Rätsel um DFB-Stürmer - Deutschland feiert seine EM-Stars, nur wegen Sané reiben sich alle die Augen

Leroy Sané<span class="copyright">IMAGO/Sven Simon</span>
Leroy SanéIMAGO/Sven Simon

Die deutsche Nationalmannschaft ist beflügelt und steht nach zwei EM-Gruppenspielen sicher im Achtelfinale. Das Land ist voller Euphorie, das DFB-Team macht endlich wieder Spaß. Nur einem Spieler fällt das Lächeln derzeit sichtlich schwer – Leroy Sané.

Leroy Sané ist einer der letzten, der auf einem strahlend blauen Adidas-Bike zum Training in den Adi-Dassler-Sportpark radelt und von einigen Fans empfangen wird. Am Donnerstagmorgen ist die Einheit für die Mitarbeiter des DFB-Ausrüsters öffentlich, auch Reporter dürfen sich das Training am Vormittag mal ganz ansehen.

Mein Blick durch das Fernglas folgt Sané. Während alle anderen 14 EM-Ersatzspieler schon auf dem Feld den Ball zirkulieren lassen, schnürt er sich noch unter dem kleinen Pavillon die Fußballschuhe. Bei der Ansprache von Julian Nagelsmann steht er neben seinem Trainer, der Blick starr auf den Boden. Die Miene ernst.

Die letzten Tage hallte das unverkennbare Lachen des Bayern-Stars noch über die Anlage. Doch Sané ist das Lachen ein wenig vergangen.

Alle sind glücklich - nur ihm fällt das Lachen schwer

Warum? Die deutsche Nationalmannschaft hat am Mittwoch das zweite EM-Gruppenspiel mit 2:0 gegen Ungarn gewonnen und sich vorzeitig fürs Achtelfinale qualifiziert. Für den Gruppensieg reicht am Sonntag gegen die Schweiz ein Remis. Es herrscht Freude im Team, Spaß auf den Ränge, sogar Ansätze von Euphorie im Land. Doch Sané macht nicht so richtig mit.

Einsam spielt Leroy Sané im Training mit dem Ball<span class="copyright">AFP via Getty Images</span>
Einsam spielt Leroy Sané im Training mit dem BallAFP via Getty Images

Am Mittwochabend wirkte er bei der Ehrenrunde im Stuttgarter Stadion nachdenklich, marschierte als einer der ersten in die Katakomben. Co-Trainer Sandro Wagner gesellte sich an seine Seite, sprach einen Moment auf ihn ein, ließ ihn dann mit einem Klapps auf die Schultern ins Innere der Arena ziehen.

Leroy Sané: Der Unterschiedsspieler ohne Aufgabe

Der Morgen danach: Glücklich wirkt Sané nicht, der Stürmer hat aktuell einen schweren Stand. Nach seinem Selbstverständnis ist er unangefochtener Stammspieler, nur ist er das in der Nationalelf unter Nagelsmann nicht. Wegen einer Roten Karte in Österreich vergangenen Herbst verpasste er wichtige Spiele der EM-Vorbereitung. Dann startete er auch noch angeschlagen ins Trainingscamp, Nagelsmann musste seine Belastung vorsichtig steuern. Plötzlich stand Sané hinten an.

Jetzt ist die Startelf eine gut geölte Maschinerie, bei der jedes Zahnrad an der richtigen Stelle sitzt. Sané hängt etwas daneben, wie ein übrig gebliebenes Relikt aus der Flick-Ära.

Dabei ist er eigentlich ein Unterschiedsspieler im Team, jemand, der ein Spiel zu jeder Zeit verändern kann. Nur benötigt die DFB-Elf seinen Unterschied gerade nicht. Wenn er ins Spiel kommt, braucht es keinen Unterschied mehr. Dafür haben seine Kollegen zuvor schon gesorgt.

Leroy Sané albert im Training Anfang der Woche noch mit Jamal Musiala<span class="copyright">Getty Images</span>
Leroy Sané albert im Training Anfang der Woche noch mit Jamal MusialaGetty Images

Gegen Schottland kam Sané beim Stand von 3:0 rein, gegen Ungarn war Deutschland auch schon in Führung. Sané MUSS nichts mehr retten, MUSS keinen Unterschied mehr machen. Welche Rolle kann er also dann ausfüllen? Ein Verwaltungsspieler ist er nicht.

