Neues experimentelles Antibiotikum umgeht Multiresistenz

Ein experimentelles Antibiotikum zeigt in Tierversuchen vielversprechende Wirksamkeit gegen multiresistente Erreger. (Symbolbild: Getty Images)
Ein experimentelles Antibiotikum zeigt in Tierversuchen vielversprechende Wirksamkeit gegen multiresistente Erreger. (Symbolbild: Getty Images)

Forschende der Harvard-Universität haben ein Antibiotikum entwickelt, das sich in Tierversuchen als sehr wirksam gegen eine Vielzahl multiresistenter Erreger gezeigt hat. Den Wirkstoff nennt das Team um Kelvin Wu "Cresomycin".

Multiresistente Erreger wie Staphylococcus aureus und Pseudomonas aeruginosa sind seit Jahren auf dem Vormarsch und fordern weltweit viele Menschenleben. Das Problem: Gängige Antibiotika wirken nicht mehr gegen diese Bakterien, weil sie im Laufe der Zeit Resistenzen entwickelt haben.

Die könnte Cresomycin in Zukunft umgehen. Denn gerade gegen diese beiden Bakterienstämme wirkt das experimentelle Antibiotikum besser als existierende Alternativen. Die Ergebnisse hat Wus Team vergangene Woche im wichtigen Journal Science veröffentlicht.

Was ist passiert?

An der Studie beteiligt war auch Andrew Myers, der seit Jahren an einer vereinfachten Antibiotika-Entwicklung forscht. Er hat dafür eine "Plattform" erfunden, auf der er mit wenig Aufwand komplexe Molekül-Baukästen verbinden kann. Der Vorteil: Auf diese Weise können die Baukästen separat entwickelt und erst sehr spät im Prozess zusammengesetzt werden.

Das erlaubt es, nicht nur ein "fertiges" Antibiotikum, sondern Hunderte von Molekülkombinationen herzustellen und zu testen. Das soll den Prozess der Arzneimittelentwicklung erheblich beschleunigen.

Seit rund acht Jahren setzt Myers auf seine Plattform und jetzt könnte er gemeinsam mit Wu und ihrem Team einen ersten vielversprechenden Wirkstoff hergestellt haben: Cresomycin.

Wie wirkt das experimentelle Antibiotikum?

Cresomycin bindet in Bakterien an Ribosomen. Das sind die Organelle, in denen die Erreger Proteine herstellen. Werden Ribosomen an ihrer Arbeit gehindert, können sich Bakterien nicht mehr vermehren. So wirken viele Antibiotika: Sie hemmen die Aktivität der Bakterien-Ribosomen und stoppen auf diese Weise die Ausbreitung der von ihnen verursachten Krankheit.

Nur: Bakterien verändern sich ständig. Auch ihre Ribosomen wandeln mit der Zeit immer wieder ihre Form. Deshalb können sich gängige Antibiotika nicht mehr so gut daran festhalten.

Cresomycin ist anders, es ist laut Scinexx steifer und kann deshalb effektiver an Ribosomen unterschiedlicher Bakterien binden. Getestet haben das die Forschenden auf unterschiedliche Arten: per Computerberechnung und Strukturanalyse. Aber auch in Zellkulturen und in lebendigen Mäusen.

Und das Team um Wu konnte so zeigen, dass Cresomycin gegen eine breite Palette multiresistenter Erreger wirkt.

Bislang nur in Tierversuchen getestet

Doch die Forschenden betonen, dass ihre Ergebnisse zwar vielversprechend sind – aber noch ein weiter Weg bis zur Zulassung vor ihnen liegt. Denn nur, weil ein Wirkstoff in Labortieren einen Erreger bekämpfen kann, heißt das nicht, dass er auch in Menschen anschlägt. Oder, dass Menschen den Wirkstoff vertragen und die Nebenwirkungen nicht zu groß sind.

Andrew Myers wird dazu in einer die Studie begleitenden Pressemitteilung wie folgt zitiert:

"Wir wissen zwar noch nicht, ob Cresomycin beim Menschen sicher und wirksam ist. Aber unsere Ergebnisse zeigen im Vergleich zu zugelassenen Antibiotika eine deutlich verbesserte Wirkung gegen eine lange Liste pathogener Bakterienstämme, die jedes Jahr mehr als eine Million Menschen töten."

Angesichts der Vielzahl an möglichen Molekülstrukturen von Antibiotika sei es aber statistisch unwahrscheinlich, dass Cresomycin das bestwirksame aller möglichen Moleküle darstellt. Sicherlich gebe es noch weitere Wirkstoffe, die nur noch nicht getestet worden seien.

Der Hintergrund

Weltweit gehen jedes Jahr mehrere Millionen Todesfälle auf Infektionen mit multiresistenten Bakterien zurück.

Das zeigt beispielsweise eine Studie, die im Fachmagazin Lancet erschienen ist. Für die Untersuchung aus dem Jahr 2022 wurden Gesundheitsdaten aus 204 Ländern ausgewertet. Sie zeigte damals, dass allein 2019 rund 1,27 Millionen Menschen direkt an Infektionen mit Antibiotika-resistenten Keimen gestorben waren. An weiteren knapp fünf Millionen dokumentierten Todesfälle waren Infektionen mit multiresistenten Bakterien mindestens beteiligt.

Das Forscherteam hatte damals auch die Bakterienstämme analysiert, die für die 1,27 Millionen "direkten" Todesfälle verantwortlich waren.

Der überwiegende Teil ging auf sechs Erreger zurück. Darunter waren auch Staphylococcus aureus und Pseudomonas aeruginosa, gegen die Cresomycin sehr wirksam ist.