Kommentar: Willkommen im Stau

Gab es schon vor über 20 Jahren: Stau auf dem Reiseverkehr gen Süden im Sommer 2021 (Bild: PR)
Gab es schon vor über 20 Jahren: Stau auf dem Reiseverkehr gen Süden im Sommer 2021 (Bild: PR)

Heute beginnen in einigen Bundesländern die Sommerferien. Und dann ist auch noch Wochenende. Wo ist die größte Party? Auf der Autobahn. Beeilen müssen Sie sich nicht. Sie wartet bestimmt auf Sie.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es gibt Traditionen, die überstehen jedes Sommerloch. Pünktlich verabredet sich ein gehöriger Teil der Republik auf dem Asphalt. Lustig soll es werden, zumindest am Ziel. Aber der Weg dorthin? Der bedeutet gemeinsames Leiden.

Staus gehören zum Sommerurlaub dazu. Nun gibt es zwar Viele, die sich keinen Urlaub leisten können, aber über die wird gemeinhin nicht geschrieben. Die Medien sind voll mit Tipps und Tricks rund ums Verreisen, und diesem Trend will ich mich nicht verschließen. Übersehen wir also die Balkonier, fragen wir uns: Warum der Stress im Auto zur Ferienzeit?

Die nüchterne Antwort darauf lautet, weil es schon immer so gewesen ist. Viele wollen los, also ab dafür, wenn nicht schon mit dem Flieger. Dann geraten die Autobahnen, die sich ohnehin großzügigst ausgebaut im Land breitmachen, zu Nadelöhren. Es geht nicht anders. Es sei denn, wir asphaltieren weiter drauf los.

Das Bundesverkehrsministerium singt im Grunde dieses Hohelied. Seit die FDP dort regiert, hat man keine neue Platte aufgelegt und warnt vor der Einschränkung der Automobilität, was in der Folge im Stau endet. Aber für den haben wir uns total individuell entschieden, eine Liberalität echt Lindnerschen Ausmaßes, dessen Porsche ihn dann auch nicht schneller ins Ziel bringt.

Damit dieser kleine Widerspruch nicht auffällt, taufen die Autohersteller ihre Gefährte mit Namen, die schnell klingen: Active Tourer und Gran Coupé reklamieren für sich Agilität, Golf und Passat sind schnell wie der Wind, Mustang und Jaguar sprechen für sich. Nur enden sie alle im Stau.

Seit Jahren eiern wir herum

Das Versprechen der Automobilität entpuppt sich als Märchen. Unser liebstes goldenes Kalb tasten wir derweil nicht an – noch nicht. Denn lösungsorientiert denken, das würde bedeuten, nach einer Reform des Autoverkehrs oder nach anderen Transportmitteln Ausschau zu halten. Aber das wollen wir nicht.

Die Debatte ums Tempolimit hat noch immer zu keinem Entschluss geführt. Dabei brauchen wir mehr Verkehrssicherheit und weniger Emissionen. Und die Bahn, die in diesen Wochen so oft versagt, steht immer noch nicht im Fokus des politischen Interesses. Sie ist die überzeugende Alternative zum Straßenstau. Aber dafür muss man Prioritäten setzen.

Leider ist es gerade keine Zeit für echte Politik. Aktuell haben jene Oberwasser, die an angeblich Bewährtem festhalten wollen oder alles andere schlechtreden. Mit den Parolen der AfD ließe sich jedenfalls kein Verkehrsproblem lösen, kein Umweltproblem, gar kein Problem. Den Anspruch hat die Partei auch nicht.

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Infografik: Deutschlands Stau-Hauptstädte | Statista
Infografik: Deutschlands Stau-Hauptstädte | Statista

Negativbeispiele gibt es zur Genüge

Da lohnt sich ein Blick nach Italien. Das Land hat einen neuen Verkehrsminister, und Matteo Salvini von der Lega, also ein Bruder im Geiste für die AfD, löst derzeit keine Probleme, sondern schwadroniert. Sein letzter Coup: Das in Italien herrschende Tempolimit, so wie fast überall auf der Welt, soll auf 150 Stundenkilometer heraufgesetzt werden. Sowas ist keine Politik, sondern das Gewähren von Brot und Spielen fürs Volk. Die Autobahnen in Italien sind gemeinhin weniger geräumig als die deutschen. Würde Salvinis Idee Wirklichkeit werden, hätte sie entsetzliche Folgen. Spötter orakeln schon, dass durch solch eine Maßnahme immerhin die Möglichkeiten an Organspenden zunehmen könnten. Man kann es auch taktisch sehen: Tote wählen nicht.

In Deutschland brauchen wir eine Anti-Salvini-Politik. Eine, die das Problem der Staus wirklich angeht. Dies würde übers Sommerloch hinausreichen.

Video: Rücksichtslos: Autofahrer verursachen Verkehrschaos auf Kreuzung in Manila