Sané ist bemüht, aber glücklos

Der 28-Jährige müht und quält sich. Er will kreieren, initiieren, machen. Nur: Es gelingt ihm wenig. Sané wirkt verkrampft, manchmal verbissen. Ein hochsensibler Fußballer, der von seinen Launen geprägt ist - im Guten wie im Schlechten. Nun will er unbedingt die geringe Einsatzzeit nutzen und seinen Wert beweisen – und das ist das Problem.

Mit dem Kopf durch die Wand, das klappt auf diesem Niveau nicht. Gegen Ungarn wie gegen Schottland verspielte Sané beste Überzahlsituationen, dribbelte ins Nichts und hatte auch bei seinen Schüssen kein Glück.

Markus Babbel kritisierte den 28-Jährigen schon vor der dem Spiel gegen Ungarn scharf, sagte zu „Ran“: „Sané ist immer entweder Weltklasse oder Kreisklasse, aber zu selten Weltklasse, in meinen Augen. Wenn er seine PS auf den Platz bekommt, kann er der Unterschiedsspieler sein. Ich tue mich aber immer schwer, wenn ich bei einzelnen Spielern ständig hoffen muss: Hoffentlich kann er es heute! Hoffentlich kommt er an sein Maximum.“ Er ergänzte vielsagend: „Da habe ich lieber jemanden, bei dem ich weiß, was ich bekomme.“

Die DFB-Offensive läuft hervorragend

Damit meint er Jamal Musiala, Ilkay Gündogan und Florian Wirtz. Deren Zusammenspiel mit Stürmer Kai Havertz läuft geschmeidig. Alles ergibt Sinn.

„Das Gefühl wird immer besser“, beschrieb Kapitän Gündogan die Harmonie auf dem Feld. Der 33-Jährige ist bisher der Leistungsträger der EM. Ein Tore, zwei Vorlagen. Gegen Ungarn war er „Spieler des Spiels“.

Oft nur eine Nebenrolle für Leroy Sané (r.)<span class="copyright">Getty Images</span>
Oft nur eine Nebenrolle für Leroy Sané (r.)Getty Images

Dabei war es Gündogan, der im Vorfeld der EM für viele Experten und Fans auf der Kippe stand. Die Mehrheit forderte Sané in der Startelf. Nun ist alles anders. Gündogan erklärt sein Erfolgsgeheimnis: „Ich wollte immer geduldig bleiben und auf dem Platz meine Aufgabe erfüllen, ohne mich allzu wichtig zu nehmen. Je öfter man gemeinsam trainiert und spielt, desto besser ist das Gefühl für den Nebenmann.“

Es wird immer schwieriger für Sané, sich in die Startelf zu spielen. Nagelsmann ließ immerhin die Möglichkeit offen, beim dritten Gruppenspiel etwas zu rotieren: „Generell glaube ich, dass es wichtig ist, viele Spieler von der ersten Elf wieder auf dem Platz zu haben. Es kann aber sein, dass wir Einzelspieler wechseln.“

Plötzlich geht beim Training ein Raunen über die Tribüne

Bekommt Sané also die Chance, sich von Beginn an zu beweisen? Dafür muss er sich im Training aufdrängen.

An diesem Donnerstag wirkt er zu Beginn nachdenklich, ist oft für sich allein. Als alle zur einer Trinkpause an den Spielfeldrand gehen, schnappt er sich einen Ball, spielt ihn vor sich her, hält ihn ein wenig hoch. Kein Lächeln auf den Lippen.

Bei der nächsten Übung hat jeder nach einem kleinen Hindernisparcours drei Abschlusssituationen.

Schuss Nr. 1: Sané hämmert den Ball wunderbar in den Winkel. Ein leises Raunen geht über die Tribüne.

Schuss Nr. 1: Sané drischt den Ball volley unten links ins Netz, Außenverteidiger David Raum entgeht ein lautes „Uhhhh“.

Schuss Nr. 3: Alle schauen nun genau hin, die Augen auf ihn gerichtet. Hohe Flanke von außen, Sané steigt hoch, setzt zum Kopfball an, scheitert aber an Torhüter Jan Reichert. „Aaaaaargh“, schreit Sané laut und ärgert sich. „Super, Leroy!“, ruft ihm Co-Trainer Wagner zu. Plötzlich ein Lächeln, geht doch!

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