projektionsfläche der Hoffnung. Dieses Prinzip hat sie und die nach ihr benannte Partei sehr wohl verstanden.

 

Unternehmen in Krisen oder in Changesituationen sind dann am erfolgreichsten, wenn sie wahre Führungspersönlichkeiten entwickeln - mit Visionen, Empathie, Stärke und klarer Kommunikation. Es zeigt sich immer wieder, dass es genau jene Eigenschaften sind, die im Change-Prozess zum Erfolg führen oder zum Scheitern. Manchmal braucht es Technokraten, manchmal Charismatiker und manchmal Hau-Ruck-Führungskräfte, die sowohl nach innen als auch nach außen wirken, wie ein Wolfgang Grupp oder Carsten Maschmeyer. Andere hingegen wirken souverän nach innen und schaffen so einen erfolgreichen Umbau des Unternehmens.

Die Anziehungskraft der Superschurken

Dies hat der fernseherfahrene Instinktpolitiker Donald Trump schon längst verstanden. Er bietet den Zuschauern genau das: eine Projektionsfläche. Er agierte wie ein Superheld oder vielmehr ein Superschurke aus einem Marvel-Comic, kaltschnäuzig, bombastisch, alles ein wenig zu viel. Das haben die Amerikaner schon immer geliebt. Nicht umsonst wurden die Superhelden-Comics in den USA erfunden.

Aber auch Superschurken haben ihren Charme und werden auf ihre Art geliebt. Sie sind die Projektionsfläche für das Ungewöhnliche, den Hau-drauf, jemanden, der das wagt, was man sich selbst nicht traut. Was sonst erklärt die Beliebtheit des kontroversen Marvel-Charakters Loki ebenso wie die jahrzehntelange Omnipräsenz eines an Dreistigkeit kaum zu überbietenden Dieter Bohlen?

Joe Biden ist in diesem Kosmos der Gute, aber auch der Gebrechliche. Vor Joe Biden gab es schon andere Kandidaten, die körperlich gebrechlich waren. Franklin D. Roosevelt hat seinen letzten Wahlkampf im Wesentlichen im Rollstuhl verbracht, nur konnten mediale Bilder damals selektiver gesteuert werden, weswegen das nur wenige mitbekamen.

Der vermeintlich vor Jugend strotzende John F. Kennedy war eigentlich ein Invalide und chronischer Schmerzpatient. Doch sie wussten sich zu inszenieren. Genauso wie später Ronald Reagan, Bill Clinton, die beiden Bushs, um dann in der Superhelden-Kulmination des ultimativen Erlösers und Jedi-Ritters Barack Obama zu münden, der sich selbst bis heute noch fragt, wofür er eigentlich den Friedensnobelpreis bekommen hat.

Führungsschwäche ist die wahre Gefahr für die Demokratie

Jeder dieser Präsidenten war ein Avatar für die Sehnsüchte der Amerikaner in ihrer Epoche. Nicht anders Joe Biden, der wie ein Ben Obi-Wan Kenobi aus Star Wars mit Weisheit und Gelassenheit sich dem Chaos und der Willkür eines Donald Trump entgegenstellte. Genau das war es, wonach sich die US-amerikanische Gesellschaft sehnte. In einer Welt, die jedoch inzwischen noch unberechenbarer und gefährlicher als Trump wirkt, sehnt sich niemand nach einem zerbrechlichen, lieben Opa, sondern nach souveräner, starker Führung und klaren Worten.

Auch wenn vieles gelogen sein mag, darüber schaut man gerne hinweg, in einer reizüberfluteten Welt, in der niemand mehr genau weiß, was wahr ist und was nicht.

 

Das alles wäre nicht weiter dramatisch, wenn die Geschichte nicht auch gezeigt hätte, dass in unsicheren Zeiten, wenn keine starke demokratisch gesinnte Führungskraft vorhanden ist, diktatorischen Tendenzen der Weg bereitet wird. Das gilt nicht nur für die USA, sondern ebenso für Deutschland, Frankreich, Argentinien und viele mehr. Die Wirtschaft benötigt in Zeiten des Wandels vor allem eines: Sicherheit. Nur durch starke und visionäre Führung kann diese Sicherheit gewährleistet werden, um Unternehmen erfolgreich durch Krisen zu navigieren.

Scholz und Biden: Zwischen Zweckoptimismus und Realitätsverweigerung

In Changesituationen zeigt sich immer wieder: Zweckoptimismus und Realitätsverweigerung führen unweigerlich zu Stillstand und dann zum Scheitern. Olaf Scholz, die SPD aber auch die gesamte Ampel-Koalition sollten deswegen sehr genau hinschauen, was gerade mit Joe Biden vorgeht. Denn Scholz und Biden haben in dreifacher Hinsicht das gleiche Problem.

Erstens wirken beide nicht als zielorientierte Führungskraft, haben sich ihren Wählern entzogen und beide können bzw. wollen nicht ausreichend kommunizieren. Sie verlieren den Draht zu ihren Wählern. Der eine wegen seines Alters, der andere aus anderen Gründen, die vielen ein Rätsel aufgeben.

Zweitens werden beide inzwischen von ihrer Partei angezweifelt, und das ist der schlimmste Vertrauensentzug für einen Kandidaten. Bei den Demokraten wird bereits von einflussreichen Mitgliedern hinter den Kulissen eine Ablösung Joe Bidens gefordert. Gedankengänge innerhalb der SPD, doch lieber Boris Pistorius das nächste Mal ins Rennen zu schicken, sind nichts anderes. Eine Führungspersönlichkeit muss in der Lage sein, Zweifel zu nehmen und die eigene Partei zu einen und nicht durch ihr Handeln bzw. Nicht-Handeln Zweifel zu säen.

Die dritte Herausforderung ist das Gefühl der Unwählbarkeit. In den USA macht sich inzwischen der Eindruck breit, dass jeder Kandidat besser sei als Joe Biden. Bei den deutschen Wählern scheint die Meinung vorzuherrschen, dass jede Partei besser sei als die SPD, was zu einem 13,9%-Ergebnis bei der Europawahl führte. Und auch in Landtagswahlen scheinen die Wähler inzwischen jede andere Partei wählen zu wollen, nur nicht die SPD.

Wie desaströs die Situation ist, ist den Demokraten ebenso bewusst wie der SPD. Damit begehen sie den gleichen Fehler, den Führungskräfte in Unternehmen machen und einfach den Wandel nicht hinbekommen. Nur Joe Biden und Olaf Scholz scheinen eine andere Realität wahrzunehmen und verbreiten gemeinsam den Optimismus, dass sie die einzigen sind, die die Wahl für ihre Partei gewinnen können.

Ob das noch Zweckoptimismus, brutale Führungsschwäche oder einfache Realitätsverweigerung ist, können nur Joe Biden und Olaf Scholz selbst beantworten.

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