Kommentar: Warum ein Werbeverbot für Zucker kein Verbotswahn ist

Cem Özdemir meint es ernst. Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft will Werbung für stark zuckerhaltige Produkte und andere Snacks einschränken – wenn sie auf Kinder abzielt. Das Geschrei ist groß. Aber Unvernünftige waren immer am lautesten. Bleibt zu hoffen, dass sich diesmal Cleverness durchsetzt.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Was ist denn da genau drin? Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) bei einer Kabinettssitzung in Berlin Anfang März (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)
Was ist denn da genau drin? Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) bei einer Kabinettssitzung in Berlin Anfang März (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)

Der Bäcker gegenüber meiner Dorfgrundschule brauchte keine Werbung. Zwei Hits hatte er im Angebot. Da war das Schokokussbrötchen, welches er für einen frisch anschnitt. Und dann gab es eine magische Softeismaschine, aus der er so viel zapfte, grob geschätzt, wie viel man hatte: mal für 20 Pfennig, mal für 30. Und er war großzügig.

Gesund war das nicht, aber lecker und toll. Nicht umsonst funktionieren Zucker und Fett bei uns gut. Es sind die klassischen Belohnungszutaten für Herz und Hirn. Das rührt aus uralten, vom Menschen vergessenen Zeiten, als er in den zig Jahrtausenden durch die Prärie zog und sich auf alles stürzte, was halbwegs Energie versprach. Zucker und Fett haben davon eine Menge.

Nun laufen wir aber nicht mehr so viel wie der Mensch der Urzeit durch die Gegend. Übergewichtsprobleme werden nicht wirklich sein Thema gewesen sein.

Zucker und fetten haben neue Zivilisationskrankheiten hervorgebracht

Deshalb sind Zucker und Fette jetzt im Überfluss da. Sie töten heute. Die Snacks haben neue Zivilisationskrankheiten hervorgebracht, an der Massen an Menschen leiden: Diabetes und Herz- sowie Kreislaufbeschwerden sind nur Spitzen eines Eisbergs aus Schoko und Vanille.

Klar, ich snacke gern. An das Softeis von damals denke ich gern zurück. Und man ist, was man isst. Ein Bewusstsein für die eigene Gesundheit kann nicht verordnet werden, das geht nur von allein.

Daher verstehe ich nicht den Widerstand, der gerade Cem Özdemir um die Ohren weht. Der grüne Bundesminister will kein einziges Produkt verbieten. Aber er will es den Herstellern schwerer machen, ungeniert und zielgerichtet zu lügen. Denn darum geht es letztlich bei Werbung.

Özdemir will, dass auf Kinder zugeschnittene Werbung eingedämmt wird. Heißt: Übersteigt ein Produkt die Messwerte der Weltgesundheitsorganisation, die übrigens so großzügig bemessen sind wie das Softeis des Dorfbäckers, soll man es nicht mehr im Fernsehen und anderen Medien bepreisen – es sei denn, zu nachtschlafender Zeit. Zielgerichtete Werbung kennen wir alle: Das sind die Bilder mit Kindern als Darstellern, in knalligen Farben, es ist eine bekannte Palette.

Schlecht bleibt schlecht

Was spricht eigentlich dagegen? „Die alte Verbotspartei ist zurück. Die Grünen entpuppen sich als nicht markwirtschaftstauglich. Es geht nicht darum, die Kinder zu schützen, sondern die Erwachsenen zu erziehen", sagte Christoph Minhoff, Geschäftsführer des Dachverbands der deutschen Lebensmittelindustrie, gegenüber „Bild“. FDP-Fraktionsvize Carina Konrad sagte dazu gegenüber dem Boulevardblatt: „Pauschale Verbote von Werbung, die die Kinder regelrecht abschirmen sollen, übergehen die wahren Kernprobleme von ungesunder Ernährung und sind keine Lösung.“ Und die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion von CDU/CSU, Gitta Connemann (CDU): „Bevormundung pur".

Nun, wenn das die Argumente gegen Özdemirs Vorstoß sind, dann ist das Gesetz bald da.

Verbote sehen anders aus

Es wird kein Produkt verboten. Und natürlich greifen Kinder weniger zu bestimmten Snacks, wenn sie vorher nicht genau von jenen werbungstechnisch berieselt worden sind. Kennt doch jeder: Ach, den da wollte ich schon immer mal probieren…

Daher ist jedes Gramm weniger an Zucker sehr wohl ein Beitrag zur Lösung. Bevormundung wäre, wenn man dem Bäcker seine Softeismaschine wegnähme. Also, bitte die Kirche im Dorf lassen.

Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland natürlich hinterher. Andere Länder besteuern längst den Zuckergehalt in Produkten – ein echter Anreiz für die Hersteller, damit nicht allzu viel herumzuschmeißen. Denn die Gesundheit ist ihnen piepsegal, da können ihre Imagekampagnen so viel anderes erzählen, wie sie wollen. Zucker ist oft massenhaft als Lockmittel in Produkten, um sie besser zu verkaufen; es bleibt der Urzeiteffekt.

Was Özdemir vorhat, ist angesichts der Herausforderungen noch recht bescheiden. Die neuen Zivilisationskrankheiten, deren Grundlagen meist in der Kindheit gelegt werden, kosten jede Volkswirtschaft Unmengen an Geld. Da sollte das Verursacherprinzip noch viel strenger gelten als solch ein mickriges Werbeverbot.