Kommentar: Warum Björn Höcke die Sesamstraße hassen wird

In die bekannteste Kinderserie der Welt zieht eine neue Bewohnerin. Dass Elin mit Rollstuhl unterwegs ist: kaum ein Thema. Aber ein rotes Tuch für AfD-Politiker Björn Höcke. Der forderte unlängst, behinderte Kinder von den Regelschulen fernzuhalten. Der AfD-Rechtsausleger hat das Leistungsprinzip im Blick – ignoriert aber die Studien dazu. Elin und Björn werden wohl keine Freunde mehr wie Ernie und Bert.

Elin und Björn? Nein, Ernie und Bert von der Sesamstraße im Museum in Washington (Bild: REUTERS/Larry Downing)
Elin und Björn? Nein, Ernie und Bert von der Sesamstraße im Museum in Washington. (Bild: REUTERS/Larry Downing)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Langsam wird es Herbst, Zeit für Neues – auch in der Sesamstraße, der bekanntesten Kinderfernsehstraße der Welt. Ernie und Bert erhalten eine neue Nachbarin. Elin scheint recht clever zu sein, ein wenig ungeduldig. Spricht schnell und rollt schnell; ihr Rollstuhl ist selbstverständliches Hilfsmittel, ein Empowerment und gewiss nicht das nichtbehinderte Klischee vom "an den Rollstuhl gefesselt". Also eine neue Mitbewohnerin, bei der ihre Behinderung nicht im Vordergrund spielt. Warum sollte es das auch? Weil es das in der Welt der Nichtbehinderten oft tut.

Einer aus diesem Universum wird sich besonders über Elin ärgern. AfD-Spitzenpolitiker Björn Höcke hat unlängst sein "Sommerinterview" im Fernsehen absolviert, sozusagen in öffentlich-rechtlicher Nachbarschaft zur Sesamstraße. Dort gab der Ex-Lehrer seine Ratschläge für eine verbesserte Bildung preis: "Unter anderem müssen wir das Bildungssystem auch befreien von Ideologieprojekten, beispielsweise der Inklusion, beispielsweise auch dem Gender-Mainstream-Ansatz", sagte er. "Alles das sind Projekte, die unsere Schüler nicht weiterbringen, die unsere Kinder nicht leistungsfähiger machen und die nicht dazu führen, dass wir aus unseren Kindern und Jugendlichen die Fachkräfte der Zukunft machen."

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Im Klartext wollte Höcke wohl sagen: Schüler mit Behinderung halten jene ohne auf. Denn erstere benötigen beim Lernen eventuell mehr Zuwendung, andere Ansprache und mehr Zeit. Ich stelle mir also vor, dass der deutsche Hänsel so gern das Einmaleins runterrattern würde, aber die behinderte Gretel lenkt ihn davon ab. Gemein!

Schnell erhielt der Hobbyführer von der AfD Widerspruch. Viele regten sich auf, von wegen unmoralisch, unmenschlich und so. Interessant ist, dass in den entrüsteten Medienreaktionen anfangs ausschließlich nichtbehinderte Stimmen zum Wort kamen und damit die alte deutsche Tradition bestätigten, dass über Menschen mit Behinderung viel geredet wird, aber weniger mit ihnen. Bevormundung ist der Pate der Aussonderung. Und damit sind wir wieder bei Höcke.

Zahlen lügen nicht

In aller Kürze: Fachlich gesehen liegt der studierte Pädagoge falsch. Inklusion in der Regelschule ist keine Ideologie, sondern bildungsgetrieben. Wissenschaftler haben sie weithin ausgeleuchtet. Gut (und durchaus machbar) realisiert, bildet sie einen Mehrwert für alle Schüler. Jene ohne Behinderung profitieren von den offeneren Lernformen, auch vom eigenen Erklären – wodurch sich das Erlernte verfestigt. Und Kinder mit Behinderung werden mehr gefordert.

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Infografik: Menschen mit Behinderung stärker von Armut bedroht | Statista
Infografik: Menschen mit Behinderung stärker von Armut bedroht | Statista

Die Zahlen: Noch immer gehen die meisten Kinder in Deutschland mit einer Behinderung auf eine Förderschule. Früher nannte man diese Einrichtungen ehrlicher "Sonderschulen", denn behinderte Kinder und Jugendliche wurden und werden dorthin ausgelagert. Schüler mit einem Förderbedarf verlassen diese Förderschulen nur zu 28 Prozent mit einem Hauptschulabschluss. Die Absolventenquote von Schülern mit Förderbedarf an allgemeinen Schulen dagegen ist höher: 46,6 Prozent von ihnen erreichen dort den Hauptschulabschluss.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Förderschulen mögen für nicht wenige Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung das richtige Setting bieten, aber das betrifft individuelle Ansprüche; meist benötigen sie mehr Ruhe und Übersichtlichkeit als meist an Regelschulen gegeben. Ansonsten gilt, dass Förderschulen eben nicht genügend fördern. Sie sind ein einziger bildungspolitischer Fail.

Der weitere Lebensweg ist dann vorgeschrieben: Elins werden die Abgänger meist nicht. Ohne qualifizierenden Schulabschluss landen sie in Werkstätten für Menschen mit Behinderung, wo sie struktureller Unterforderung zu Sklavenlöhnen ausgesetzt sind. Eintönige Arbeit von morgens bis abends, am Monatsende ein Taschengeld in der Tasche. Eigentlich sollen die Werkstätten fit für den allgemeinen Arbeitsmarkt machen. In Wirklichkeit wechselt gerade einmal ein Prozent aus ihnen dorthin. Werkstätten sind Sackgassen. Orte der Segregation. Wie die Wohnheime, in denen die Beschäftigten oft untergebracht sind. Vorher aussortiert hin zu den Sonderschulen, weil ein Lehrer wie Höcke in ihnen Hinderer des Leistungsprinzips sieht.

AfD-Politiker Björn Höcke eckt mal wieder an... (Bild: Sebastian Willnow/picture alliance via Getty Images)
AfD-Politiker Björn Höcke sorgt wieder für Diskussionen... (Bild: Sebastian Willnow/picture alliance via Getty Images)

Die Empörung über Höcke mag groß sein. Aber seine Worte treffen auf einen Resonanzboden. Denn Inklusion wird in Deutschland mehr als halbherzig angegangen. Vom alten Prinzip der Isolierung wollen wir einfach nicht lassen. Es ist die Verweigerung von Menschenrechten, außer dass niemand darüber spricht; es sei denn, jemandem wie Höcke wird ein Mikro hingehalten. Und dann sei das alles nur Ideologie.

Die Ideologie liegt ganz bei Höcke. Er braucht in seiner Welt Leute in ausgemachten "Gruppen", die ihm und den Seinigen untergeordnet sind. Wer solch einen Mangel mit Worten zu umkleiden versucht, landet rasch im Ideologischen.

Elin in der Sesamstraße ist das Gegenbeispiel.

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